Zahlt die Stadt Bochum ein Bußgeld zurück?

Ein besonderer Fall verfassungsrechtlicher Arglist

Für die Bochumer Filmvorführung am Karfreitag ist besonders der zweite Grundsatz der "Karfreitagsentscheidung" einschlägig. Danach muss der Gesetzgeber auch für eine dem gesetzlichen Stilleschutz zuwiderlaufende Veranstaltung, die ihrerseits in den Schutzbereich der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art 4 Abs.1 und 2 GG) oder der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs.1 GG) fällt, die Möglichkeit einer Ausnahme von stilleschützenden Unterlassungspflichten vorsehen (Leitsatz 2).

Entscheidungsgegenstand war das Verbot von Teilen einer Karfreitagsveranstaltung des Bundes für Geistesfreiheit, einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, die dieser unter dem Motto "Heidenspaß statt Höllenqual – religionsfreie Zone München 2007" als provokative Gegenveranstaltung zum christlich verwurzelten, stillen Karfreitag konzipiert, beworben und geplant hatte – mit Rede- und Diskussionsteilen, abschließend aber auch mit einer "Heidenspaß-Party", auf der die Rockband "Heilig" zum Tanz aufspielen sollte. Das Verbot der abschließenden Party wurde im verwaltungsgerichtlichen Rechtszug bis zum Bundesverwaltungsgericht bestätigt. Das Bundesverfassungsgericht jedoch sah dadurch das Grundrecht der weltanschaulichen Bekenntnisfreiheit und der Versammlungsfreiheit verletzt, was bei Würdigung des gesamten Sachverhalts auch durch den besonderen Feiertagsschutz des Grundgesetzes nicht zu rechtfertigen sei.

Dem Bund für Geistesfreiheit sei ebenso wie Religionsgemeinschaften zuzugestehen, aufgrund seiner sinnstiftenden Prinzipien in die Öffentlichkeit zu wirken. Die aktive Bekenntnisfreiheit einer atheistischen Weltanschauung bringe es mit sich, dass nicht nur positive Aspekte wie Humanismus, Aufklärung, Toleranz und Liberalität werbend verbreitet werden könnten, sondern ebenso eine Abgrenzung von theistischen Anschauungen. Die Gottlosigkeit als wesentliches Unterscheidungskriterium und gleichzeitig Bindeglied einer atheistischen Weltanschauungsgemeinschaft erfordere dabei notwendigerweise auch eine Abgrenzung von den Feiertagen der Religionsgemeinschaften. Der Wunsch, am Karfreitag zu tanzen, sei daher Element der aktiven Betätigung eines freigeistigen Bekenntnisses, das sich plakativ präsentieren und ausleben wolle. Das steht, so das Bundesverfassungsgericht, trotz der Vergnügungsaspekte der Tanzveranstaltung ebenso unter dem Schutz der weltanschaulichen Bekenntnisfreiheit des Grundgesetzes wie der Schutz eines anerkannten hohen kirchlichen Feiertages. Daneben greife auch der grundgesetzliche Schutz der Versammlungsfreiheit ein, weil die Veranstaltung, anders als eine bloße Vergnügungsveranstaltung, nach ihrem Gesamtgepräge kommunikativ auf die öffentliche Meinung habe hinwirken wollen mit dem Ziel, einer konsequenten Trennung von Staat und Kirche und der Verringerung des kirchlichen Einflusses auf den Staat, wie er auch in den Beschränkungen des Feiertagsgesetzes zum Ausdruck komme.

In der Kollision dieser Grundrechte mit dem Feiertagsschutz des Grundgesetzes kann letzterer keinen unbedingten Vorrang genießen, es bedarf einer Abwägung im Einzelfall. Die Abwägungskriterien in der "Karfreitagsentscheidung" sind für die Beurteilung des Bochumer Falles von höchstem Interesse, weil das Bundesverfassungsgericht in beiden Entscheidungen auf nahezu dieselben Aspekte abstellt: eine Veranstaltung in einem geschlossenen Raum mit überschaubarer Teilnehmerzahl, geringe (nahezu keine) Auswirkungen auf den öffentlichen Ruhe- und Stillecharakter des Tages, legitimes Interesse, die Veranstaltung wegen des thematischen Bezuges gerade am Karfreitag abzuhalten. Unter solchen Bedingungen überwiegt der Grundrechtsschutz den Feiertagsschutz und es muss selbst dann, wenn ein Verbotstatbestand des Feiertagsgesetzes erfüllt ist, jedenfalls eine Ausnahmegenehmigung erteilt werden.

