Islam und Rechtspopulismus

Vergesst Pegida!

Ziel einer ganz großen Parteienkoalition ist es mittlerweile, die Privilegien, welche die beiden großen christlichen Kirchen genießen, auf “den Islam” auszuweiten. Die Motivationen sind vielfältig und nicht bei allen Protagonisten gleich, was an dieser Stelle aber nicht weiter erörtert werden soll. Hier geht es um die “Nebenwirkungen”. Da das überkommene Staats-Kirchen-Recht völlig auf die katholische Kirche sowie die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) zugeschnitten ist, gab es von Anfang an Probleme mit der Pluralität der islamischen Gemeinden, da der Islam eine einheitliche Organisationsform im Stile der Kirchen nicht kennt. In der Folge suchten sich die Landesregierungen ihre Verhandlungs- und Vertragspartner. Dass die sunnitische Orthodoxie, allen voran die DITIB, der verlängerte Arm von Erdogans Religionsbehörde, dabei das Rennen machte, sollte niemanden verwundern.

Was diese Weichenstellung langfristig für die Inhalte des Islamischen Religionsunterrichts bedeutet, ist noch nicht absehbar, da die Modelle in den einzelnen Bundesländern derzeit noch sehr unterschiedlich ausgestaltet sind. Aber dass der Islamunterricht eine Wirkung entfaltet, die über die staatlich finanzierte Missionierung des christlichen Religionsunterrichts hinausgeht, liegt auf der Hand. Denn allein seine Existenz setzt muslimische Schüler oder solche, die vom Staat dafür gehalten werden, unter Bekenntnis- und Konformitätsdruck. Wer seine (oder ihre) Apostasie bislang ohne großen Aufwand verbergen konnte, ist nun gezwungen, öffentlich sichtbar ein Bekenntnis abzulegen. Wer das nicht will, muss gute Miene zum bösen Spiel machen, in den Religionsunterricht gehen und seine tatsächlichen Ansichten verschweigen. Das ließe sich auch “Islamisierung” nennen.

Sicherheitspolitik vor Religionsfreiheit

Der Aspekt der Religionsfreiheit spielt in der Islampolitik der Parteien eine völlig untergeordnete Rolle. Nicht nur bei der Einrichtung des Islamunterrichts ist die Handschrift der Sicherheitspolitiker deutlich zu erkennen und in deren Denken spielen Rechte und Bedürfnisse des Individuums für gewöhnlich keine Rolle. So wird die Notwendigkeit eines staatlich kontrollierten Islamunterrichts vor allem damit begründet, Kinder dadurch vom Besuch des Koranunterrichts in “Hinterhofmoscheen” abzuhalten und so ihre drohende Radikalisierung zu verhindern. Seit Kurzem wird diese Argumentation noch durch eine neue rhetorische Strategie ergänzt: Da Anschläge angeblich vor allem durch Muslime verübt werden, die in säkular orientierten Familien aufwuchsen und deshalb nichts über den Islam wussten, hätte ihr Weg in den Fundamentalismus verhindert werden können, wenn ihnen in der Schule rechtzeitig beigebogen worden wäre, dass der Islam die Religion des Friedens ist…

Dass derlei Vorstellungen eher aus dem Wunsch geboren sind, “der Islam” möge sich in das bestehende System der Privilegierung religiöser Organisationen einbinden lassen, als dass sie Realität abbilden, ist offensichtlich. Denn dem Islam wohnt – wie dem Christentum auch – ein universaler Geltungs- und absoluter Wahrheitsanspruch inne, dessen Zähmung besser nicht dem theologischen Personal überlassen werden sollte. Wie schwer es islamischen Geistlichen – selbst wenn sie für den deutschen Staat arbeiten – fällt, ein Verständnis von Religions- und Weltanschauungsfreiheit zu entwickeln, zeigt der Auftritt des Imam Husamuddin Meyer in der Talkshow “Maybrit Illner” am 22. Januar. Meyer arbeitet seit 2008 als islamischer Gefängnisseelsorger für die JVA Wiesbaden und wird aus deren Etat bezahlt.

