Humanisten, Säkulare und Skeptiker in Russland

moskau.jpg

Sonnenuntergangsstimmung über Moskau (Ausschnitt)
Sonnenuntergangsstimmung über Moskau

BERLIN. Wie ist die Lage von nichtreligiösen Menschen im Reich Wladimir Putins? Die heute in England lebende Mathematikerin Veronika Kuchta berichtet in einem Interview über die Entwicklung der Organisationen von Konfessionsfreien in der postsowjetischen Republik.

Kuchta ist unter anderem Mitglied der British Humanist Association, einem der größten und traditionsreichsten humanistischen Verbände weltweit, und als Russlanddeutsche sehr gut mit den Gegebenheiten in sowohl ihrem Geburtsland als auch der Situation in europäischen Staaten vertraut. Seit einigen Monaten versucht sie, die Russische Humanistische Organisation (ROG) mit ihren Erfahrungen aus Europa zu unterstützen. Denn deren Lage ist erschreckend schlecht. Und auch aus Skeptiker-Perspektive sieht es nicht gut aus in dem Land.

 

Frau Kuchta, Sie stehen seit längerer Zeit in engem Kontakt mit säkularen Organisationen in Russland. Wie ist die Lage der Verbände?

Veronika Kuchta: Ich muss ehrlich sagen, dass ich etwas geschockt war, als mir klar wurde in welchem Zustand sich die Russische Humanistische Organisation (RGO) befindet. Ich habe den heutigen Präsidenten der RGO, Yaroslav Golovin, im letzten Jahr auf dem World Humanist Congress in Oxford kennengelernt. Er hat mir damals erzählt, dass aufgrund der politischen Entwicklung der letzten 15 Jahre und der immer stärkeren Re-Klerikalisierung des Landes sich die Interessen der Menschen dramatisch verändert haben. Jahrelange hat eine gründlich ausgearbeitete Propagandamaschinerie die Weltanschauungen vieler russischer Bürger immer weiter von humanistischen Werten entfernt. Yaroslav Golovin hat mich damals eingeladen, der RGO zu helfen und meine Erfahrungen in der British Humanist Association – deren Mitglied ich seit mehr als zwei Jahren bin – mit den noch verbliebenen RGO-Mitgliedern zu teilen. Das war nun wirklich eine sehr gute Gelegenheit, mir ein sehr genaues Bild des gesamten Problems zu machen. Was ich feststellen konnte, ist es so, dass auch viele von den wenigen noch aktiven Mitgliedern außer der atheistischen Überzeugung keine weiteren humanistischen Werte mehr teilen. Ich fand es schockierend, als ich von mehreren Mitgliedern – die sich ja selbst als Humanisten bezeichnen – sehr viel Negatives über LGBT-Gruppen, eine sehr negative Einstellung zu Abtreibungen, die Befürwortung der Todesstrafe und Rechtfertigungen des Gerichtsurteils im Falle der Pussy Riot hörte.

 

Wie engagieren Sie sich denn konkret?

Wir haben nun zunächst im November 2014 ein Projekt gestartet: Jeden Sonntag treffen sich ca. zehn bis zwölf Mitglieder in der Skype-Konferenz und besprechen entweder humanistische oder organisatorische Fragen der RGO. So haben wir das Manifest der russischen Humanisten ausgearbeitet, darin kann man z.B. sehen, dass ein besonderer Wert auf eine demokratische Regierung gelegt wird, die die Rechte der Menschen auf Meinungsfreiheit unterstützt.

Darin deutlich wird auch eine klar ablehnende Position zu dem nicht so alten russischen Gesetz "über den Schutz der religiösen Gefühle", dessen Opfer Pussy Riot geworden sind und auch viele andere dieses Jahr zum Beispiel, die ihre Meinung zur Unterstützung von Charlie Hebdo äußerten. Die Idee dieses neuen Manifestes kam von Golovin, der damit die Werte und Ziele der russischen Humanisten besser hervorheben wollte.

Er berichtete mir zudem, dass einer der Gründe dafür, dass viele Mitglieder eigentlich keine "Humanisten" seien, darin läge: zur der Zeit, als die Organisation noch einigerweise funktionierte und sogar regelmäßig das humanistische Magazin herausgab, das war noch zu den Zeiten des ehemaligen Präsidenten und Gründers von RGO, Valerii Kuvakin, viele Mitglied der RGO wurden, weil sie dadurch die Möglichkeit sahen, ihre Schriften oder wissenschaftlichen Artikel zu publizieren. Dabei hatten die meisten von ihnen nur wenig Vorstellung von humanistischen Werten. Als das Magazin eingestellt wurde ist die RGO praktisch zerfallen.

Von den meisten regionalen Gruppen hört man nichts mehr, es gibt nur noch ein bis zwei richtig funktionierende "humanistische" Regionalgruppen. Eine davon ist die St. Petersburger Gruppe, die sich immer mehr in Richtung "kommunistischer Humanismus" entwickelt und eigentlich keine demokratischen oder liberalen Werte mehr vertritt. Von anderen Leitern der regionalen Gruppen habe ich gehört, dass die Menschen sich nicht mehr dafür interessieren oder die, die vielleicht noch ihre ehemalige Weltanschauung behalten haben, einfach Angst haben, sich in humanistischen Gruppen zu engagieren, weil sie damit leicht zu Staatsfeinden erklärt werden könnten. Also im Moment funktioniert in der RGO außer den wöchentlichen Skype-Konferenzen zwischen einem Dutzend Leuten eigentlich sehr wenig. Es gibt keine regelmäßigen Treffen, keine Konferenzen finden mehr statt. Sie wollen in diesem Jahr die jährliche Konferenz zum Welthumanistentag doch stattfinden lassen, nur ist es im Moment nicht klar, ob etwas daraus wird, und ob überhaupt jemand zu der Konferenz kommt.

