Kurz vor der mit Spannung erwarteten Behandlung des Themas durch den österreichischen Verfassungsgerichtshofs (VfGH) hat sich der ORF in seiner Kirchenfunk-Sendung "Orientierung" mit der assistierten Sterbehilfe befasst und einen rund acht Minuten langen Bericht gesendet, in dem auch Befürworter des assistierten Suizids zu Wort kamen. Ein Kommentar.
Diese berichteten über ihre Erfahrungen mit dem Thema und ihre daraus gezogenen Schlüsse, die ihre Einstellung bestärkt hätten, dass das selbstbestimmte Lebensende mit seinen erweiterten Optionen für den Patienten Vorteile mit sich brächte. Eine Dame schilderte in bewegten Worten, dass ihre Mutter allein durch die Möglichkeit, selbstbestimmt aus dem Leben zu scheiden, ein glücklicheres Lebensende gefunden hätte, weil der psychische Druck weggefallen wäre. Ein Argument, das sich direkt auf den Leidensdruck der Patienten bezieht, aber selten in theoretischen Abhandlungen vorkommt.
Dann kam der deutschstämmige Moraltheologe und Mediziner Prof. Mathias Beck zu Wort, ein redegewandter Experte, der die Argumentation der Kirche auf den Punkt brachte. Dabei verwies er frühere Argumente wie "die Büchse der Pandora" auf die Plätze und fokussierte sich auf ein einziges Argument eines Arztes, das ihn (überraschenderweise?) "am Ende doch überzeugt hat": "Es entlastet die Ärzte und auch die Angehörigen, wenn es verboten bleibt." (O-Ton Beck). "Sonst kommen wir (Ärzte, Anm. d. Red.) und die Angehörigen unter Druck, dass die Angehörigen sagen: Könntest du nicht meiner Großmutter … ein solches Medikament zur Verfügung stellen?"
Das hört sich gegenüber den anderen bisherigen Argumenten doch weichgespült an. Sollte sich die Kirche eventuell schon auf einen verlorenen Prozess vorbereiten, was ja nach dem deutschen Urteil des Bundesverfassungsgerichtes über die Zulässigkeit von geschäftsmäßiger Assistenz der Sterbehilfe wahrscheinlicher geworden ist? Oder ist hier dem professoralen Mitglied der Ethikkommission nicht ein moralischer Mega-Lapsus entfahren, nur um die davonschwimmenden Felle für den Auftraggeber doch noch irgendwie ins Trockene zu bringen?
Bisher hat man mit dem Untergang des Abendlandes gedroht, wenn einmal die Büchse der Pandora der Sterbehilfe geöffnet ist. Man hat dogmatische Argumente bemüht, weil es nun einmal verboten ist, jemanden zu töten, ganz gleich unter welchen Umständen, auch wenn der Tod herbeigesehnt wird und in diesem Fall ein Akt der Barmherzigkeit ist. Dass eine solch hanebüchene Argumentation auf der Grundlage der Macht der Kirche nicht mehr zeitgemäß ist, ist auch Beck klargeworden, vor allem deswegen, weil die Zustimmungsrate der Bevölkerung bei über 70 Prozent liegt. Je höher die Kirche jetzt pokert, umso weiter entfernt sie sich wieder einmal vom "einfachen Volk", das in vielen Angelegenheiten des Alltags ohnehin auf die Meinung der Kirche pfeift, siehe Sexualmoral, Begräbnis- und Heiratsvorschriften, Konsumierung der Sakramente wie Beichte und Kommunion, Sonntagsmesse etc. Da ist es vielleicht vorteilhafter, ein zeitgemäßes Image anzupeilen und sich konzilianter zu geben als – wie gewohnt – auf Dogmen herumzureiten.
Aber das neue Argument hat einen Schönheitsfehler, als wäre sein Vater der Glöckner von Notre Dame daselbst. Denn nunmehr steht plötzlich gar nicht mehr der Patient (lateinisch: der Leidende) im Mittelpunkt, sondern die Angehörigen und die Ärzte, die in diesem Satzgefüge sowohl Täter als auch Opfer sind. Fast scheint es, dass man bei dieser recht einseitigen Darstellung darauf vergessen hat, dass wir hier von Sterbenden und von ihrer Würde und ihrem Leiden sprechen. Der kirchliche Vertreter der Ethikkommission will die Unbilden des Arztes basierend auf mangelnder Regelung gegen die letzten Wünsche eines Moribunden aufrechnen. In dieser Abwägung gewinnen der Arzt und die Angehörigen, deren Komfort für Beck mehr zählt als die Hilfeschreie eines/einer Sterbenden. Wenn jahrelange Verhandlungen in der Ethikkommission zu keinem menschenwürdigeren Ergebnis gekommen sind, als dass man einen Arzt schützen muss, der sich gut wehren kann und eine riesige Lobby hinter sich hat, dann ist der Humanismus endgültig am Ende.
Ich bin überzeugt, dass das nicht einmal der Standpunkt der meisten Ärzte ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Ärzte ihre Marginalinteressen auf dem Rücken von Moribunden austragen wollen, sondern dass sie nur vorgeschützt werden, um einen Standpunkt zu verteidigen, der aus dogmatischen Gründen gepölzt werden muss, aber nach menschlichem Maß nicht zu verteidigen ist.
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A.S. am Permanenter Link
Ärzte wollen vor allem nicht in einer juristischen Grauzone arbeiten, die sie u.U. den Job kosten und ins Gefängnis bringen könnte.