Wer sich dem extensiven Stilleschutz der Feiertagsgesetze anschließt, den das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich akzeptiert, wird sich zumindest diesen Abwägungskriterien stellen und ihrem Ergebnis zustimmen müssen. Aber warum gelangt das Bundesverfassungsgericht zu einer solchen Abwägung nur im Fall der Kollision des Feiertagsschutzes mit einer gegenläufigen Weltanschauungsfreiheit oder der Versammlungsfreiheit, nicht aber dann, wenn dem Feiertagsschutz "nur" die allgemeine Handlungsfreiheit, die Kunstfreiheit oder die Berufsfreiheit gegenüber steht? Es gibt keine Grundrechte höherer oder minderer Qualität. Bei jeder Grundrechtseinschränkung im Interesse anderer Verfassungsbelange ist nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip stets die Grundfrage zu beantworten, ob sie dafür erforderlich ist. Der "Heidenspaß" weltanschaulicher Gegner der christlichen Religion kann grundrechtlich nicht mehr wert sein als der Freizeitspaß von Menschen, die religiös/weltanschaulich indifferent am Karfreitag einfach so leben wollen wie sonst auch. Deshalb hätte die "Karfreitagsentscheidung" ihre abschließende Abwägung nicht auf Fallgestaltungen beschränken dürfen, in denen es um die Weltanschauungsfreiheit von Nichtchristen oder ihre Versammlungsfreiheit geht.

In seiner Entscheidung zum Bochumer "Brian-Fall" stellt das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich darauf ab, dass der Beschwerdeführer für die Vorführung des Brian-Filmes am Karfreitag mit Erfolg eine Ausnahmegenehmigung gemäß § 10 Abs.1 des Landesfeiertagsgesetzes hätte erhalten müssen: dafür habe einerseits "ein dringendes Bedürfnis" im Sinne dieser Norm bestanden habe und andrerseits sei damit nach den Maßstäben der "Karfreitagsentscheidung" "keine erhebliche Benachteiligung des Sonn- und Feiertagsschutzes verbunden". Das dringende Bedürfnis im Sinne des Gesetzes folge daraus, dass der Betroffene sich (auch als Einzelperson und Angehöriger einer weltanschaulichen Initiative) für sein Vorhaben auf Grundrechte berufen könne. Damit ist der Konflikt für die Zukunft vom Bundesverfassungsgericht unmissverständlich entschieden. Der Regierungspräsident wird sich nicht dazu verstehen, gegen diese Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts eine Ausnahmegenehmigung zu versagen, auch dann nicht, wenn das freigeistige Karfreitagsangebot in Zukunft über eine Filmvorführung hinaus erweitert wird. Und die Stadt Bochum wird nimmermehr auf die Idee kommen können, für grundrechtlich geschütztes Verhalten erneut ein Bußgeld zu verhängen.

