Analyse von Michael Ingber

Nach den Wahlen in Israel

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Michael Ingber
Michael Ingber

BERLIN. (hpd) Anders als zuvor prognostiziert, haben die März-Wahlen in Israel ein Ergebnis erbracht, dass es Ministerpräsident Netanahu wieder ermöglicht, ein weiteres Kabinett zu bilden. Die rechtsorientierten Parteien haben erneut die Mehrheit der Wählerstimmen erhalten.

Mit einer Initiative zugunsten eines Friedensprozesses mit den Palästinensern ist deshalb nicht zu rechnen, wohl aber mit der Fortführung der Siedlungspolitik. Allerdings ist mit einer schwierigen Regierungsbildung zu rechnen, es gibt bekanntlich große Probleme im ökonomischen und sozialen Bereich, was in den letzten Jahren auch zur Herausbildung einer Sozialbewegung geführt hatte.

Michael Ingber, israelischer Staatsbürger, Historiker und Politikwissenschaftler, engagiert sich seit rund zwanzig Jahren in Friedensaktivitäten im Rahmen im Rahmen des Israel-Palästina-Konfliktes. In einer Exklusivstellungnahme für den hpd nimmt er zum Wahlergebnis in Israel Stellung und analysiert die gegenwärtige Lage. (W.O.)


 

Wie erwartet, und wie auch logisch angesichts der Wahlergebnisse, erhielt der Chef der Likudpartei, B. Netanyahu, den Auftrag, eine Koalition bzw. eine Regierung zu bilden. Aufgrund der Wahlergebnisse sollte er keine großen Schwierigkeiten haben, dies zu tun: Die Unterschiede zwischen den Parteien auf der rechten Seite des politischen Spektrums Israel – die die Mehrheit der Sitze im Parlament gewannen - in Bezug auf die "Palästina"-Frage, sowie auch hinsichtlich der Position im Iran-Disput, sind gering; bei eventuellen Streitpunkten ginge es (nur) um Tempo und Ausmaß der Erweiterung der Siedlungen und um die richtige Strategie für die Verschiebung einer Entscheidung über die minimalen Zugeständnisse, die man den Palästinensern anbieten könnte.

Aspekte der Koalitionsverhandlungen – Einigung möglich?

Auch an der internen Front sollten die Parteien Verständigungen erreichen können. Netanyahu wird auf keinen Fall seine neo-liberale Philosophie aufgeben, aber um seine Popularität zu stärken ist er sicher bereit, dem Vertreter der Benachteiligten, M. Kahlon (Partei "Kulanu"), den Posten des Finanzministers zu geben und damit den entsprechenden Freiraum. Hier könnte es doch zu Reibungen führen, wenn Kahlon die Vergünstigungen, die die Siedler genießen, verkleinern will, um seinen Unterstützern mehr vom Kuchen zu geben; außerdem könnte er versuchen, die Macht der finanziellen Elite anzutasten (das sind etwa 15 Familien, die 60 Prozent des privat Vermögens in ihren Händen haben – die zweitgrößte Kluft (nach den USA) zwischen Arm und Reich in der westlichen Welt).

Bei den ultra-orthodoxen Parteien sind die wichtigsten Fragen die soziale Unterstützung ihres Publikums, die zum Teil das Publikum von Kulanu überlappen, und die Befreiung von säkularen und zionistisch-nationalen Aufgaben, z.B. von der Pflicht, Fächer eines nicht religiösen Kern-Curriculums in ihren Schulen zu unterrichten, und von der Wehrpflicht für die jungen Männer der Gemeinschaft. Auch hier könnten die finanziellen Forderungen zu schweren Auseinandersetzungen bei der Budgetbestimmung führen, aber das Bewusstsein, dass ein Koalitionskollaps für alle schlecht wäre, wird wahrscheinlich als starker Klebstoff funktionieren.

Erneuerung eines Friedensprozesses ohne Chance

Mit einer solchen Regierung haben die Erneuerung eines "Friedensprozesses" oder von ernstzunehmenden Verhandlungen kaum Chancen. Solang der diplomatische und in erster Linie der wirtschaftliche Druck von draußen nicht sehr bedrohend scheinen, wird Netanyahu keinen Grund sehen, seine Politik in bedeutender Weise zu ändern. Beruhigende Schritte hat er schon in den letzten Tagen gemacht, etwa die Zulassung der vor der Wahl einbehaltenen Zahlungen an die Palästinenser, aber sein Rückzug von der Aussage, es werde unter ihm keinen palästinensischen Staat geben, wird keine bedeutsamen Folgen haben.

Von der jüdisch-zionistischen Opposition, die durch politische und nicht weniger persönliche Uneinigkeiten bezeichnet ist, kann man kaum eine effektive, eindeutige Stimme erwarten. Die führenden Persönlichkeiten sind ohne Charisma und auch die ideologische Nähe zu der Regierungspolitik besudelt ihre Botschaft, wie während des Wahlkampfes selbst. Der Unterschied ist mehr einer von Grad als von Wesentlichem (Herzog hat auch gesagt, ein Abkommen zu erreichen, könnte noch fünf Jahre dauern, und Livni zeigt keine Änderung in ihrer anti-arabischen/palästinensischen Einstellung).

