Öffentliche Bekenntnisschulen in NRW

Löst rot-grüne Koalition die Probleme?

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Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen
Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen

BERLIN. (hpd) In den nächsten Tagen wird der Landtag von Nordrhein-Westfalen über die Bekenntnisschulen debattieren. Die rot-grüne Koalition will die Umwandlung öffentlicher Bekenntnisschulen in Gemeinschaftsgrundschulen erleichtern. Ob damit die gravierenden Probleme, die immer stärker die Öffentlichkeit beschäftigen, gelöst werden, ist aber mehr als fraglich.

Öffentliche Konfessionsschulen sind in der Bundesrepublik seit Jahrzehnten fast überall abgeschafft, nur nicht in NRW und einem kleinen Teil Niedersachsens. Bei diesen Schulen handelt es sich nicht um private Bekenntnisschulen (in kirchlicher Trägerschaft), sondern um staatliche Schulen, die von allen SteuerzahlerInnen finanziert werden. Diese Schulart ist in den letzten Jahren aufgrund von Diskriminierungen solcher SchülerInnen, die nicht dem jeweiligen Schulbekenntnis angehörten, mehr und mehr in die Kritik geraten. Auch der wachsende Teil von konfessionsungebundenen SchülerInnen verlangt nach Abschaffung dieser Religionsprivilegierung für Katholiken und Protestanten.

Im Sommer hatte ein Landesparteitag des grünen Koalitionspartners nahezu einstimmig für den Ausstieg aus den Bekenntnisschulen votiert; jetzt haben die beiden Koalitionspartner SPD und Grüne einen Gesetzesentwurf vorgelegt. Aussagen zu einer Verfassungsänderung werden nicht getroffen. Denn zu einer Verfassungsänderung, die nötig wäre, um diese Schulart abzuschaffen, fehlt es an den entsprechenden Mehrheiten im nordrhein-westfälischen Landtag.

Mit dem 11. Schulrechtsänderungsgesetz soll die Umwandlung einer Öffentlichen Bekenntnisschule in eine Gemeinschaftsschule erleichtert werden. Müssen bislang bei Grundschulen 20 Prozent aller Eltern die Umwandlung beantragen und der Umwandlung dann zwei Drittel aller Eltern zustimmen, soll das Quorum künftig bei 10 Prozent und die Zustimmungsquote bei 50 Prozent liegen. Bei Hauptschulen soll die Antragsquote von 20 auf 10 Prozent gesenkt werden, während es bei der Zustimmungsquote zur Schuländerung bei einem Drittel aller Eltern bleibt.

Außerdem soll zusätzlich zu den Eltern nun auch der “Schulträger im Rahmen der Schulentwicklungsplanung” ein solches Verfahren in die Wege leiten können, die Entscheidung liegt aber immer bei den Eltern. Änderungen sind auch bei der Konfessionszugehörigkeit von Lehrern geplant: in Zukunft sollen auch LehrerInnen beschäftigt werden können, die nicht der “Schulkonfession” angehören.

Auch wenn in NRW bei den politisch anachronistischen Öffentlichen Bekenntnisschulen etwas in Bewegung kommt, ist dieses Beispiel einer Kirchenprivilegierung noch lange nicht an seinem Ende angelangt. Öffentliche Bekenntnisschulen sind und bleiben ein Skandal in einer säkularen Gesellschaft: alle bezahlen, aber die Kirchen bestimmen – und diskriminieren!

Über das aktuelle Vorhaben sprach der hpd mit Max Ehlers von der Initiative “Kurze Beine – Kurze Wege

 

hpd: Herr Ehlers, vor gut einem Jahr haben Sie beklagt, dass aus der Politik so gut wie keine Resonanz auf Ihre Forderung nach Abschaffung der Bekenntnisschulen käme, im Sommer dieses Jahres hatten Sie sich nach dem Beschluss des Grünen-Parteitags tendenziell positiv geäußert. Sie sprachen sogar davon, dass der Parteitagsbeschluss ein “Riesenerfolg” sei. Jetzt liegt ein Gesetzesentwurf vor. Was sagen Sie heute?

Grundsätzlich ist es erfreulich, dass sich auf gesetzlicher Ebene endlich etwas tut. Seit fünf Jahren kämpft unsere Initiative für Änderungen. Noch 2012 hatte sich die grüne Schulministerin Löhrmann ausdrücklich gegen eine Erleichterung der Umwandlung ausgesprochen. Insofern ist die Absenkung des Quorums von 67 auf 50 Prozent schon ein Schritt in die richtige Richtung. Es bleiben Unterschiede zwischen Grund- und Hauptschulen bei der Zustimmungsquote. Bei der Grundschule wird die Quote zwar niedriger als bisher, aber immer noch höher als bei der Hauptschule liegen.

 

Worum geht es dabei genau?

Bei den Bekenntnishauptschulen gilt schon lange, dass ein Drittel der Stimmen aller Eltern genügt, um die Schulen in Gemeinschaftsschulen umzuwandeln. Genau dieses niedrigere Quorum hätten wir uns auch in Bezug auf die Grundschulen gewünscht. Ein Beispiel: Selbst wenn 70 Prozent aller Eltern an einer Abstimmung teilnehmen und sich davon wiederum 70 Prozent für eine Umwandlung aussprechen sollten, genügt das nicht, um die Schule umzuwandeln.

Wenn man Ihr Beispiel betrachtet: Reichen Ihnen denn überhaupt die angestrebten Veränderungen, die der Gesetzentwurf vorsieht?

