Meinung

Wie ich durch die AfD zum Patrioten wurde

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Kann man dieses Land lieben und sich selbst als Patriot bezeichnen, ohne dabei jenen zugerechnet zu werden, deren Profile in den Sozialen Medien blaue Herzen und Deutschlandfahnen schmücken? Ja, sagt hpd-Autor Dirk Winkler. Indem ich mich mit einem Land identifiziere, dass für etwas steht: Freiheit, Selbstbestimmungsrecht der Menschen, Solidarität, Menschenrechte und eine Friedfertigkeit ohne Verrat an seinen Werten.

Ich bin Jahrgang 1971. Die folgenden Jahrzehnte schienen Patriotismus für mich nicht im Angebot zu haben. Es war nichts, was man in einem geteilten Deutschland, gut 25 Jahre nach Kriegsende, unbeschwert entwickeln konnte. Das Maximum der Gefühle war dann irgendwann der "Verfassungspatriotismus", der halb verschämt, halb entschuldigend angeboten wurde. Er war gedacht für die Menschen, die doch recht zufrieden mit der Entwicklung von Deutschland waren und irgendwie Deutschsein nicht allein auf die Fußballnationalmannschaft beschränkt sehen wollten. Ich glaube, den "Verfassungspatriotismus" hat man erfunden aus Sorge, dass diese Menschen in Deutschtümelei abdriften könnten.

Nun ja, ich war dann eben vernunftmäßig Verfassungspatriot. Denn selbstverständlich konnte ich mich voll mit den Werten unserer Verfassung identifizieren, die ich uneingeschränkt teile.

Ich dachte, es wäre Konsens, dass wir Deutschen eine liberale Demokratie gut finden. Dass die Wahrung der Menschenrechte unsere oberste Richtschnur sei. Dass wir neugierig auf die Welt sind und uns in einer Gemeinschaft der Völker als aufgeschlossenes Land verorten.

Für mich war es selbstverständlich, mich als Europäer zu definieren und Europa gut zu finden. Europa war das, was mir unbeschwerte Reisefreiheit gab, was über die deutsche Provinz hinausging. Ja, es war ein Friedensprojekt und auch ein Wohlstandsprojekt, von dem ich, wie alle Deutsche, sehr profitierte.

Daran änderte sich für mich nichts, als Deutschland wiedervereint wurde. Im Gegenteil verstärkte sich dieses Gefühl noch dadurch, dass der Lauf der Geschichte in die richtige Richtung ging: Freiheit, Wohlstand, Demokratie, Menschenrechte für noch mehr Menschen.

Hat irgendwer, der die AfD wählt, einmal in deren Parteiprogramm geschaut?

Doch dann kam die AfD und mit ihr das Gegenmodell zu allen Werten, von denen ich glaubte, dass wir Deutschen, bei allen Unterschieden, sie teilen würden. Konkret meine ich die AfD, wie sie heute in Erscheinung tritt und über die Jahre hin immer unerträglichere Positionen eingenommen hat.

Hat irgendwer, der diese Partei wählt, einmal in deren Parteiprogramm geschaut? Schaut in deren Parteiprogramm, lest was da steht. Hört, wen die AfD hofiert und wo sie ihre ethischen Maßstäbe hat. Diese Partei verfolgt ein illiberales und antiemanzipatorisches Weltbild, gepaart mit selbstschädigenden Zielen, wie dem Austritt Deutschlands aus der EU und dem Euro. Und so wie die AfD "die berechtigten Interessen von Russland" berücksichtigt sehen will und damit Freiheit und Menschenrechte verrät und für billiges Gas und Öl eintauschen möchte, kann man nur noch von Landesverrätern sprechen.

Landesverräter – ein kontaminiertes Wort. Wurde es doch in der Vergangenheit schändlich gebraucht. So schändlich, dass man es eigentlich nicht mehr benutzen sollte. Früher wurde es vom rechten politischen Spektrum benutzt, um all jene zu diffamieren, die das Land nicht über die Werte einer zivilisierten Gesellschaft stellen wollten. Da galt: "right or wrong, my country" – "Recht oder Unrecht, mein Land!"