Auf die Frage nach einer Koranstelle, die Ungläubige niedriger als Tiere einstufe, antwortete er, dass hier ein Missverständnis vorliege. Der Mensch habe eigentlich eine höhere Bestimmung als die Tiere, weil er dazu berufen sei, die göttliche Schönheit zu erkennen. Wer diese Schönheit jedoch nicht erkenne, der irre umher, folge sozusagen seinen Instinkten: “Wenn aber sich ein Mensch, der eigentlich eine hohe Bestimmung hat von Gott, nachher benimmt wie ein Tier, dann ist er deswegen noch unter dem Level der Tiere.” Da blitzt sie auf, die Vorstellung, dass die Religion die einzige Quelle der Ethik ist und Ungläubige folglich keine Ethik haben (und sich deshalb “instinktgesteuert” wie Tiere verhalten).

Wie die staatlich finanzierte Verbreitung derart fundamentalistischen Gedankenguts in einer Gesellschaft mit über einem Drittel Konfessionslosen eine befriedende Wirkung haben soll, ist unklar. Und so hat die Behauptung, islamistischer Terror lasse sich durch die Stärkung des orthodoxen Islams bekämpfen, ihren Preis: Sie kostet die intellektuelle Redlichkeit. Auch nach den Morden von Paris fanden sich genügend Politiker – von Thomas de Maizière bis Thomas Oppermann –, die erklärten, dass die Verbrechen nichts mit dem Islam zu tun hätten.

Natürlich nicht. Wenn Mörder in die Redaktion einer Satire-Zeitschrift eindringen, gezielt Karikaturisten töten, die für religionskritische Cartoons bekannt sind, und danach mit den Worten, sie hätten den Propheten gerächt, gehen, hat das gewiss nichts mit Religion zu tun. Natürlich nicht. Denn zu erklären, warum religiös motivierte Morde durch die Förderung von Religion zukünftig vermieden werden könnten, ist eine Herausforderung. Da scheint es einfacher, den offensichtlichen Zusammenhang schlicht in Abrede zu stellen.

Der Nachteil dieser rhetorischen Strategie ist ihre Arroganz. Wer davon ausgeht, dass solch augenfällige Widersprüche unentdeckt bleiben, signalisiert damit unübersehbar, dass er (oder sie) die Bevölkerung für ziemlich einfältig hält. Und genau damit provoziert die herrschende Politik Proteste wie Pegida förmlich. Die Demonstranten von Dresden mögen vieles nicht richtig verstehen, aber dass ihnen hier von den Parteien und auch vielen Medien Quatsch erzählt wird, merken sie halt doch. (Zumal die Rolle des Islams in Europa beileibe nicht das einzige Thema ist, das die politischen Entscheidungsträger in diesem Stil kommunizieren, auch wenn es um das “Freihandelsabkommen” TTIP geht, wird im Brustton der Überzeugung ein X für ein U erklärt –um nur ein weiteres Beispiel zu nennen.)

Letztlich ist Pegida nicht mehr als eine Empörungswelle, wie es sie in den letzten 15 Jahren immer mal wieder gegeben hat. So wie es derzeit aussieht, wird sie keine bleibenden Folgen hinterlassen. Der Blick ins europäische Ausland zeigt jedoch, dass dies nicht so bleiben muss. Um langfristig zu verhindern, dass identitäre Argumentationen den Diskurs bestimmen und als “Islamkritik” maskierte Fremdenfeindlichkeit ein dauerhafter politischer Faktor wird, wird es nicht ausreichen, sich über Pegida zu echauffieren. Besser wäre es, Pegida zu vergessen und über gesellschaftliche Veränderungen zu diskutieren. Eine Kehrtwende in der Religionspolitik, die bislang auf eine Privilegierung ausgerechnet der Orthodoxie setzt, gehört in meinen Augen unbedingt dazu. Denn die Parolen von Pegida verhallen bereits, während die Strukturen, die durch die Ausweitung der Kirchenprivilegien auf islamische Verbände entstehen, ihre Wirkung noch in Jahrzehnten entfalten werden.