Zahlt die Stadt Bochum ein Bußgeld zurück?

Ein besonderer Fall verfassungsrechtlicher Arglist

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Auch 2017 gut besucht: Der "Bochumer Brian" am Karfreitag
Brian Bochum

Das Bundesverfassungsgericht (BVerG) hat eine Verfassungsbeschwerde der Initiative Religionsfrei im Revier gegen das Feiertagsgesetz NRW  nicht zur Entscheidung angenommen. Der Bochumer Amtsrichter a. D. Dr. Ralf Feldmann nennt die Stellungnahme des BVerG in einer ausführlichen Anmerkung, die der hpd in voller Länge veröffentlicht, "einen besonderen Fall verfassungsrechtlicher Arglist".

Die Stadt Bochum ahndet die Wahrnehmung bürgerlicher Grundfreiheiten mit einem Bußgeld: das ist die Quintessenz aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts am Ende der rechtlichen Auseinandersetzung um das Bußgeld gegen die Vorführung des Filmes "Das Leben des Brian" am Karfreitag 2014.

Die wichtigsten Maßstäbe dafür enthält bereits die Grundsatzentscheidung des 1. Senats zum Schutz des Karfreitags vom 27. Oktober 2016 (1 BvR 458/10).

Eine Dreier-Kammer des Senats wendet nun die Grundsätze dieser Entscheidung im Beschluss über die Verfassungsbeschwerde gegen das Bochumer Bußgeld an. Beide Entscheidungen müssen zusammen gesehen werden. Die Kammer hat die Bochumer Verfassungsbeschwerde zwar "nicht zur Entscheidung angenommen", gibt in der Begründung aber dem Schutzanliegen der Beschwerde Recht: der Beschwerdeführer habe nämlich die Möglichkeit gehabt, vom Regierungspräsidenten für die Filmvorführung eine Ausnahmegenehmigung zu erhalten. Ein vorgeschaltetes Verwaltungsverfahren, so das Bundesverfassungsgericht, wäre nach den Grundsätzen seiner "Karfreitagsentscheidung" erfolgreich gewesen und hätte ein Bußgeld von vornherein verhindern können. Dieses Begründungselement der Entscheidung stellt mit verfassungsgerichtlicher Autorität klar: Die Vorführung des Filmes am Karfreitag hat den Feiertagsschutz nicht verletzt und war Wahrnehmung grundrechtlicher Freiheit.

Das ist ein Etappensieg im Kampf gegen gleichheitswidrige religiöse Vorrechte in Staat und Gesellschaft, bei dem jedoch große Hürden bleiben. So nimmt das Bundesverfassungsgericht die gesetzliche Konstruktion der Landesfeiertagsgesetze hin, die mit ihren Verbotskatalogen normale - und von Grundrechten geschützte - Lebensäußerungen selbst dann von einer Ausnahmegenehmigung abhängig machen, wenn sie die Interessen des Feiertagsschutzes faktisch gar nicht beeinträchtigen. Fragwürdig ist auch, die Verfassungsbeschwerde nicht zuzulassen gegen ein Bußgeld, das, so ist es der eigenen Begründung der Kammer zu entnehmen, die Wahrnehmung grundrechtlicher Freiheit bestraft.