Nein, da wo Recht ist, da ist mein Land. Dieses Land liebe ich, weil ich das Menschenrecht liebe. Wo ich geboren wurde, dafür kann ich nichts. Auf seine Geburt stolz zu sein ist sehr billig. Was man liebt und für was man einsteht, darauf kommt es an. Denke ich an die AfD, dann fällt mir nur noch ein: "my country is wrong" – "Mein Land liegt falsch".

Wer will denn ernsthaft in Putins Russland leben?

Mein Deutschland ist das Deutschland, das eben nicht für billiges Gas und Öl ein von einem Diktator überfallenes Land seinem Schicksal überlässt. Das keinen Staat hofiert, der Oppositionelle einsperren, misshandeln und töten lässt. Bei allen Fehlern und Unzulänglichkeiten ist "der Westen" mein Westen, weil es dort mit den Menschenrechten noch immer besser steht, als sonst irgendwo in der Welt.

Ich mag auch die ständigen Relativierungen nicht mehr hören, dass doch auch bei uns dies und das Verbrechen an Menschen stattfindet. Im System des Westens ist es angelegt, dass Fehler gemacht werden, aber auch, dass aus Fehlern gelernt wird und dass sich die Dinge verbessern können. Das ist in den Ländern nicht der Fall, aus denen Menschen fliehen. Und wo fliehen sie hin – in den Westen. Wer will denn ernsthaft in Putins Russland leben oder in einer der anderen Diktaturen?

Zu Zeiten des Kalten Krieges und der Teilung Deutschlands fand ich den Spruch "Dann geh' doch rüber, wenn es dir hier nicht gefällt" schrecklich, und ich empfinde noch heute so. Er kam aus dem Mund unsympathischer Kleingeister, die damals Kritikern von Zuständen im Westen die Übersiedlung in die DDR empfahlen. Dabei war Kritik am Westen berechtigt, und der Spruch die Art von "right or wrong, my country", mit der ich mich absolut nicht identifizieren konnte.

Heute möchte ich den AfD-Leuten zurufen: "Geht doch rüber nach Putin-Russland, wenn ihr dessen 'berechtigte' Politik zur Unterdrückung des eigenen Volkes, eines Angriffskrieges zur Landnahme und die Unterstützung weltweiter menschenrechtsverachtender Diktaturen so gut verstehen könnt und für euch im Grunde der Westen an allem Schuld ist."

Tatsächlich sehe ich die Parteinahme für Putins Russland als Verrat an. Als Verrat an den Werten, von denen ich überzeugt bin, dass mein Land noch immer dafür steht. In diesem Sinne ist die AfD für mich zu einer Partei der Vaterlandsverräter geworden. Sie besorgen das Geschäft der Diktaturen und Möchtegern-Diktaturen, reden einer illiberalen Gesellschaft das Wort und schwächen so mein Land, weil sie dessen Werte untergraben. Und nicht nur das. Auch materiell und als Wissenschaftsstandort würde das Land großen Schaden nehmen, wenn die AfD ihre Politik durchsetzen könnte. Ganz im Sinne und zum Vorteil von Putin und anderen Diktatoren.

Ich aber liebe mein Land. Ganz bestimmt nicht im Sinne von "right or wrong, my country", sondern weil ich nach wie vor glaube, dass ich mich mit einem Land identifiziere, dass für Werte steht – für Freiheit, Selbstbestimmungsrecht der Menschen, Solidarität, Menschenrechte und eine Friedfertigkeit ohne Verrat an seinen Werten.

Wie gut haben die Demonstrationen Anfang letzten Jahres getan, als die Menschen gegen die AfD und für die Demokratie so zahlreich auf die Straßen gingen. Für mich ist sie nicht die Alternative für Deutschland, sondern es sind die VvD – die Verräter von Deutschland.

So bin ich unversehens zum Patrioten geworden, dank der AfD.

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