Protokolle des NSA-Untersuchungsausschusses durch WikiLeaks veröffentlicht

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BERLIN. (hpd) Die Enthüllungsplattform WikiLeaks hat am 12. Mai 2015 zehnmonatige Mitschriften aus dem laufenden NSA-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages im Internet veröffentlicht. Es handelt sich um einen 1380 Seiten umfassenden Bericht. Dieser beinhaltet auch Aussagen von 34 Zeugenbefragungen, einschließlich 13 verdeckte Zeugenbefragungen an den Bundesnachrichtendienst (BND). Die Mitschriften protokollieren den Zeitraum von Beginn der Untersuchung im Mai 2014 bis Februar 2015, wie WikiLeaks bekannt gab.

Die Sitzungen des NSA-Untersuchungsausschusses, der seit 2013 die globale Massenüberwachung und deren Spähaffäre aufklären sollen, sind in öffentliche und nicht öffentliche Teile eingeteilt. Deswegen haben Zeugen, die meist im Beistand eines Rechtsanwalts aussagen, die Möglichkeit, einige Aussagen unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu machen, wenn ein bestimmtes Detail ein Sicherheitsrisiko darstellt oder das Persönlichkeitsrecht verletzt werden könnte. Vertreter einzelner Bundesministerien und des Kanzleramts sind in der Regel bei allen Sitzungen anwesend, um gegebenenfalls einen Antrag zu stellen, dass nichtöffentliche Sitzungen angeordnet werden können. Die Protokolle der öffentlichen Sitzungen können bei der Seite Netzpolitik.org nachgelesen werden.

Die Protokolle der nichtöffentlichen Sitzungen wurden nun von WikiLeaks enthüllt. Diese Berichte sind nicht sehr ausführlich, da unter Polizeibeobachtung besonders darauf geachtet wurde, dass keine Abschriften erstellt oder technischen Aufnahmegeräte während der nichtöffentlichen Sitzungen benutzt wurden. In diesem Bericht wird auf den BND 1.782-mal, die NSA 1.671-mal, die CIA 179-mal, Edward Snowden 201-mal und die Kanzlerin 14-mal verwiesen.

Der Gründer und Chefredakteur Julian Assange sagte dazu, dass nur mit öffentlicher Kontrolle dieser Ausschuss Transparenz und Gerechtigkeit erlangen kann. Er sagte: "In dieser wichtigen Untersuchung des Bundestages ist die deutsche und internationale Öffentlichkeit geschädigt worden. Der Zweck dieser Untersuchungen dient dazu festzustellen, wer für die Schädigung der sehr zahlreichen Menschen und den Verletzungen ihrer Rechte verantwortlich ist, und wie diese Verstöße begangen wurden. Als Geschädigte hat die Öffentlichkeit ein Recht auf Fragen eine korrekte Antwort zu erhalten. Es ist nur durch wirksame öffentliche Aufsicht möglich, dass diese Untersuchungen mit dem Ziel von Transparenz und Gerechtigkeit erfüllt werden können."

Der Untersuchungsausschuss arbeitet die Spionageaffäre durch den US-Geheimdienst NSA und den BND auf. Einige Medien werfen WikiLeaks vor, sich damit wieder ins Gespräch zu bringen, aber sie bestätigen trotzdem, das dieser jüngste "Leak" nicht ganz ohne Brisanz ist.

Christian Flisek, der SPD-Obmann im Ausschuss, bestätigte am gleichen Tag, dass er sich immer dafür ausgesprochen habe, "dass auch nicht öffentliche Teile der Protokolle, die nicht geheimhaltungsbedürftig sind, zugänglich gemacht werden". Mit der Veröffentlichung bei WikiLeaks sei "früher oder später zu rechnen" gewesen. Warum er sich nicht selbst dafür eingesetzt hat, bleibt bei seiner Feststellung offen.

Der Vorsitzende Patrick Sensburg (CDU) sagte selbst Mitschriften öffentlicher Zeugenaussagen in der Spähaffäre seien mitunter problematisch. Vertraulichkeitslücken wie die aktuelle werde man allerdings nicht verhindern können. "Wer es drauf anlegt, wird auch nicht offizielle Informationen bekommen, Sitzungsprotokolle zum Beispiel wandern schon rein organisatorisch durch viele Hände." Eine interne Untersuchung des Lecks lehnte er ab. "Ich kann nur an WikiLeaks (WL) appellieren, sich künftige Veröffentlichungen genau zu überlegen. Für die Aufklärung der Sache sind diese Offenlegungen jedenfalls nicht hilfreich" betonte der Vorsitzende aus seiner Sicht.

