BONN: (hpd) Der Sozialwissenschaftler Gregor Kritidis legt mit "Wolfgang Abendroth oder: 'Rote Blüte im kapitalistischen Sumpf'" eine Darstellung zu und Edition von Texten von Wolfgang Abendroth vor. So entsteht ein informatives Bild von dem ersten marxistischen Hochschullehrer in der Nachkriegsbundesrepublik, wobei dem Band eine apologetische Dimension eigen ist.
Wolfgang Abendroth (1906–1985) war einer der Gründungsväter der Politikwissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland. Nach seiner 1948 erfolgten Berufung zum Professor damals noch in Wilhelmshaven-Rüstersiel, erst 1951 kam er nach Marburg, war er der erste marxistische Hochschullehrer. Obwohl Abendroth kein Buch als Grundlagenwerk, sondern meist Aufsätze in Sammelbänden hinterlies, konnte er in der Stadt an der Lahn als seiner langjährigen Wirkungsstätte eine "Marburger Schule" begründen.
Seine Anhänger in den 1970er und 1980er Jahren definierten sich meist selbst als Marxisten-Leninisten und standen politisch der DDR bzw. der DKP nahe. Dies erklärt wohl mit, warum Abendroth und seine "Marburger Schule" nach 1990 kaum noch Aufmerksamkeit fanden. Der Sozialwissenschaftler Gregor Kritidis legte nun einen Sammelband vor, welcher anlässlich seines 30. Todestages einerseits das Leben und Wirken von Abendroth darstellt und einschätzt und andererseits einige Aufsätze und Briefe von ihm dokumentiert.
Im ersten Teil Wolfgang Abendroth – ein streitbarer und umstrittener Marxist skizziert der Herausgeber die persönliche, politische und wissenschaftliche Entwicklung des Portraitierten. Bereits durch seine soziale Herkunft wurde er "im Milieu der sozialistischen Arbeiterbewegung geprägt" (S. 8).
Als Schüler engagierte Abendroth sich schon im Kontext der "Kommunistischen Partei Deutschlands" (KPD), gehörte später aber einer Abspaltung in Form der "KPD-Opposition" an. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs musste er aus der "Sowjetischen Besatzungszone" vor der SED-Herrschaft fliehen und trat der SPD als bekennender Marxist bei. Seine Position benennt Kritidis als "einen offensiven marxistischen Reformismus" (S. 29). In der Tat meinte Abendroth, im Namen des Grundgesetzes entscheidende Schritte in Richtung Sozialismus gehen zu können. Nach seinem Ausschluss aus der SPD engagierte sich Abendroth zunächst im Kontext der Achtundsechziger Bewegung und später dann ohne Mitgliedschaft in der DDR-angeleiteten DKP.
Der zweite Teil des Bandes enthält ältere Aufsätze, wobei deren Auswahl vom Herausgeber nicht näher begründet wird. Es geht um Zur Funktion der Gewerkschaften in der westdeutschen Demokratie (1952), Demokratie als Institution und Aufgabe (1954), Bilanz der sozialistischen Ideen in der Bundesrepublik Deutschland (1962) und Nach der Bundestagsdebatte über die Notstandsgesetze (1963). In den meisten dieser Abhandlungen spielen demokratietheoretische Aspekte eine wichtige Rolle: Abendroth beklagte darin den inneren Widerspruch des "bloß formaldemokratischen Staates in der liberal-kapitalistischen Gesellschaft" (S. 56), da hier Demokratie nur politisch, aber nicht sozial verankert sei. Außerdem kenne eine solche Gesellschaft kein Gesamtinteresse, sondern nur Sonderinteressen. Er sprach auch von der "Entartung der sowjetischen Revolution", welche mit der "demokratisch-sozialistischen Bewegung" (S. 72) nichts zu tun habe. Den Aufsätzen folgen dann noch drei Briefe, deren Auswahl ebenfalls nicht vom Autor begründet wird.
Kritidis erinnert mit seiner Edition an einen auch heutigen Politologiestudenten kaum noch bekannten Repräsentanten ihres Studienfaches. Seine Ausführungen zu Beginn sind anregend und informativ. Gleichwohl blendet der Herausgeber bestimmte Fragestellungen aus: Kam Abendroths Akzeptanz des Grundgesetzes nur eine funktionale Dimension zu? Entwickelte er sich vom marxistischen Sozialdemokraten zum DKP-nahen Dogmatiker? Auch wenn Kritidis mitunter Distanzen zu DDR und DKP betont, so ging es hier doch eher um marginale Fragen. Dass Abendroth den Mitgliedern und Sympathisanten der Partei "immer wieder eurokommunistische und austromarxistische Positionen" (S. 50) nahe bringen wollte, belegt er darüber hinaus nicht und dürfte eher unwahrscheinlich sein. Behauptungen über Abendroths "Kontakte zur DDR-Staatssicherheit" kritisiert Kritidis, ohne sich damit aber näher auseinander zu setzen. Insofern kommt dem Band eine apologetische Dimension zu, auch angesichts des Fehlens von Kommentaren zu Abendroths Demokratietheorie.
Gregor Kritidis (Hrsg.), Wolfgang Abendroth oder: "Rote Blüte im kapitalistischen Sumpf", Berlin 2015 (Karl Dietz-Verlag), 159 S., 9,90 Euro