Aus der Sicht der Befürworter einer echten Demokratie und der Respektierung der Menschenrechte in Israel ist die Vereinigte Front (der arabischen Parteien) der einzige Lichtblick. Schon in den letzten Wochen haben sie Demonstrationen gehalten für die Anerkennung vieler bis jetzt schwer vernachlässigten Siedlungen von Beduinen und anderen Arabern sowie gegen den Regierungsplan, Beduinen im Süden des Landes (Negew) aus ihren traditionelle Ländereien zu vertreiben; moralische Unterstützung haben sie schon vom israelischen Staatspräsident zugesprochen bekommen. Aber auch ihnen könnte man die Frage stellen, ob sie nicht Solidarität mit den Asylwerbern aus Afrika zeigen und deren Rechte unterstützen sollten, während die israelische Regierung solche Asylbewerber mit drei jahrelanger Abschiebehaft in der Wüste bestraft wegen der Überschreitung der Grenzen, bevor sie tatsächlich abgeschoben werden (oder getauscht werden gegen Waffen, beispielsweise mit Uganda).

Ist mehr Druck der Weltgemeinschaft auf Israel erforderlich?

Verschiedene scharfsinnige Kenner der Situation auf der "linken" Seite, wie u.a. der Journalist Gideon Levy und der Friedensaktivist Uri Avnery haben schon bemerkt, dass eine weitere Regierung von Netanyahu und den Rechten der Sache des Friedens positiv dienen könnte; dies deshalb, weil unter diesen Umständen sich die Ungeduld der Weltgemeinschaft stärken würde, mit dem Ergebnis, mehr diplomatischen und wirtschaftlichen Druck auf Israel auszuüben. Dabei ist die Hauptfrage, ob die Europäer den Mut finden würden, eine solche Kampagne zu führen, vielleicht im Rahmen der UNO (wie vom französischen Außenminister neulich vorgeschlagen).

Es ist kaum denkbar, dass die USA, trotz der Verschlechterung der Beziehungen Israels zur Obama Administration, ihre traditionelle pro-Israel Politik ändern würden – vor allem mit einem von Republikanern geführten Kongress (und vielleicht auch Präsidenten); trotzdem könnte eine Isolierung der USA und Israels in Weltforen zu einem Nachdenken führen.

Mögliche Schritte seitens der EU wären die eindeutige Anerkennung des palästinensischen Staates, das Verbot der Einführung von Produkten aus den nach dem Völkerrecht illegalen israelischen Siedlungen in den palästinensischen Gebieten (heute ist der Wert solcher Produkte ein Vielfaches desjenigen, was von den Palästinensern eingeführt wird), und - mit Schweden als Vorbild - die Einschränkung von Waffenlieferung an Israel, wenn auch aus "europäischen Gründen" ein totaler, sofortiger Stopp nicht in Frage käme.

Nicht weniger wichtig wäre eine Forderung an Israel, die Belagerung Gazas sofort zu beenden; eine Ablehnung sollte zu einer direkten politischen Konfrontation führen. Sonst – was hat die Weltgemeinschaft, und insbesondere die Europäer, aus dem tragischen 20. Jahrhundert gelernt?

Ein-Staat-Lösung: mehr als eine Option?

Und was bedeutet die jetzige Situation für die Palästinenser? Auch innerhalb der Führung der Palästinensischen Autonomiebehörde gibt es Funktionäre, die die Hoffnung auf eine Zwei-Staaten-Lösung aufgegeben haben; Netanyahus jüngste Ablehnung dieser Lösung dient(e) nur als Stärkung der Meinung, dass ein unabhängiger, lebensfähiger palästinensischer Staat nicht mehr zustande kommen kann, und dass sich die Ein-Staat-Lösung durch die israelische Siedlungs- und Erweiterungspolitik tagtäglich verwirklicht.

Nach diesem Szenario sollte der Kampf der Palästinenser auf einen demokratischen Staat für alle Bewohner des Landes zwischen Jordan und Mittelmeer orientiert sein. Die Befürworter dieser Option behaupten, dass mehr als zwanzig Jahre Beschäftigung mit der Zwei-Staaten-Lösung die Palästinenser nicht näher an ihr Ziel gebracht hat. Die Argumente dafür und dagegen sind bekannt, und müssen nicht hier wiederholt werden; es gibt unter dem Titel "Ein-Staat-Lösung" auch mehrere Variationen. Unter den Juden ist das eine "no-go"-Frage, der Status quo ist wahrscheinlich die bevorzugte (Nicht-) Lösung. Aber auf Dauer ginge das nicht: Angesichts der israelischen Intransigenz, verlangen schon die Organe der PLO ein Ende der gemeinsamen Sicherheitsarbeit mit Israel, was eine viel kompliziertere Situation für Israel bedeuten würde.

Es wäre interessant und wichtig über Entwicklungen in der palästinensischen Gesellschaft in den besetzten Gebieten West Bank, Gaza und Ost-Jerusalem zu reden, aber dies würde den Rahmen des jetzigen Artikels sprengen. Hoffentlich wird es eine andere Möglichkeit dafür geben.

 


Einige weitere Stellungnahmen von Michael Ingber:
Gaza: Die israelische Politik und die menschliche Katastrophe
Fundamentalismus im Judentum und in der jüdisch-israelischen Gesellschaft im Staat Irael
Lehren und Folgerungen aus dem Holocaust, über Antisemitismus und Islamophobie