In der Sache haben die "Brian-Aktivisten" also durchaus gewonnen, obwohl die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen worden ist. Letzteres ist für manche überraschend und knüpft an die Rechtsprechung zur Subsidiarität einer Verfassungsbeschwerde an. Diese wäre sicher dann nicht zulässig gewesen, wenn gegen das Bußgeld der ordentliche Rechtsweg bis zum Oberlandesgericht noch nicht erschöpft gewesen wäre. Darüber hinaus soll die Verfassungsbeschwerde auch dann ausgeschlossen sein, wenn das grundrechtliche Anliegen zumutbar auf anderem Weg hätte erreicht werden können, hier im Verwaltungsrechtsweg. Der Optimismus der Kammer, dass dies damals – vor allem auch in angemessener Zeit – geglückt wäre, muss allerdings in Zweifel gezogen werden. Im Sachverhalt der "Karfreitagsentscheidung" dauerte das mehr als 10 Jahre; allein der Senat, dessen Kammer nun den alternativen Weg für zumutbar hält, brauchte für seine Entscheidung sieben Jahre. Im Brian-Fall teilte der Regierungspräsident seinerzeit auf Anfrage mit, dass ein Film, der für Karfreitag nicht zugelassen sei, nach dem Landesfeiertagsgesetz nicht gezeigt werden dürfe. Er wies sogar darauf hin, dass ein nicht geeigneter Film selbst bei privaten unterhaltenden Veranstaltungen an Karfreitag nicht erlaubt sei. Ganz außerhalb seines Vorstellungsvermögens lag offenbar eine Ausnahmegenehmigung, die nun das Bundesverfassungsgericht befürwortet, zumal dafür die spätere "Karfreitagsentscheidung" damals noch keine Impulse gab. Und auch die obergerichtliche Rechtsprechung des OVG Münster, auf die das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss hinweist, ist gerade kein Beispiel für ein erfolgreiches Bemühen um eine Ausnahmegenehmigung: eine muslimische Beschneidungsfeier am Karfreitag mit Musik und Tanz im Saal einer Gaststätte sollte nicht genehmigungsfähig sein. War es deshalb, so die Kammer, wirklich zumutbar, zur Verwirklichung grundrechtlich geschützter Freiheit ein wahrscheinlich langes verwaltungsgerichtliches Verfahren zu durchstehen anstatt die Freiheit - im Einklang mit dem Grundgesetz - einfach wahrzunehmen?

Zum anderen war die nachfolgende Sanktionierung dieser grundrechtlich geschützten Freiheit durch das Bußgeld der Stadt Bochum eine eigene nach Maßstäben des Grundgesetzes zu treffende Ermessensentscheidung, die unabhängig von verwaltungsrechtlichen Vorfragen grundrechtskonform hätte unterbleiben müssen. Das Bundesverfassungsgericht liefert dafür in seiner Nichtannahmenentscheidung die Argumente. Ordentliche Gerichte haben das Bußgeld dennoch gebilligt. Es ist ein besonderer Fall von verfassungsrechtlicher Arglist, Grundrechtsfreiheit zu übergehen, dafür aber zu strafen. Dieser Vorwurf trifft die Stadt Bochum ebenso wie die ordentlichen Gerichte. Und danach das Bundesverfassungsgericht: der Kammerbeschluss, eine Entscheidung in der Sache - mit Aufhebung des Bußgeldes als Rechtsfolge – durch das Argument der Subsidiarität zu verweigern, ist mehr als nur arg formal und wenig grundrechtsfreundlich.

Ähnlich irritierend ist der Vorwurf des Bundesverfassungsgerichts, die Verfassungsbeschwerde zeige in ihrer ganzen Breite die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung nicht in hinreichend substantiierter Weise auf. Immerhin führten die Grundrechtsrügen die Kammer zu der Erkenntnis, dass die Grundrechtsbetroffenheit des Beschwerdeführers zu einer Ausnahmegenehmigung für sein Vorhaben hätte führen müssen – so in jeder Hinsicht unsubstantiiert können sie also nicht gewesen sein.

Und die Stadt Bochum? Wird sie schlussendlich wenigstens grundgesetzlichen Anstand zeigen und zumindest das Bußgeld, mit dem sie Wahrnehmung bürgerlicher Grundfreiheiten bestraft hat, zurückzahlen? Oder beharrt sie auf der Rechtskraft eines verfassungswidrigen Bußgeldes?

Für den freiheitlichen Verfassungsstaat ist elementare Rechtsgleichheit schlechthin unentbehrlich. Wenn sie sich den Grund- und Menschenrechten verpflichten, sind alle Weltanschauungen vor dem Gesetz gleich, Religion hat keinen Vorrang. Gottgläubige und Gottlose gelten im weltanschaulich neutralen Staat gleich viel. Nur so ist in einer Gesellschaft mit unterschiedlichen Weltanschauungen und Lebenskulturen ein friedliches Zusammenleben möglich. Wer einen Gottlosen bestraft, weil er nicht so lebt, wie Gläubige es nach ihrer Religion tun sollten, verletzt ein unverzichtbares Grundprinzip unserer Verfassung, auch wenn er nicht mehr foltert oder verbrennt, sondern nur ein Bußgeld verhängt.