Es kam aber bei den Zeugenaussagen in diesem Ausschuss zu mehreren Skandalen, die der Öffentlichkeit nicht bekannt waren. Zum Beispiel in der 26. Sitzung stellt sich heraus, dass ein Brief aus der Staatskanzlei direkt an Kai-Uwe Ricke gesandt wurde, der von 2002 bis 2006 CEO der Deutschen Telekom AG war. In diesem Brief fordert die Staatskanzlei die Unterstützung der Deutschen Telekom an, die kontinuierliche Massenüberwachung von deutschen und internationalen Telekommunikationsdaten durch die Telekom Frankfurt zu erleichtern. Dieser Vorgang, mit dem Codenamen "Eikonal", sah dann vor, diese Abschnitte vom BND an die NSA zu übergeben.

Der Brief war adressiert an Ricke und markiert, um persönlich von ihm gelesen zu werden. In der Untersuchung behauptete Ricke, dass er so einen Brief noch nie gesehen hatte. Gemäß diesem Brief wurde allerdings der von dem BND geforderte Zugriff von der Telekom zugelassen. Nach diesem gesandten Brief wurde die Aufforderung durch den BND-Zugriff zugelassen. Es wurde allerdings nicht erlaubt, dass dieser Brief dargestellt oder vollständig bei diesem NSA-Untersuchungsausschuss diskutiert werden durfte. Die Tatsache jedoch, dass dieser Brief die Komplizenschaft bei der Zusammenarbeit zwischen Regierung und Telekom darstellt, waren bisher unbekannt und können nun in diesem Ausschuss neu beleuchtet werden. Die veröffentlichten Abschriften dokumentieren auch das Fehlen eines vollständigen öffentlichen Datensatzes einer Zeugenbefragung.

In mindestens drei Fällen widerlegt die Aussage eines Zeugen aus der öffentlichen Sitzung dessen Aussage aus der nichtöffentlichen Sitzung. Die Abschriften zeigen auch, dass der Ausschuss in seiner Fähigkeit beeinträchtigt wurde, Zeugen richtig zu befragen. In einem Fall wurde die Sitzung sogar unterbrochen, weil die Zeugen redigierte Dokumente für ihre eigene Vorbereitung erhielten, während die Parlamentarier im Ausschuss nur eine geschwärzte Version vorgelegt bekamen.

Einer der größten Skandale der Befragungen ist der jüngste "Selektoren"-Spionageskandal, bei der anhand einer Liste von einem BND-Beamten offenbart wurde, dass vom Bundesnachrichtendienst erwartet wurde, Tausende von Zielen auf Anweisung der NSA auszuspionieren. Diese Ziele waren Mitglieder der französischen Regierung und der europäischen Industrie, um Deutschlands Eignung als führende Rolle in der Europäischen Union zu festigen. Es zeigte auch die internationale Zusammenarbeit bei der Massenüberwachung der Geheimdienste, was aber in der Öffentlichkeit als Maßnahme zur Bekämpfung des Terrorismus vermarktet wurde. In der Praxis wurde dies auch von den Vereinigten Staaten für die Zwecke von Industriespionage und geopolitischen Vorteil gegenüber Mitgliedern der Europäischen Union angewendet.

Der Ausschuss forderte den BND auf, die volle "Selektoren"-Liste von Zielen, die der BND von der NSA zur Verfügung gestellt bekommen hat, offenzulegen. Der Ausschuss erfuhr, dass die USA zuerst die Berechtigung für die Offenbarung dieser Liste an den Ausschuss (auch im Vertrauen unter Freunden) genehmigen lassen müsste. Die deutsche Öffentlichkeit und dieser parlamentarische Ausschuss verließen die bisherigen Befragungen ohne jede Möglichkeit zu verstehen, was ihr eigener Geheimdienst eigentlich macht. Die Veröffentlichung und die Bekanntgabe der "Selektoren" Liste sind dringend notwendig geworden, damit dieser wichtige Ausschuss seine Befragungen richtig lenken kann. Nur durch eine exakte Analyse und den vollständigen Mitschriften wird es für die Öffentlichkeit und die Medien gleichermaßen möglich sein, einen gleichermaßen zitierbaren Rechenschaftsbericht über diesen Ausschuss zu erhalten.

Im Bundestag stößt der Vorschlag des Einsetzens eines Sonderermittlers im NSAUA auf Widerstand, nicht zuletzt bei den Grünen. "Ich halte davon gar nichts, und zwar völlig unabhängig von der Person", sagte Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz. Bei der SPD gibt es für diesen Vorschlag ebenfalls Bedenken. "Das Parlament muss die Listen in den zuständigen Gremien, also im NSAUA und im Parlamentarischen Kontrollgremium einsehen können", sagte von Notz. Er gehe davon aus, dass ein Sonderermittler dem Kontrollgremium und dem Untersuchungsausschuss umfassend berichten würde und den Mitgliedern der Gremien auch Details der Liste offen legen würde, sagte der SPD-Abgeordnete Burkhard Lischka. "Sonst macht das wenig Sinn."

Der NSA-Untersuchungsausschuss hat auf einer Sondersitzung am gestrigen Mittwoch mehrere BND-Mitarbeiter befragt, bevor am heutigen Donnerstag BND-Präsident Gerhard Schindler dem Ausschuss Rede und Antwort stehen wird.


Übernahme von Pressenza