500 Jahre spanische Eroberung Mexikos

Die Azteken, die Spanier und die Religion

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Der Grundstein für die Kathedrale von Mexiko City wurde 1524 im zerstörten Tempelbezirk der Azteken gelegt.

Heute vor 500 Jahren zogen die spanischen Konquistadoren in die Hauptstadt der Azteken ein. Ein Tag, der den Untergang der aztekischen Kultur sowie Jahrhunderte europäischer Kolonialfantasien einläutete. Die Verbreitung des Christentums spielte für die Konquistadoren bei der Eroberung des Aztekenreichs eine wichtige Rolle. Doch auch die Azteken zeichneten sich durch ihre Religion nicht wirklich als Menschenfreunde aus.

Anfang des 16. Jahrhunderts setzt man in Europa große wirtschaftliche Hoffnungen in die erst wenige Jahre zuvor von Christoph Kolumbus entdeckte neue Welt. Dass man dort noch nicht die erhofften Reichtümer gefunden hat, sorgt einerseits für Ernüchterung, andererseits reizt es in Europa die Fantasie abenteuerlustiger Gemüter. Besonders in Spanien sind junge Männer begierig darauf, ihren Heldenmut in der Fremde zu beweisen, denn zuhause bietet sich ihnen wenig Gelegenheit dazu. Den jahrhundertelangen Kampf zwischen Christen und Muslimen um die Vormachtstellung auf der iberischen Halbinsel, die sogenannte Reconquista, haben sie um einige Jahre verpasst. Entsprechende Heldengeschichten ihrer Väter und Großväter geistern umso quälender durch ihre Köpfe.

Einer dieser jungen Männer ist der Spanier Hernan Cortez. Als Neunzehnjähriger macht er sich auf den Weg in die Neue Welt. Zunächst arbeitet er einige Jahre beim Statthalter der Karibikinsel Hispaniola, dann steigt er auf zum Sekretär des Gouverneurs von Kuba, das gerade erst von den Spaniern erobert wurde. Auf Kuba hilft er mit beim grausamen Kampf gegen die dort lebenden Indigenen und erarbeitet sich den Ruf, durchsetzungsstark zu sein. Durchsetzungsstark genug für eine Erkundung des noch unbekannten Landes im Westen, das wir heute Mexiko nennen.

Im Februar 1519 sticht Cortez mit rund 600 Mann in See. Er segelt entlang der Küste der Halbinsel Yucatan, wo es zu einigen Zusammenstößen mit den dort ansässigen Maya kommt. Am Karfreitag landet er an der Ostküste Mexikos. Zu Ehren seines Heilands und des "wahren Kreuzes" gründet er an der Stelle seiner Landung eine Siedlung mit Namen Villa Rica de la Vera Cruz – das heutige Veracruz. Obwohl Cortez und seine Konquistadoren vor allem auf der Suche nach Reichtümern sind, darf ihre religiöse Motivation für die nun beginnende Eroberung des Landes nicht unterschätzt werden. Cortez betrachtet sich selbst als einen sehr frommen Mann und die Heldengeschichten vom Kampf seiner Vorfahren für das Christentum gegen die Muslime hat er gleichsam mit der Muttermilch aufgesogen. Das zur Not auch zwangsweise Beglücken der Indigenen mit dem Christentum ist den Konquistadoren also durchaus ein ernstes Anliegen. Allerdings waren die Spanier bei den bisherigen Eroberungen im Karibikraum diesbezüglich auch nie auf nennenswerten Widerstand getroffen, da die eroberten Insulaner den mit überlegenen Waffen bestückten Spaniern hoffnungslos unterlegen waren.

