Rezension

Adam Przeworskis Analyse zu den Krisen der Demokratie

Der Politikwissenschaftler Adam Przeworski analysiert in seinem gleichnamigen Buch die "Krisen der Demokratie", wobei er für Geschichte und Gegenwart empirisch und vergleichend vorgeht. Dabei vermeidet der Autor flache Verallgemeinerungen und gibt auch Grenzen der Erkenntnismöglichkeiten zu, regt aber damit auch seine Leser zum Selber- und Weiterdenken an.

Die Demokratie steckt nicht nur in Deutschland in einer Krise. Doch woran liegt das, wie weit reicht das und wie sieht es woanders aus? Diesen Fragen stellt sich Adam Przeworski, der an der New York University lehrt und als einer der bedeutendsten Politikwissenschaftler gilt.

Einige Antworten gibt es dazu in seinem neuen Buch "Krisen der Demokratie", aber nur mit eingeschränktem Gültigkeitsanspruch. Das hängt nicht mit seiner mangelnden Analysefähigkeit, sondern mit seiner wissenschaftlichen Ehrlichkeit zusammen. Diese Einschätzung muss formuliert werden, um die Lektüre nicht enttäuscht zu beenden. Der Autor vermeidet einfache Erklärungen. Er bemerkt deutlich: "Ich sehe keine offenkundigen Antworten auf diese Fragen und deshalb gibt es kaum etwas, von dem ich meine Leser überzeugen möchte. Ich kann lediglich Fragen stellen, Möglichkeiten untersuchen und die Leser auffordern, gemeinsam nachzudenken" (S. 8). Derartige Bekenntnisse liest man heute nur noch selten, sie stehen aber für intellektuelle Redlichkeit.

Cover

Przeworski bedient sich der Statistik und des Vergleichs. Er betrachtet Daten zur Demokratieentwicklung in vielen Ländern und fragt dann nach den Gemeinsamkeiten und Unterschieden. Die erkenntnisbezogenen Grenzen und die methodischen Probleme werden bei alldem immer wieder eingeräumt. Genau diese Einstellung prägt Przeworskis Untersuchung, die auf die Geschichte wie die Gegenwart und die Zukunft blickt. Der Autor gibt ganz offen zu, dass die zentrale Motivation dazu Trumps Wahlsieg von 2016 war. Denn danach kriselten Institutionen, Normen und Regeln des demokratischen Verfassungsstaates. Indessen handelt es sich dabei um eine Entwicklung, die man auch in anderen Ländern beobachten kann und die nicht nur auf die USA beschränkt ist. Insofern geht es in dem Buch ganz allgemein darum, worin die Gefahren für die Demokratie in der gegenwärtigen kulturellen, politischen und ökonomischen Situation lauern. "Demokratie" wird dabei "elektoralistisch" definiert, also über die Chancen zu einem Machtwechsel über Wahlen.

Die Analyse widmet sich dann insbesondere zwei Bedingungen: "Die erste ist das Spannungsverhältnis zwischen der politischen Gleichheit, die als Grundlage der Demokratie betrachtet wird, und dem Kapitalismus, der ein System der wirtschaftlichen Ungleichheit ist. Die zweite ist das schiere Streben nach politischer Macht, ob dieses nun von wirtschaftlichen Interessen getrieben ist oder nicht" (S. 28). Beim Blick in die Geschichte geht es um Fallbeispiele, wozu Deutschland (1928–33) und Chile (1970–73) als gescheiterte Demokratien und Frankreich (1954–62, 1968) und die USA (1964–74) als gerettete Demokratien gelten. Hierbei wird die Bedeutung der Institutionen, aber auch die Rolle der Wirtschaft betont. Danach blickt der Autor auf die Gegenwart, referiert die Anzeichen für eine Demokratiekrise und fragt nach möglichen Ursachen. Auch hier geht er auf ökonomische Bedingungsfaktoren und gesellschaftliche Spaltungen ein. Gleichwohl formuliert Przeworski vorsichtig, was auch an Kapiteltiteln wie "Was ist möglicherweise historisch neu?" ablesbar ist.

Gleichwohl wird immer wieder die Funktionsfähigkeit der Institutionen betont, insbesondere hinsichtlich ihrer Fähigkeit zur Konfliktbewältigung. Es gehe um Absorbieren, Regulieren und Strukturieren. Für die Gegenwart heißt es als Warnung: "Die Gefahr ist, dass die Demokratie schrittweise und unbemerkt erodiert. … Mit demokratischen Wahlen werden Konflikte nur dann friedlich beigelegt, wenn es den politischen Parteien gelingt, diese Konflikte zu strukturieren und politische Maßnahmen in Wahlen zu kanalisieren." (S. 235) Was dies angesichts der Erfolge populistischer Parteien meint, ist auch immer wieder bei Przeworski ein wichtiges Thema. Der Autor liefert mehr Fragen, gibt aber auch Antworten zu Krisenfaktoren. Er betont, dass man es in der Gegenwart nicht nur mit irgendeiner Krise zu tun habe. Diese habe tiefe gesellschaftliche und ökonomische Wurzeln. Die Betrachtungen von Przeworski können dazu weitere Reflexionen anregen. Es geht ihm nicht um eine abgeschlossene Deutung, sondern um das aufklärerische Selberdenken.

Adam Przeworski, Krisen der Demokratie, Berlin 2020 (Suhrkamp-Verlag), 254 Seiten, 18 Euro

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