Für die Initiative "Religionsfrei im Revier" ist die Vorführung eines für den Karfreitag nicht zugelassenen Filmes ein symbolischer Streit gegen Vorrechte von religiösen, insbesondere christlich gläubigen Menschen im gesellschaftlichen Zusammenleben mit Menschen anderer weltanschaulicher Prägung – ein Kampf um die Gleichheit aller Weltanschauungen, welche die Grund- und Menschenrechte akzeptieren. Aus welchen Verfassungsgründen sollen die religiösen Bedürfnisse der einen den Grundfreiheiten der anderen Grenzen setzen dürfen? Wenn etwa öffentliche Unterhaltungsveranstaltungen und musikalische Darbietungen in Räumen mit Schankbetrieb untersagt werden, schmälert das die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs.1 Grundgesetz), möglicherweise auch die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs.1 GG) oder die Kunstfreiheit (Art. 5 Abs.3 Satz 1 GG). Die Bochumer Kampagne "Brian am Karfreitag" ist ein Beispiel dafür, dass eine gottlose Weltanschauung mit dem Motiv, weltanschauliche Freiheit gegen religiöse Vorrechte zu erkämpfen, für politische Manifestationen gerade am Karfreitag Anlass sieht, deren Verbot in Art. 4 Abs.1 und 2 GG (Weltanschauungsfreiheit) oder Art. 8 Abs.1 GG (Versammlungsfreiheit) eingreifen würde. Die "Karfreitagsentscheidung" sucht Antworten auf die Frage, welches Gewicht ein grundgesetzlicher Feiertagsschutz und die Glaubensfreiheit christlicher Menschen gegenüber all diesen gegenläufigen Grundrechten anderer haben.

Ein Sonn- und Feiertagsschutz ist durch Art. 140 GG verfassungsrechtlich besonders gewährleistet, der Art.139 der Weimarer Reichsverfassung in das Grundgesetz aufnimmt: danach bleiben der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt. Der Umfang dieses Schutzes ist grundgesetzlich nicht definiert. Er hat verfassungsgeschichtlich nicht nur religiöse Wurzeln, sondern hatte stets auch eine (nur) weltliche Schutzrichtung. Gläubigen Christen garantiert er keine absolute Gestaltung des Sonntags oder christlicher Feiertage allein nach den Grundsätzen ihres christlichen Glaubens. Die historische Anknüpfung des Grundgesetzes auch an die Tradition christlicher Feiertage spricht allerdings für einen Anspruch auf Rahmenbedingungen, die Christen die Begehung z.B. des Karfreitags nach dem Inhalt und der religiösen Bedeutung dieses Tages angemessen ermöglichen. Andrerseits dürfen Bevölkerungsteilen anderer kultureller und weltanschaulich-religiöser Prägung aus Gründen ihres Grundrechtsschutzes keine unzumutbaren Belastungen auferlegt werden: niemand darf gezwungen werden, diesen Tag entsprechend einer bestimmten christlichen Überlieferung oder auch nur im Sinne innerer Einkehr zu begehen. Die gesetzlichen Unterlassungspflichten in den Landesfeiertagsgesetzen dürfen deshalb lediglich einen äußeren Rahmen für Ruhe und seelische Erhebung schaffen, einen "besonderen Stilleschutz" vorsehen, dabei aber "niemandem eine innere Haltung vorschreiben, sondern lediglich einen äußeren Ruherahmen schaffen" (Leitsatz 1 der "Karfreitagsentscheidung").

Ganz grundsätzlich schließt sich an diesen differenzierten Ausgangspunkt der Entscheidung die Frage an, ob der "besondere Stilleschutz" der vielen Einzelverbote in den Feiertagsgesetzen bedarf oder ob nicht die begrenzte Lösung ausreicht, die etwa § 9 Feiertagsgesetz NW für die jüdischen Feiertage des Neujahrsfestes und des Versöhnungstages vorsieht. Nach jüdischem Selbstverständnis ist der Versöhnungstag (Jom Kippur) ein strenger Fast- und Ruhetag und insoweit dem christlichen Karfreitag vergleichbar. Dennoch ist sein Stilleschutz zeitlich und örtlich auf den Kontext religiöser Kulthandlungen beschränkt: während der Zeit des Hauptgottesdienstes sind in der Nähe von Synagogen oder anderer Gottesdienstorte alle vermeidbaren, Lärm erregenden Handlungen sowie öffentliche Versammlungen, Auf- und Umzüge verboten, Verstöße dagegen eine mit Bußgeld bewehrte Ordnungswidrigkeit. Würde ein analoger Stilleschutz für Karfreitag den Interessen gläubiger Christen nicht ausreichend gerecht und zwingen nicht alle Einzelverbote, die darüber hinausgehen, entgegen dem Ausgangspunkt der "Karfreitagsentscheidung" dazu, die innere Feiertagshaltung von Gläubigen zu übernehmen? Das Bundesverfassungsgericht jedoch hinterfragt diesen weitergehenden, extensiven Stilleschutz der Feiertagsgesetze nicht grundsätzlich.