Nun jedoch hat es Cortez mit einem anderen Kaliber zu tun. Schon bald nach seiner Ankunft an der Küste Mexikos findet er heraus, dass er das Gebiet eines mächtigen Reichs betreten hat – das Reich der Azteken, die sich selbst "Mexica" nennen. Ihre Hauptstadt Tenochtitlan ist mit über 200.000 Einwohnern eine der größten Städte der damaligen Welt. Errichtet mitten in einem riesigen Salzsee, in dem die Azteken durch spezielle Technologien immer wieder neues Ackerland gewinnen. Die Wasserversorgung der Stadt ist sichergestellt durch ein Aquädukt, das Trinkwasser aus der Region liefert, die breiten geraden Straßen sind von Wasserwegen durchzogen, die das Durchqueren der Stadt auch mit Booten ermöglichen und die Belieferung der vielfältigen Märkte erleichtern, auf denen sich täglich bis zu 50.000 Menschen tummeln. Kurzum: Tenochtitlan ist eine blühende und hochorganisierte Stadt, von der zur selben Zeit die meisten, vor Exkrementen stinkenden, kreuz und quer in krumme Gassen gewucherten Städte Europas nur träumen können.

Allerdings ist die Welt der Azteken trotz ihrer erstaunlichen Fähigkeiten weit davon entfernt, ein Paradies zu sein. Das ist ihrer Religion zu verdanken, die die aztekische Kultur vollkommen durchdringt. Hauptgott der Azteken ist Huitzilopochtli, der Gott des Krieges und der Sonne. Ihr Kriegsgott hat die Azteken mächtig gemacht. Seit über einem Jahrhundert bezwingen sie damals ein Nachbarvolk nach dem anderen und verpflichten sie zu Tributzahlungen. Und das sind nicht nur Lebensmittel und Reichtümer, sondern auch Menschen. Denn die Gunst der aztekischen Götter hat einen Preis. Sie wollen Menschenopfer. Nach der Vorstellung der Azteken können allein menschliche Blutopfer sicherstellen, dass das göttliche Gleichgewicht von Tag und Nacht Bestand hat und die Sonne am nächsten Morgen wieder aufgeht. Auf der großen Pyramide im riesigen Tempelbezirk der Hauptstadt Tenochtitlan opfern sie daher massenhaft Menschen, indem sie ihnen bei lebendigem Leibe das noch pochende Herz aus der Brust schneiden. Und obwohl Menschenopfer keine Erfindung der Azteken, sondern im mesoamerikanischen Kulturraum durchaus verbreitet sind, erreicht diese blutige Kulthandlung bei den Azteken in quantitativer Hinsicht eine völlig neue Dimension. Lange Zeit wurde vermutet, dass es sich bei entsprechenden Berichten spanischer Eroberer um Übertreibungen gehandelt habe, doch neuere archäologische Funde bestätigen die Maßlosigkeit des aztekischen Menschenopferkults.

Ihre Leidenschaft für die kriegerische Unterwerfung anderer Völker und die Forderung von menschlichen Tributen zur Opferung wird den Azteken jedoch schließlich zum Verhängnis. Cortez und seine verschwindend geringe Zahl von knapp 600 Konquistadoren hat trotz überlegener Waffen gegen die Macht der Azteken eigentlich keine Chance. Doch er verbündet sich mit den Feinden der Azteken, die sich einer Unterwerfung schon lange widersetzen oder die die Nase voll haben davon, sich von den Azteken unterdrücken und als Menschenopfer schlachten zu lassen. Gemeinsam mit ihnen zieht er zur aztekischen Hauptstadt Tenochtitlan. Anders als in den heldenhaften Darstellungen der Spanier zeigt die neuere Forschung, dass hierbei die Spanier nicht die großen Anführer und Feldherren sind, sondern nur Teil eines großen Heeres, das hauptsächlich aus Indigenen besteht, die nun endlich eine Chance wittern, sich mit Hilfe der Fremden gegen die verhassten Azteken zur Wehr zu setzen. Denn die Spanier haben nicht nur Feuerwaffen. Ihre Pferde, die man in Mexiko nicht kennt, ihre Rüstungen und ihre hellere Gesichtsfarbe machen sie zu Wesen, die die Azteken in ihre religiöse Weltsicht nicht einordnen können.

