(hpd) Die beiden Literaturwissenschaftler Bettina Gruber und Rolf Parr präsentieren in dem von ihnen herausgegebenen Sammelband “Linker Kitsch. Bekenntnisse – Ikonen – Gesamtkunstwerke” zehn Aufsätze zum Thema mit einem literaturwissenschaftlichen Schwerpunkt. So sehr die einzelnen Fallstudien inhaltlich interessante Anregungen und Thesen enthalten, so fehlt es doch in dem daher eher fragmentarisch wirkenden Band an einer allgemeineren Perspektive.
Linker Kitsch entstehe dann, so der linke Publizist Gerhard Henschel in seinem heute noch lesenswertem Essay “Das Blöcken der Lämmer” von 1994, “wenn um der guten Sache willen gebetet, geknetet, gefastet, gebacken, gereimt, geschleimt, gedichtet, gefilmt, gesungen und geträumt wird.”
Es entstünden dann Kunstgebilde, die “keinen Gedanken, keine Aufklärung, keine Einsicht und keinen Fortschritt beförderten, sondern nur das ebenso wohlige wie trügerische Gefühl dazuzugehören und dabeizusein, wenn die Guten tuten”. Dieser ebenso geistreichen wie gemeinen Polemik folgte aber nur selten eine kritische Auseinandersetzung mit dem Phänomen “Linker Kitsch”, allenfalls hier und da einmal von konservativer Seite, dann aber mit einer platten “Hau drauf”-Rhetorik. Dem Phänomen ernsthaft und wissenschaftlich auf die Spur kommen wollen die Autoren eines Sammelbandes, der unter dem Titel “Linker Kitsch. Bekenntnisse – Ikonen – Gesamtkunstwerke” von den beiden Literaturwissenschaftlern Bettina Gruber und Rolf Parr herausgegeben wurde.
Er enthält zehn Beiträge: Gruber selbst untersucht den sublimen Kitsch in Heiner Müllers „Zement“ und Bertolt Brechts ”Die Maßnahme“. Adam Müllers politische Romantik und die spätere DDR-Literatur steht im Zentrum von Heinz-Peter Preussers Aufsatz. Thomas Kupper geht Walter Benjamins Interesse am Banalen nach. Die Opferrhetorik in Bildern und Texten linker Bewegungen bilden das Untersuchungsfeld von Klaus Kreimer. Michael Rohrwasser behandelt Todeskitsch und Wanderkitsch an ausgewählten historischen Beispielen bezogen auf Reduktionen und Todesbilder. Johannes R. Bechers Lyrik für die DDR zwischen Kitsch und Volkstümlichkeit steht im Zentrum des Interesses von Walter Schmitz. Alexandra Pontzen geht dem Kitsch im intellektuellen Vorzeige-Verlag Suhrkamp nach. Kitsch als Kategorie ästhetischer Wertungen bei Adorno, Broch und Kundera untersucht Wolfgang Müller-Funk. Und schließlich geht es um den Kitsch bei der linken Rezeption von Filmen wie ”Viva Maria“ von Rolf Parr und ”Die besten Jahre" von Matteo Galli.
Entsprechend des literaturwissenschaftlichen Hintergrundes der beiden Herausgeber widmen sich somit die meisten Abhandlungen auch literarischen Formen des linken Kitsches. Diesem Phänomen will man nach den Worten von Gruber und Parr “anhand von Beispielen seiner ikonischen und diskursiven Repräsentation, aber auch in theoretischer Hinsicht beschreiben, dass das Phänomen ’linker Kitsch’ auch in seinem transmedialen Charakter zur Geltung kommt” (S. 11). Kitsch wird bei alldem als Gegenbegriff zu Kunst angesehen. Gleichzeitig setzt man sich in den meisten Beiträgen mit dem Kontrast des hohen aufklärerischen, intellektuellen und rationalen linken Anspruchs mit eben dem Phänomen des banalen, geschwollenen und emotionalen linken Kitsches auseinander. Die Herausgeber schreiben: “Dieser hohe universalistisch-moralische Anspruch der Linken erzeugt … auch Diskrepanzen zwischen Ideal und Realität. Die Linke hat damit ein ähnliches Problem wie das ethisch ebenfalls äußerst fordernd agierende Christentum …” (S. 10).
Insgesamt hat man es mit den zehn Aufsätzen mit interessanten Fallstudien zum Thema zu tun. Gleichwohl fällt auf, dass weder Kitsch in einem positiven Sinne näher definiert noch die Besonderheit des linken Kitsches gesondert herausgearbeitet wird. Auch bleiben die Beiträge meist auf literarische Beispiele fixiert. Der Einband, der ein Che-Bild auf einem Autokühler zeigt, legt die Auseinandersetzung mit politischen Phänomen im engeren Sinne nahe. Dies geschieht indessen nur in wenigen Beiträgen, etwa in den Erörterungen zur Opferrhetorik in linken Bewegungen. Hier hätte man sich eine größere thematische Breite gewünscht. Analytisch findet man in den einzelnen Beiträgen eine Fülle von interessanten Anregungen und Thesen. Gleichwohl wirken sie jeweils für sich mehr wie eine essayistische Erörterung, weniger wie ein wissenschaftlicher Text. Damit reduziert sich leider auch ein wenig der Erkenntniswert des ansonsten anregenden Sammelbandes, der nur Fragmente zu einem interessanten Thema bringt – nicht weniger, aber auch nicht mehr.
Bettina Gruber/Rolf Parr (Hrsg.), Linker Kitsch. Bekenntnisse – Ikonen – Gesamtkunstwerke, Paderborn 2015 (Werner Fink-Verlag), 197 S.