Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz gescheitert

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In dieser Legislaturperiode werden Kinderrechte kein Teil der deutschen Verfassung mehr. Kinderschutzverbände und humanistische Organisationen bedauern diese Entwicklung.

Nun also doch nicht: Eigene Rechte für Kinder werden in dieser Legislaturperiode nicht mehr Teil des Grundgesetzes. Christine Lambrecht (SPD), die neben dem Justizministerium nach dem Rücktritt von Parteikollegin Franziska Giffey auch das Familienressort leitet, gab Anfang der Woche bekannt, dass die Verhandlungen in der finalen Runde ergebnislos geblieben sind – man konnte sich nicht auf eine gemeinsame Formulierung verständigen. Regierung, Opposition und die Koalitionspartner untereinander schoben sich daraufhin die Schuld gegenseitig zu, dass der Auftrag, den man sich im Koalitionsvertrag gegeben hatte, wohl nicht mehr umgesetzt werden wird.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung hätte folgende Grundgesetzänderung vorgesehen:

"Die verfassungsmäßigen Rechte der Kinder einschließlich ihres Rechts auf Entwicklung zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten sind zu achten und zu schützen. Das Wohl des Kindes ist angemessen zu berücksichtigen. Der verfassungsrechtliche Anspruch von Kindern auf rechtliches Gehör ist zu wahren. Die Erstverantwortung der Eltern bleibt unberührt."

Kinderschutzverbände, die sich seit Jahren für Kinderrechte im Grundgesetz stark machen, waren nicht glücklich mit diesem Gesetzentwurf und hatten zur ersten Lesung im Bundestag gemeinsam mit mehr als 100 Organisationen einen Appell veröffentlicht, welcher den Entwurf als unzureichend kritisierte und die Bundestagsfraktionen aufforderte, sich bis zur Sommerpause auf ein Gesetz zu einigen, welches den Ansprüchen der UN-Kinderrechtskonvention gerecht werde. Diesen Aufruf hatten auch die Giordano-Bruno-Stiftung und der Humanistische Verband Deutschlands unterzeichnet.

Das jetzige Scheitern bedauern die Verbände: Das Deutsche Kinderhilfswerk, der Kinderschutzbund, UNICEF Deutschland und die Deutsche Liga für das Kind, die sich im "Aktionsbündnis Kinderrechte" zusammengeschlossen haben, nannten es in einer gemeinsamen Presseerklärung einen "herbe[n] Dämpfer für die Kinder, Jugendlichen und Familien unseres Landes, die in den vergangenen Monaten ohnehin schon wenig Unterstützung erfahren haben". Die Corona-Pandemie habe deutlich gezeigt, dass Kinderrechte bisher zu häufig übergangen würden. "Kinder und ihre Familien hätten mehr Kompromissbereitschaft und Rückhalt über alle Parteien hinweg verdient." Eine historische Chance sei verpasst worden.

Auch Katrin Raczynski, Vorstand des Bundesverbands des Humanistischen Verbands Deutschlands (HVD), bedauert den Vorgang und fordert die Politik zum Handeln auf. Dem hpd sagt sie:

"Es ist für uns absolut enttäuschend, dass die im Koalitionsvertrag zugesagte Stärkung von Kinderrechten im Grundgesetz vorerst gescheitert ist. Das Recht von Kindern auf freie Entwicklung ihrer Persönlichkeit wird vieler Orten mit Füßen getreten und es ist überfällig, dem Entwicklungsrecht von Kindern auch im Grundgesetz einen stärkeren Ausdruck zu verleihen. Wir werden uns weiterhin dafür einsetzen, dass die verfassungsrechtliche Verankerung von Kinderrechten und des Kindeswohls sichtbar gemacht wird und fordern die politisch Verantwortlichen auf, dem politischen Versprechen nun auch Taten folgen zu lassen."

Michael Schmidt-Salomon, Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung, sieht die Haltung konservativer Parteien als Grundproblem beim Thema Kinderrechte und kommentiert das ergebnislose Ende der Gesetzesverhandlungen gegenüber dem hpd so:

"Wir bedauern es sehr, dass die Kinderrechte vorerst nicht in die Verfassung aufgenommen werden. Unserer Einschätzung nach ist dieses Vorhaben insbesondere am Widerstand der konservativen Parteien (AfD und CDU/CSU) gescheitert, die sich zwar für sogenannte 'ungeborene Kinder' – und das heißt in den meisten Fällen: empfindungslose Embryonen – starkmachen, aber mit den Rechten 'geborener Kinder' nur sehr wenig anfangen können. Der Grund dafür ist offensichtlich: In ihrem Weltbild sind Eltern sozusagen 'Stellvertreter Gottes auf Erden', explizite Selbstbestimmungsrechte der Kinder würden da nur stören. Dies erklärt auch, warum die Mehrheit des Deutschen Bundestags im Falle der Knabenbeschneidung damit einverstanden war, den Erziehungsanspruch der Eltern über die körperliche Unversehrtheit des Kindes zu stellen. Wir hoffen darauf, dass dieses autoritäre Denken mit der Zeit abnehmen wird, und werden als humanistische Stiftung keine Ruhe geben, bis die Rechte des Kindes endlich in der Verfassung verankert sind."

Das "Aktionsbündnis Kinderrechte" werde sich ebenfalls weiter für eine Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz einsetzen, gibt dessen Presseerklärung als Zukunftsausblick: "Es braucht eine starke und eindeutige Formulierung für die Kinderrechte, die unabhängig von den Elternrechten gegen den Staat gelten. Dies wäre eine wichtige Grundlage für kindgerechtere Lebensverhältnisse und bessere Entwicklungschancen für alle Kinder, für eine stärkere Rechtsposition und mehr Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in Deutschland."

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