Der Plan geht auf. Am 8. November 1519 ziehen die Spanier mit dem Heer von Indigenen in Tenochtitlan ein – ohne jegliche Gegenwehr, im Gegenteil: Aztekenherrscher Montezuma empfängt sie feierlich. Warum Montezuma so handelt, darüber herrscht bis heute Unklarheit. Doch anscheinend sind sich der Herrscher und seine Priester unsicher, ob die fremdartigen Wesen vielleicht Boten der Götter sind. Die Entscheidung, die Spanier in die Stadt zu lassen, erweist sich jedoch als fatal für die Azteken. Wenige Tage nachdem sie die Stadt betreten haben, machen die Spanier Montezuma zu ihrem Gefangenen. Er darf zwar weiterhin seinen Regierungsgeschäften nachgehen, jedoch nur noch als Marionette der Spanier.

Überhaupt beginnen die Spanier, sich mit ihrer Kultur und Religion breitzumachen. Von den Menschenopfern sind sie angewidert und sehen den Teufel persönlich am Werk. Doch christliche Kreuze und Marienbildnisse in den heiligen Stätten der Azteken treffen wiederum bei den Einheimischen auf wenig Gegenliebe. Rund sechs Monate nach dem Einzug der Spanier in Tenochtitlan eskaliert die Situation während des aztekischen Frühlingsfestes. Von der Zusammenkunft und den seltsamen Tänzen und Ritualen fühlen sich Cortez Männer bedroht und richten ein Massaker unter den Azteken an. Die Azteken gehen über zur Gegenwehr, bei der auch Montezuma zu Tode kommt – von Hand der Spanier oder der seiner eigenen Leute ist ungeklärt. Als die Spanier und ihre Verbündeten versuchen, mit den zusammengerafften Schätzen bei Nacht aus Tenochtitlan zu fliehen, werden Hunderte von ihnen von den Azteken im Kampf getötet oder gefangen und den Göttern geopfert. Ein Ereignis, das als "noche triste" – "traurige Nacht" – in die spanische Geschichtsschreibung eingeht.

Doch Cortez will sich mit dem Verlust der aztekischen Hauptstadt nicht abfinden. Er schmiedet neue Allianzen und beginnt im Frühjahr 1521 mit der Belagerung von Tenochtitlan. Im August legen die Konquistadoren unter Cortez zusammen mit ihren indigenen Verbündeten die aztekische Hauptstadt in Schutt und Asche. Ein Leichtes für die Eroberer, denn durch die Belagerung ist die Bevölkerung ausgehungert und die Zahl der Menschen in der Stadt durch Krankheiten bereits erheblich gesunken. Die Krankheiten haben die Spanier eingeschleppt. Mit ihnen richten sie einen der größten Völkermorde der Geschichte an. Von den rund 25 Millionen Menschen, die bei der Ankunft von Cortez im Jahr 1519 in Mexiko leben, leben 80 Jahre später nur noch rund eine Million.

Was mit Stahl, Feuerwaffen und Krankheiten begann, vollenden schließlich die christlichen Missionare: die Auslöschung der indigenen Kulturen und Religionen, die lediglich in mit dem Christentum amalgamierten Formen partiell überleben. Mächtigstes Symbol hierfür ist bis heute die Kathedrale von Mexiko-City. Die mexikanische Hauptstadt wird von den Konquistadoren auf den Trümmern von Tenochtitlan errichtet. Im zerstörten aztekischen Tempelbezirk legt Cortez persönlich 1524 den Grundstein für die Kathedrale, die bis heute das Zentrum der Stadt bildet. Durch die Eroberung der Konquistadoren wird Lateinamerika zum katholischen Kontinent und sichert der katholischen Kirche so bis heute weitreichenden Einfluss in der Welt.

Die neue Religion bewahrte die Indigenen im 16. Jahrhundert zwar davor, aztekischen Göttern geopfert zu werden, doch das Christentum diente gleichzeitig zur Legitimierung eines neuen Unterdrückungssystems. Es lieferte die metaphysische Begründung für die vermeintliche moralische Überlegenheit der Spanier und damit für ihren Führungsanspruch. Und den werden die Spanier – ebenso wie später andere europäische Nationen – in den folgenden Jahrhunderten mitsamt dem Christentum auch vielen anderen Völkern rund um den Erdball aufzwingen.