Studie über Anti-Atheismus in den Vereinigten Staaten

"Atheist:innen sind die ultimativen Outsider"

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Kirche in Arizona, USA
Kirche in Arizona, USA

Atheist:innen sind Schuld am Kapitalismus, am Kommunismus, an der Homosexualität und an Drogen. Das glauben jedenfalls US-Amerikaner:innen. Petra Klug hat den Anti-Atheismus in den USA untersucht. Wo sich Diskrimierung gegen Atheist:innen in Deutschland verbirgt, erklärt die Religionswissenschaftlerin im Interview mit dem hpd.

hpd: Frau Klug, ihr Buch "Anti-Atheist Nation. Religion and Secularism in the United States" ist eine Studie über Anti-Atheismus in den Vereinigten Staaten. Seit wann gibt es Anti-Atheismus in den USA?

Petra Klug: Das hat schon mit der Kolonialisierung angefangen: Native Americans wurden als Ungläubige betrachtet und es wurde zum Teil als Gottes Werk betrachtet, wenn sie sterben. Ein weiterer Höhepunkt des Anti-Atheismus war dann im Kalten Krieg, als Atheismus pauschal mit Kommunismus und Hochverrat assoziiert wurde. Heute zeigt sich der Anti-Atheismus besonders in Verschwörungsideologien aus dem evangelikalen Umfeld. Da wird eine traditionelle Gesellschaft mit der Moderne kontrastiert. Die Moderne steht für Entwurzelung und alles Abstrakte in der Welt.

Viele der ersten Siedler sind aus Europa geflohen, weil sie wegen ihrer Religion verfolgt wurden. Warum waren sie dann so ungnädig gegenüber Atheist:innen?

Die protestantischen Gruppen, die in Europa religiös verfolgt wurden, sahen sich im Bund mit Gott: Gott hat ihnen die Überfahrt zu einem anderen Kontinent ermöglicht und damit seine Verpflichtung aus dem Bund erfüllt. Das verpflichtet die Siedler:innen dann zum Gehorsam gegenüber seinen Geboten. Die Idee des Bundes ist dabei eine kollektive. Wenn jemand gegen die religiösen Normen verstößt, fordert das Gottes Zorn heraus. Deshalb wurden Menschen als Atheist:innen, Hexen oder Häretiker:innen ausgeschlossen, verfolgt und umgebracht.

Die Erfahrung der religiösen Verfolgung in Europa hat auch zu einer Skepsis gegenüber der staatlichen Regulierung von Religion geführt. Daher kommt der säkulare Charakter der Verfassung der Vereinigten Staaten. Allerdings wurden in den Verfassungen der Bundestaaten Menschen, die nicht an Gott glauben, oft explizit diskriminiert. Da gibt es mitunter eine Klausel, die besagt, kein Mensch soll aufgrund seiner Religion von öffentlichen Ämtern ausgeschlossen werden, es sei denn, er glaubt überhaupt nicht an Gott.

Andere Religionen werden also akzeptiert?

Buchcover

Die USA sind seit ihrer Entstehung toleranter geworden und eine religiös plurale Gesellschaft. Andere Religionen werden eher akzeptiert, weil sie den Glauben an Gott oder etwas Übernatürliches nicht in Frage stellen, sondern bestätigen – auch wenn sie es anders ausleben. Es gibt einen interreligiösen Dialog zwischen Christentum, Judentum, Islam und auch mit anderen Religionen. Aber Atheisten:innen passen da nicht rein. Sie sind die ultimativen Outsider.

Wie definieren Sie Anti-Atheismus?

Anti-Atheismus betrifft sowohl Menschen, die nicht an Gott glauben, als auch Menschen, die anders leben und sich nicht an die religiösen Regeln halten. Er hat damit auch Intersektionen mit anderen religiös legitimierten Unterdrückungsverhältnissen, etwa mit dem Rassismus und mit Geschlechterverhältnissen.

Anti-Atheismus richtet sich aber auch gegen Andersgläubige, etwa wenn "Ungläubiger" als Beleidigung benutzt wird. Ein Beispiel dafür ist der 11. September. Da wurden die USA als eine Nation von Ungläubigen angegriffen. Egal wie religiös die USA sich wähnen, vom Standpunkt einer anderen Religion sind sie Ungläubige – was für eine Ironie der Geschichte!

Reagiert haben die USA auf den 11. September wiederum religiös, mit Bezug auf Gott: Atheist:innen wurden damit aus dem Gedenken ausgeschlossen oder gar für die Gewalt verantwortlich gemacht: Von vielen wurden die Anschläge als Strafe Gottes für den Säkularismus interpretiert. Georg W. Bush sagte sogar, wer diesen Terrorismus unterstütze, habe keine Religion.

