Islam und Rechtspopulismus

Vergesst Pegida!

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Pegida-Demonstration am 12. Januar 2015 in Dresden
Pegida-Demonstration am 12. Januar 2015 in Dresden

ASCHAFFENBURG. (hpd) Die Pegida-Demonstrationen mit ihrer Drohkulisse einer “Islamisierung des Abendlandes” und die Morde von Paris haben wieder einmal eine Debatte über die Rolle des Islams in Europa in Schwung gebracht. Das Thema ist Gesprächsstoff, vom Feuilleton bis zum Stammtisch. Doch leider beherrschen unsinnige Vorwürfe, unsinnige Forderungen, unsinnige Hoffnungen die Diskussion. Politische Perspektiven auf gesellschaftliche Veränderungen eröffnen sich daraus nicht.

Das liegt zu einem guten Teil daran, wie die Debatte geführt wird. Die Auftritte von Pegida (und ihrer diversen Ableger und Nachahmer) folgen weitestgehend dem Muster “Stimmung statt Politik”. Die Stichhaltigkeit der zentralen Befürchtung steht in einem umgekehrt proportionalen Verhältnis zur emotionalen Erregung, mit der sie vorgetragen wird. Denn worin soll denn eine “Islamisierung des Abendlandes” bestehen? In Deutschland leben (wenn wir die großzügigsten Schätzungen zugrundelegen) etwa 4 Millionen Muslime, in manchen anderen EU-Staaten liegt die Quote etwas höher.

Von der Situation, dass diese Minderheit einigen hundert Millionen Europäern “den Islam” aufzwingt, sind wir heute wohl noch ziemlich weit entfernt und werden wir auch 2022 noch ziemlich weit entfernt sein, so scheint mir. (Wer sich ansehen will, wie ein Land islamisiert wird, sollte den Blick auf die Türkei richten, wo Erdogan und seine Partei gerade zielstrebig das politische und das Bildungssystem entsprechend umformen.)

Die von Pegida erhobenen politischen Forderungen wirken schräg, auch in den Punkten, die sachlich richtige Elemente enthalten. Natürlich ist es richtig, “Widerstand gegen eine frauenfeindliche, gewaltbetonte politische Ideologie” zu leisten. Und selbstverständlich findet sich im orthodoxen Islam eine massive Abwertung der Frau. Aber die Berufung auf eine “christlich-jüdisch geprägte Abendlandkultur” eröffnet hier nur sehr bedingt Alternativen. Denn frauenfeindliche Positionen lassen sich im christlichen Fundamentalismus ebenfalls zuhauf feststellen.

Wenn in dem im Dezember vorgelegten “Positionspapier” (etwas verquast formuliert) die Abschiebung straffällig gewordener Einwanderer gefordert wird, spricht daraus unverhohlene Fremdenfeindlichkeit. Denn warum sollten Menschen in Istanbul, Kairo oder Teheran Kriminelle besser ertragen können als Menschen in Dresden, Köln oder Würzburg? An diesem Punkt zeigt sich die Wagenburgmentalität abendlandschützerischer Vorstellungen sehr deutlich: Anstatt nach politischen Lösungen für bestehende Probleme zu suchen, sollen diese einfach aus dem eigenen Gesichtskreis geschoben werden. Dass Fundamentalismus oder Kriminalität auf diese Weise aus der Welt verschwinden, ist jedoch eher unwahrscheinlich.

Dieser Politikverzicht ist typisch für die Auseinandersetzung der Abendlandschützer mit dem Islam als politischem Faktor. Es dominieren allgemein gehaltene Vorwürfe, die noch dazu falsch adressiert werden. Es lässt sich schwer bestreiten, dass der Prophet Mohammed (sofern seine Taten im Koran und in den Überlieferungen historisch halbwegs korrekt beschrieben werden) nach heutigen Maßstäben ein Kriegsverbrecher war.

Doch was hat diese allgemeine Feststellung mit den heute in Europa lebenden Muslimen zu tun? Wer etwa Franz Buggles Buch “Denn sie wissen nicht, was sie glauben” gelesen hat, weiß um entsprechend unmenschliche Stellen in den heiligen Schriften der Christen (auch im Neuen Testament) – doch wie viele Christen machen diese zur Richtschnur ihres Handelns?

Die Abendlandschützer setzen hier Identität voraus, wo diese im Einzelfall erst nachzuweisen wäre. Die Vorstellung, dass alle Muslime buchstabengetreu dem Koran und dann auch noch den Gewalt rechtfertigenden Versen folgen, ist zunächst nicht mehr als eine Unterstellung.

Islamisierung mal ganz anders verstanden

Zugespitzt ließe sich sagen: die Abendlandschützer betreiben durch ihre pauschalisierende Herangehensweise eine “Islamisierung” der hier lebenden Muslime oder besser: all der Menschen, die oder deren Eltern oder Großeltern in einem Land des islamischen Kulturkreises geboren wurden.