Insgesamt sind wir enttäuscht von dem Gesetzentwurf. Man sieht ihm an, dass er im Konsens mit den Kirchen erarbeitet wurde. Es bleibt bei der grundsätzlich konfessionell homogenen Prägung öffentlicher Schulen. Weiterhin müssen Eltern die unselige Bekenntniserklärung unterschreiben, wenn sie ihrem Kind den Besuch der nächstgelegenen Grundschule ermöglichen wollen. Damit geben sie das Recht auf Abmeldung vom Religionsunterricht wie auch das Recht auf entsprechenden Unterricht im eigenen Bekenntnis an der Schulpforte ab.

Diese Einschränkung von Grundrechten an öffentlichen Einrichtungen ist in einer religiös zunehmend pluralistischen Gesellschaft höchst problematisch, was übrigens auch durch die hohe Zahl an Verwaltungsgerichtsverfahren zu dieser Problematik in den letzten Jahren unterstrichen wird.

 

Max Ehlers, Foto: privat
Max Ehlers, Foto: privat

Sie erwähnen, dass der Entwurf im Konsens mit den Kirchen erarbeitet worden ist. Gerade diesen Konsens haben Sigrid Beer, Parlamentarische Geschäftsführerin und schulpolitische Sprecherin der GRÜNEN-Fraktion und Renate Hendricks, schulpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, positiv hervorgehoben und von einem “guten Ergebnis” gesprochen.

Das ist allerdings irritierend. Die Kirchen äußern sich ja auch sehr zufrieden über das Ergebnis. Es steht offenbar nichts in dem Entwurf, was die Kirchen nicht mit abgesegnet hätten. Das Frustrierende ist, dass die von uns angeprangerten Probleme damit nicht gelöst werden, es bleibt bei der Verletzung von Grundrechten an staatlichen Schulen.

 

Sie haben verfassungsrechtliche Bedenken und sehen eine Beschädigung von Grundrechten von LehrerInnen…

…denn wir werden weiter eine sehr problematische religiös begründete Diskriminierung von Lehrkräften haben. Nach der neuen Regelung soll es in Ausnahmefällen “zur Sicherung des Unterrichts” möglich sein, dass bekenntnisfremde Lehrkräfte dort unterrichten. Es wird dann aber von ihnen verlangt, dass sie “nach den Grundsätzen des betreffenden Bekenntnisses unterrichten und erziehen”. Man muss es ganz klar sagen: Artikel 3 (“Niemand darf wegen […] seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.”) und 4 des Grundgesetzes (“Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.”) gelten in Teilen von Nordrhein-Westfalen für Grund- und Hauptschullehrkräfte weiterhin nicht.

 

Wie sieht es mit den Grundrechten von SchülerInnen an den Bekenntnisschulen aus? Gibt es auch hier Probleme?

Ja, auch da löst dieser Gesetzentwurf keines der Probleme. Im Schnitt gehören an katholischen Grundschulen nur 56 Prozent der Kinder dem Bekenntnis an, an evangelischen sogar nur 43 Prozent, das hat mit der ursprünglichen Idee der konfessionell homogenen Schule nichts mehr zu tun.

Im Juni hat der Münsteraner Verfassungsrechtler Prof. Dr. Hinnerk Wißmann im Landtag NRW dargelegt, dass alle staatlichen Schulen – also auch staatliche Bekenntnisschulen – unmittelbar an das Grundgesetz gebunden sind und verpflichtet sind, die individuelle Vielfalt von Schülerinnen und Schüler zu achten und zu fördern. Explizit hat Wißmann dargelegt, dass es nicht haltbar ist, wenn das Grundrecht auf Religionsunterricht im eigenen Bekenntnis und auf Abmeldung vom Religionsunterricht an dieser Schulart keine Geltung hat. Selbst an Schulen in kirchlicher Trägerschaft wird heute übrigens selbstverständlich Religionsunterricht im jeweils anderen Bekenntnis erteilt.

 

Also trotz einiger Verbesserungen weiter grundsätzliche Kritik an der Politik zu Bekenntnisschulen in NRW?

Wie gesagt, diese halbherzige Reform löst nicht die bestehenden Probleme. Unsere Initiative hätte sich ganz klar mehr Rückgrat von der Politik gewünscht. Es kann doch nicht sein, dass in unserer Gesellschaft Konfession und Religion den Ausschlag dafür gibt, welche staatliche Schule ein Kind besuchen darf und welche Rechte es dort hat. So verhindert man Integration da, wo sie am besten gelingen kann. Uns ist bewusst, dass eine verfassungsändernde Mehrheit momentan nicht gegeben ist. Wir hatten aber durchaus die Hoffnung, dass die Regierungsfraktionen mit Unterstützung der Piraten auch gegen den Widerstand der Kirchen eine echte Öffnung der Bekenntnisschulen durchsetzen.

 

Wie wird es weitergehen mit den Bekenntnisschulen in NRW? Wagen Sie heute eine Prognose?

Ich bin gespannt. Für das nächste Schuljahr kommt die Änderung leider zu spät, ab dem Schuljahr 2015/16 wird es vielleicht eine kleine Umwandlungswelle geben. Wir hoffen weiter auf eine grundsätzliche Lösung, möglicherweise bringt eine Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht die erwünschte Klarstellung. Aber das wird noch dauern.

 

Herr Ehlers, vielen Dank für das Interview.

 

Das Interview für den hpd führte Walter Otte.

 


Hinweis: Die Initiative "Kurze Beine, Kurze Wege" hat heute auch eine eigene Presseerklärung dazu herausgegeben.

 

siehe zu dem Thema auf dem hpd auch:
Keine Religionsfreiheit in NRW
Bekenntnisschulen: kein Ende in Sicht?
Diskussionen um Bekenntnisschulen