(hpd) Der Rechts- und Sozialphilosoph Norbert Hoerster legt mit “Wie lässt sich Moral begründen?” die gekürzte und überarbeitete Fassung seines Buches “Ethik und Interesse” vor, worin er für die Begründung von Moralnormen auf der Basis der subjektiven Interesse der Menschen plädiert. Die dabei erfolgte Kritik an voraussetzungsreichen Begründungsvarianten vom klassischen Naturrecht bis zu Habermas’ Diskurstheorie verdient dabei ebenso kritische Aufmerksamkeit wie an Hoersters ebenfalls vorraussetzungsreichen Interessentheorie selbst.
In einer globalisierten und multikulturellen Ära können moralische Normen kaum noch durch nationale partikulare Gegebenheiten legitimiert werden. Die Frage “Wie lässt sich Moral begründen?” ist demnach sehr wohl auch von gesellschaftlicher und nicht nur philosophischer Relevanz. Die Frage bildet auch den Titel eines neuen Buches von Norbert Hoerster, dem ehemaligen Professor für Rechts- und Sozialphilosophie an der Universität Mainz. Indessen muss gleich hier angemerkt werden, dass es sich eigentlich nur um die gekürzte und überarbeitete Neuausgabe der früheren Schrift “Ethik und Interesse” von 2003 handelt. Der ursprüngliche Titel nennt schon Hoersters Plädoyer für eine besondere Begründung. Geht es ihm doch in dem alten wie dem neuen Text um die Frage, wie allgemein verbindliche Moralnormen für jedes Individuum mit Interessen nachvollziehbar begründet werden können. Hoerster argumentiert dabei aus der Perspektive von David Hume (1711–1776) und John L. Mackie (1917–1981), die beide sein philosophisches Denken zentral prägten.
Zunächst liefert der Autor eine Definition von “Moral”, wobei sowohl auf den Inhalt der Normen wie auf die Allgemeinheit der Zustimmungsfähigkeit hingewiesen wird. Danach geht es um die einflussreichsten und wichtigsten Konzeptionen für eine Moralbegründung, wie sie sich von der Antike bis in die Gegenwart entwickelt haben. Hoerster betrachtet hierbei kritisch mit allgemeinen Erörterungen wie anhand von Fallbeispielen die Argumentation mit dem Naturrecht, die Orientierung an “unseren Intuitionen”, Immanuel Kants kategorischen Imperativ, Jürgen Habermas’ Diskurstheorie und Richard M. Hares Utilitarismus. Im Ergebnis will er damit zeigen, “dass es 1. keine den Menschen vorgegebenen inhaltlichen Moralnormen gibt, die wir als objektiv verbindlich erkennen können (…), und dass es 2. ebenfalls kein den Menschen vorgegebenes, formales Verfahrensprinzip gibt, dessen Anwendung zu objektiv verbindlichen und eindeutigen Moralnormen führt …” (S. 94). Demnach sieht er die vorgenannten Konzeptionen als gescheitert an.
Indessen bleibt der Autor nicht bei diesem negativen Ergebnis stehen, soll doch eine positive Perspektive aufgezeigt werden. Bereits einleitend heißt es: “Ich glaube nämlich zeigen zu könne, dass es durchaus eine intersubjektive Moralbegründung auf subjektiver Basis gibt: die Begründung von Moralnormen, deren soziale Geltung im subjektiven Interesse (so gut wie) aller Menschen liegt. Anstatt für eine objektivistische Moralbegründung plädiere ich im Folgenden also für eine interessenfundierte, subjektivistische Moralbegründung” (S. 22). Deren Grundzüge skizziert Hoerster in den abschließenden Kapiteln seines Buches, wobei er den zentralen Begriff des “Interesses” im eigentlichen und wirklichen Sinne eines “aufgeklärten Wunsches” definiert (vgl. 96). Im Interesse aller Menschen seien etwa die Anerkennung eines allgemeinen Tötungsverbotes, das Bedürfnis nach körperlicher Unversehrtheit, die Einhaltung eines Lügenverbotes oder die Gewährung geschlossener Verträge. Daraus entstehe eine individualistische Theorie der Moralbegründung.
Hoesters Buch ist ähnlich konzipiert wie seine letzten Werke: Er widmet sich einem relevanten Problem von der Frage nach Gerechtigkeit bis zum Umgang mit Tieren, referiert bestehende Positionen, kritisiert sie jeweils mit spitzer Feder und liefert gegen Ende eine Alternative aus seiner Sicht. Dabei gelingt es dem Autor immer wieder, mitunter als Selbstverständlichkeiten geltende Auffassungen einer kritischen Prüfung zu unterziehen, woraus sich die Notwendigkeit zu erneuter Reflexion ergibt. Dies ist auch im vorliegenden Band der Fall. Gleichwohl kann mit guten Gründen gefragt werden, ob die anhand von Beispielen etwas überspitzt wirkende Kritik an Kants kategorischem Imperativ grundsätzlich zum Scheitern von dessen Moralbegründung führen muss. Den hohen Anspruch auf Schlüssigkeit müsste denn auch auf das Interessenmodell selbst übertragen werden. Hoerster spricht von rationalen und zugleich subjektiven Interessen. Doch was ist, wenn hier kein Einklang besteht? Sein Modell ist denn auch voraussetzungsreicher als es sich gibt.
Norbert Hoerster, Wie lässt sich Moral begründen?, München 2014 (C. H. Beck-Verlag), 143 S., 12,95 Euro