Die immer wieder erhobene Forderung, die abendländische Kultur zu erhalten und zu schützen, zeigt, dass für Pegida & Co die Trennlinie offenbar zwischen “Morgenland” und “Abendland” verläuft. Doch Kulturkreise sind selten homogen, die communities der Migranten sind es ebenfalls nicht und von religiösen Normen (von wem auch immer erhoben) abweichendes Verhalten findet sich überall.

Den Abendlandschützern scheint nicht aufzufallen, dass nicht sie es sind, die in erster Linie bedroht sind. Viele, wahrscheinlich sogar die Mehrheit der Opfer von Islamismus und orthodoxem Islam sind Musliminnen und Muslime: der wegen “Glaubensabfall” in Mauretanien zum Tode verurteilte Blogger Mohamed Cheik Ould Mohamed, die im Namen der Ehre getöteten Töchter und Schwestern, die bei Selbstmordattentaten von Bagdad bis Kabul zerfetzten Passanten usw. usf.

Auch dass Umfragen zufolge etwa ein Viertel der Eingewanderten mittlerweile als ungläubig oder religiös desinteressiert gezählt werden muss und eine schwer abzuschätzende Zahl an Muslimen (ganz ähnlich wie viele nominelle Christen) einen “Islam light” praktizieren, wird nicht wahrgenommen. Es passt wohl nicht ins identitäre Konzept.

Und hier treffen sich bizarrerweise Pegida und ihre Gegner. Die Vorstellung, dass Menschen aus Ländern des islamischen Kulturkreises Muslime sind und sich selbstverständlich auch so verhalten, gewissermaßen wie im Lehrbuch beschrieben, durchzieht die deutsche Politik quer durch die Lager. Das Statistische Bundesamt sieht in jedem Algerier, Türken usw. einen Muslim, Integrationspolitiker setzen auf Religionsförderung und die konservativen islamischen Verbände beanspruchen der Politik gegenüber, “die Muslime” zu vertreten – obwohl sie Schätzungen zufolge nur etwa 15 Prozent dieser Bevölkerungsgruppe tatsächlich organisieren. Und die Politik lässt sich darauf ein: Solange geredet wird, sitzen säkulare und liberale Muslime mit am Tisch; sobald aber über Posten, Zuschüsse und Privilegien verhandelt wird, sind die Partner die konservativen religiösen Verbände (die einzige Ausnahme stellt bislang die alevitische Gemeinde dar).

Ziel einer ganz großen Parteienkoalition ist es mittlerweile, die Privilegien, welche die beiden großen christlichen Kirchen genießen, auf “den Islam” auszuweiten. Die Motivationen sind vielfältig und nicht bei allen Protagonisten gleich, was an dieser Stelle aber nicht weiter erörtert werden soll. Hier geht es um die “Nebenwirkungen”. Da das überkommene Staats-Kirchen-Recht völlig auf die katholische Kirche sowie die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) zugeschnitten ist, gab es von Anfang an Probleme mit der Pluralität der islamischen Gemeinden, da der Islam eine einheitliche Organisationsform im Stile der Kirchen nicht kennt. In der Folge suchten sich die Landesregierungen ihre Verhandlungs- und Vertragspartner. Dass die sunnitische Orthodoxie, allen voran die DITIB, der verlängerte Arm von Erdogans Religionsbehörde, dabei das Rennen machte, sollte niemanden verwundern.

Was diese Weichenstellung langfristig für die Inhalte des Islamischen Religionsunterrichts bedeutet, ist noch nicht absehbar, da die Modelle in den einzelnen Bundesländern derzeit noch sehr unterschiedlich ausgestaltet sind. Aber dass der Islamunterricht eine Wirkung entfaltet, die über die staatlich finanzierte Missionierung des christlichen Religionsunterrichts hinausgeht, liegt auf der Hand. Denn allein seine Existenz setzt muslimische Schüler oder solche, die vom Staat dafür gehalten werden, unter Bekenntnis- und Konformitätsdruck. Wer seine (oder ihre) Apostasie bislang ohne großen Aufwand verbergen konnte, ist nun gezwungen, öffentlich sichtbar ein Bekenntnis abzulegen. Wer das nicht will, muss gute Miene zum bösen Spiel machen, in den Religionsunterricht gehen und seine tatsächlichen Ansichten verschweigen. Das ließe sich auch “Islamisierung” nennen.

Sicherheitspolitik vor Religionsfreiheit

Der Aspekt der Religionsfreiheit spielt in der Islampolitik der Parteien eine völlig untergeordnete Rolle. Nicht nur bei der Einrichtung des Islamunterrichts ist die Handschrift der Sicherheitspolitiker deutlich zu erkennen und in deren Denken spielen Rechte und Bedürfnisse des Individuums für gewöhnlich keine Rolle. So wird die Notwendigkeit eines staatlich kontrollierten Islamunterrichts vor allem damit begründet, Kinder dadurch vom Besuch des Koranunterrichts in “Hinterhofmoscheen” abzuhalten und so ihre drohende Radikalisierung zu verhindern. Seit Kurzem wird diese Argumentation noch durch eine neue rhetorische Strategie ergänzt: Da Anschläge angeblich vor allem durch Muslime verübt werden, die in säkular orientierten Familien aufwuchsen und deshalb nichts über den Islam wussten, hätte ihr Weg in den Fundamentalismus verhindert werden können, wenn ihnen in der Schule rechtzeitig beigebogen worden wäre, dass der Islam die Religion des Friedens ist…