Welchen Vorurteilen und Diskriminierungen stehen Atheist:innen in den USA gegenüber?

Da ist ein großer Anteil an Projektion. Es wird ihnen all das unterstellt, was man sich im eigenen Leben nicht traut, weil das gegen religiöse Normen verstößt: Zum Beispiel Homosexualität oder Promiskuität. Auch Alkohol und Drogen werden Atheist:innen zugeschrieben – besonders ausgeprägt von Gläubigen, die selber mal abhängig waren. Ein anderes typisches Vorurteil: Atheist:innen seien nicht vertrauenswürdig, seien aggressiv oder hungrig nach Macht. Alles, was mit der eigenen religiösen Weltsicht nicht harmoniert, wird auf Atheist:innen projiziert. Atheist:innen werden dabei ganz gegenläufige Sachen zugeschrieben. Sowohl Kapitalismus, Kommerz und Konsum als auch Kommunismus.

Warum ist Anti-Atheismus in den USA so stark ausgeprägt?

Meiner Meinung nach liegt das vor allem am fehlenden Sozialstaat. Wenn es keine staatliche oder kollektive soziale Absicherung gibt, steht man den Zumutungen und den Unsicherheiten dieser Welt ganz allein gegenüber. Deshalb nehmen die Menschen Zuflucht zu Gott.

Das macht auch den Atheismus für viele US-Amerikaner:innen so unerträglich. Er stellt nämlich nicht nur Gott infrage, sondern auch dieses Gefühl der Sicherheit, das Menschen in ihm finden.

Ist Anti-Atheismus ein US-amerikanisches Problem? Wie ist es in Europa, in Deutschland?

Anti-Atheismus ist in anderen Ländern viel stärker als in den USA, zum Beispiel in Afghanistan, im Iran, eigentlich im Großteil der islamisch geprägten Welt, aber auch in Afrika, Lateinamerika, selbst in Teilen Asiens und Europas.

Natürlich gibt es Anti-Atheismus auch in Deutschland. Hier zeigt sich das an der Überrepräsentation von religiösen Menschen in Gremien, etwa im Bundestag oder im Presserat. An Universitäten gibt es die sogenannten Konkordats-Lehrstühle, bei denen die Kirche mitbestimmen kann, wer berufen wird – sogar außerhalb der Theologie.

Viele soziale oder medizinische Einrichtungen sind in kirchlicher Trägerschaft, obwohl die Kirche nur einen Bruchteil der Kosten dafür übernimmt. In religiösen Kitas lernen die Kinder dann religiöse Inhalte – ob die Eltern das möchten oder nicht. Um in solchen Einrichtungen zu arbeiten, muss man meist in der Kirche sein. Viele Atheist:innen sind also immer noch Kirchenmitglieder, gehen als Gläubige in die Statistik ein und zahlen Kirchensteuer. Diese hinkende Trennung zwischen Staat und Kirche ist, was Atheist:innen in Deutschland am meisten diskriminiert. Aber natürlich gibt es, vor allem im religiös geprägten ländlichen Raum, auch immer noch Vorbehalte im Privaten.

Sie setzen sich in ihrer Forschung weniger mit dem Atheismus selber auseinander, sondern mit der Sicht der Religion auf den Atheismus…

Ja, denn Atheismus wird meistens von außen, von der religiösen Seite, definiert. Das beginnt schon beim Wort selbst. Atheismus kommt von "A" und "Theos". Es bedeutet "ohne Gott" oder bezeichnet eine Leugnung Gottes. Der Begriff selbst ist also schon als Negativum formuliert. Damit wird das Phänomen, nicht an Gott zu glauben, von Anfang an als Abweichung von der Norm gekennzeichnet – und Glaube, Theismus, als normativ gesetzt. Deshalb setzte ich mich eher damit auseinander, wie Religion Atheismus definiert, stereotypisiert, durch diese religiöse Normierung überhaupt erst konstruiert. Mittlerweile etabliert sich in der Forschung auch der Begriff "Nicht-Religion". Dieser Begriff wiederholt aber mitunter das Problem.

Ich finde es treffender und schöner, von Humanismus zu sprechen. Der setzt etwas positiv, sowas wie menschliche Handlungsfähigkeit. Der Humanismus bietet auch Prinzipien, um die Welt zu gestalten: Es geht um das Wohl der Menschen, nicht um Gott, nicht um andere Autoritäten und nicht um Profitmaximierung.

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