Eine andere noch recht gut funktionierende säkulare Organisation ist die Good Sense Foundation (in etwa: Stiftung für geistige Gesundheit, d. Red.). Diese ist etwas besser organisiert als die RGO. Sie versuchen sich doch noch zu treffen und führen Konferenzen durch. Aber ich kann auch verstehen, warum sie doch noch besser funktionieren: sie versuchen einfach alle Fragen, die irgendwie die Politik betreffen würden, zu vermeiden. Als Beispiel kann ich sagen, dass sie sich zu den Anschlägen auf Charlie Hebdo überhaupt nicht geäußert haben. Sobald es um Menschenrechte oder politische Fragen geht, dann wird es eben sehr schwierig in Russland.

 

Wie war früher die Situation?

Noch bevor die Krise in der RGO begann, soll es wohl über 30 regionale Gruppen gegeben haben, verteilt über die gesamte Fläche Russlands. Diese Information findet man auf jeden Fall noch auf der Webseite der RGO. Laut dem heutigen Präsidenten ist es jetzt unmöglich herausrauszufinden, ob die Gruppen noch aktiv sind. Er sagte aber auch, dass es auch vor der Krise nicht klar war, wie aktiv die Gruppen waren, denn es gab nie einen richtigen Kontakt zwischen den meisten Gruppen und der Leitung der RGO in Moskau. Nachdem, was man online erfahren kann, gibt höchstens vielleicht noch drei aktive Gruppen: in Kirov, Astrakhan und St. Petersburg.

Die Gruppen in Kirov und St. Petersburg haben vor vielen Jahren schon einen – ich sage es mal so – besonderen Weg eingeschlagen. Deren humanistischen Werte basieren eher auf dem marxistischen Humanismus, was die führenden Kräfte in der RGO-Hauptstelle absolut nicht zufrieden gestellt hat und den Präsidenten dazu bewegte, das neue Manifest verfassen zu wollen. Yaroslav Golovins Begründung war, dass die kommunistischen Geschichte Russlands sehr deutlich gemacht hat, dass die Freiheiten der einzelnen Menschen minderwertig oder unbedeutend im Kommunismus sind – was dem modernen Humanismus der heutigen Zeit absolut widerspricht. Daher gingen diese beiden Gruppen ihre eigenen Wege. Die Astrakhaner Gruppe ist sehr ähnlich zur Moskauer, da gibt es nur wenige Mitglieder, die sich fast gar nicht treffen und ein wirkliches Problem haben, ihre Ziele zu formulieren.

Nur die Good Sence Foundation und einige Skeptiker-Gruppen in Moskau funktionieren wirklich noch als säkulare Organisationen, aber nur weil die Mitglieder ihre Arbeit strikt von jeder politischen Einmischung abgrenzen und sich eher auf die Popularisierung der Wissenschaft konzentrieren.

 

Wie ist denn die Altersverteilung bei den verschiedenen Gruppen?

Die wirklich aktiven Gruppen der Skeptiker und der Good Sense Foundation vereinen eher jüngere Leute. Die zwei "humanistischen" Gruppen in Kirov und St. Petersburg bestehen eher aus älteren Leuten, noch Erinnerungen aus früheren Zeiten in die Gruppen einbringen. Die Moskauer Gruppe der Humanisten ist ganz schön gemischt, was das Alter ihrer Mitglieder angeht.

 

Nicht nur das 2013 verschärfte "Blasphemie"-Gesetz hat Beobachter erschreckt, auch wegen seiner homosexuellenfeindlichen Gesetzesreformen war Russland oft in den Schlagzeilen in den vergangenen Jahren. Wie ist denn die generelle Lage für nichtreligiösen Menschen im Land?

Also dass nichtreligiöse Personen in Russland verfolgt werden kann man so nicht sagen, aber dass Nichtreligiöse, die auch für Menschenrechte eintreten oder sich auch irgendwie negativ über die Regierung äußern, verfolgt werden oder deren Handlungsfreiheit eingeschränkt wird, das ist garantiert. Wenn Nichtreligiöse zum Beispiel in einer öffentlichen Aktion den Menschen in Russland erklären wollen, dass die russische Verfassung eine klare Trennung zwischen Kirche und Staat vorsieht, dann wird es natürlich nicht durchkommen. Im Staatsfernsehen und den anderen staatlichen Medien wird man heute keine Sendungen, Berichte mit atheistischen, humanistischen, säkularen Themen mehr finden. In den Schulen werden nun viele Bücher, sogar für naturwissenschaftliche Fächer, von der Kirche zensiert.

Ich habe vor kurzem ein Foto gesehen, auf dem ein Buch mit dem Titel "orthodoxe Grundlagen der Biologie" abgebildet war – klingt unglaublich, aber das Foto war leider kein Fake. Und da kann man sich schon vorstellen, dass es in solcher Gesellschaft, die unter anderem auch von der orthodoxen Kirche "überwacht" wird, nicht einfach ist, sich als Nichtreligiöser zu äußern.