Dass derlei Vorstellungen eher aus dem Wunsch geboren sind, “der Islam” möge sich in das bestehende System der Privilegierung religiöser Organisationen einbinden lassen, als dass sie Realität abbilden, ist offensichtlich. Denn dem Islam wohnt – wie dem Christentum auch – ein universaler Geltungs- und absoluter Wahrheitsanspruch inne, dessen Zähmung besser nicht dem theologischen Personal überlassen werden sollte. Wie schwer es islamischen Geistlichen – selbst wenn sie für den deutschen Staat arbeiten – fällt, ein Verständnis von Religions- und Weltanschauungsfreiheit zu entwickeln, zeigt der Auftritt des Imam Husamuddin Meyer in der Talkshow “Maybrit Illner” am 22. Januar. Meyer arbeitet seit 2008 als islamischer Gefängnisseelsorger für die JVA Wiesbaden und wird aus deren Etat bezahlt.

Auf die Frage nach einer Koranstelle, die Ungläubige niedriger als Tiere einstufe, antwortete er, dass hier ein Missverständnis vorliege. Der Mensch habe eigentlich eine höhere Bestimmung als die Tiere, weil er dazu berufen sei, die göttliche Schönheit zu erkennen. Wer diese Schönheit jedoch nicht erkenne, der irre umher, folge sozusagen seinen Instinkten: “Wenn aber sich ein Mensch, der eigentlich eine hohe Bestimmung hat von Gott, nachher benimmt wie ein Tier, dann ist er deswegen noch unter dem Level der Tiere.” Da blitzt sie auf, die Vorstellung, dass die Religion die einzige Quelle der Ethik ist und Ungläubige folglich keine Ethik haben (und sich deshalb “instinktgesteuert” wie Tiere verhalten).

Wie die staatlich finanzierte Verbreitung derart fundamentalistischen Gedankenguts in einer Gesellschaft mit über einem Drittel Konfessionslosen eine befriedende Wirkung haben soll, ist unklar. Und so hat die Behauptung, islamistischer Terror lasse sich durch die Stärkung des orthodoxen Islams bekämpfen, ihren Preis: Sie kostet die intellektuelle Redlichkeit. Auch nach den Morden von Paris fanden sich genügend Politiker – von Thomas de Maizière bis Thomas Oppermann –, die erklärten, dass die Verbrechen nichts mit dem Islam zu tun hätten.

Natürlich nicht. Wenn Mörder in die Redaktion einer Satire-Zeitschrift eindringen, gezielt Karikaturisten töten, die für religionskritische Cartoons bekannt sind, und danach mit den Worten, sie hätten den Propheten gerächt, gehen, hat das gewiss nichts mit Religion zu tun. Natürlich nicht. Denn zu erklären, warum religiös motivierte Morde durch die Förderung von Religion zukünftig vermieden werden könnten, ist eine Herausforderung. Da scheint es einfacher, den offensichtlichen Zusammenhang schlicht in Abrede zu stellen.

Der Nachteil dieser rhetorischen Strategie ist ihre Arroganz. Wer davon ausgeht, dass solch augenfällige Widersprüche unentdeckt bleiben, signalisiert damit unübersehbar, dass er (oder sie) die Bevölkerung für ziemlich einfältig hält. Und genau damit provoziert die herrschende Politik Proteste wie Pegida förmlich. Die Demonstranten von Dresden mögen vieles nicht richtig verstehen, aber dass ihnen hier von den Parteien und auch vielen Medien Quatsch erzählt wird, merken sie halt doch. (Zumal die Rolle des Islams in Europa beileibe nicht das einzige Thema ist, das die politischen Entscheidungsträger in diesem Stil kommunizieren, auch wenn es um das “Freihandelsabkommen” TTIP geht, wird im Brustton der Überzeugung ein X für ein U erklärt –um nur ein weiteres Beispiel zu nennen.)

Letztlich ist Pegida nicht mehr als eine Empörungswelle, wie es sie in den letzten 15 Jahren immer mal wieder gegeben hat. So wie es derzeit aussieht, wird sie keine bleibenden Folgen hinterlassen. Der Blick ins europäische Ausland zeigt jedoch, dass dies nicht so bleiben muss. Um langfristig zu verhindern, dass identitäre Argumentationen den Diskurs bestimmen und als “Islamkritik” maskierte Fremdenfeindlichkeit ein dauerhafter politischer Faktor wird, wird es nicht ausreichen, sich über Pegida zu echauffieren. Besser wäre es, Pegida zu vergessen und über gesellschaftliche Veränderungen zu diskutieren. Eine Kehrtwende in der Religionspolitik, die bislang auf eine Privilegierung ausgerechnet der Orthodoxie setzt, gehört in meinen Augen unbedingt dazu. Denn die Parolen von Pegida verhallen bereits, während die Strukturen, die durch die Ausweitung der Kirchenprivilegien auf islamische Verbände entstehen, ihre Wirkung noch in Jahrzehnten entfalten werden.