Jedenfalls sind die Begriffe "besonderer Stilleschutz" und "äußerer Ruherahmen" sehr unbestimmt und auslegungsbedürftig. Dabei muss das Verhältnismäßigkeitsprinzip helfen: das konkrete Ausmaß dieses Stilleschutzes muss verhältnismäßig sein. Verhältnismäßig ist eine Unterlassungspflicht (z.B. keine Musik in Schankbetrieben) nur dann, wenn sie erforderlich ist, um Christen die Begehung des Karfreitags ohne wesentlichen Eingriff in ihren religiös geprägten Tagesablauf zu ermöglichen. Die Prüfung der Erforderlichkeit einer Grundrechtsbeschränkung zugunsten des Grundrechts eines anderen hat grundsätzlich nach einem strengen, engen Maßstab zu erfolgen. Denn ein weiter Spielraum des Gesetzgebers würde sonst Grundrechtseinschränkungen über einen verfassungsrechtlich legitimierten Zweck hinaus ermöglichen. Eine wesentliche Grundfrage der Erforderlichkeitsprüfung muss deshalb die Frage sein, ob ein am Karfreitag verbotenes Verhalten von gläubigen Christen überhaupt unausweichlich wahrgenommen werden kann. Verbote von Veranstaltungen, die zwar öffentlich angeboten werden, von ihrer Konzeption her aber ohne wesentliche Außenwirkung in den öffentlichen Raum bleiben, können nicht verhältnismäßig sein und sind deshalb grundrechtswidrig. Was außerhalb öffentlicher Wahrnehmung bleibt, kann gläubige Christen in ihrer Begehung des Karfreitags nicht berühren. Nicht bereits die Öffentlichkeit des Angebots oder des Zugangs zu einer Veranstaltung können einem "äußeren Ruherahmen" widersprechen, sondern allein die Außenwirkung ihres Ablaufs in die Öffentlichkeit hinein.

In der "Karfreitagsentscheidung" löst das Bundesverfassungsgericht nicht einmal die eigenen Vorgaben konsequent ein, wenn es zunächst die gängigen Verbotskataloge der Feiertagsgesetze grundsätzlich hinnimmt, die einen weiten Spielraum des Gesetzgebers widerspiegeln. So werden musikalische und sonstige unterhaltende Darbietungen jeder Art in Gaststätten und Nebenräumen mit Schankbetrieb, öffentlicher Tanz und andere der Unterhaltung dienende öffentliche Veranstaltungen generell verboten, unabhängig davon, ob sie nach Art und Lage der jeweiligen Räumlichkeiten in ihren Abläufen überhaupt in die Öffentlichkeit dringen. Welcher besondere Stilleschutz, welcher äußere Ruherahmen oder welche unerlässliche Grundbedingung für innere religiöse Einkehr ist aber verletzt, wenn fröhliche Menschen in einer gut schallisolierten Diskothek zu fetzigen Rhythmen tanzen? Noch dringender ist diese Frage zu beantworten, wenn in einem nach außen abgeschlossenen Kino – vom Feiertagsgesetz ebenfalls verboten – ein als zur Aufführung am Karfreitag angeblich nicht geeigneter Film gezeigt wird. Welche Außenwirkung hat die angebliche Nichteignung eines Filmes für Stilleschutz und Ruherahmen?

Menschen anderer kultureller und weltanschaulicher Prägung bleiben durch die Verbotskataloge entgegen der Differenzierung im Leitsatz 1 der "Karfreitagsentscheidung" einem Zwang ausgesetzt, den Tag nach christlicher Überlieferung und im Sinne stiller innerer Einkehr zu begehen – eben nicht zu tanzen oder im Kino einen an Karfreitag verbotenen Film anzuschauen. Das verfassungsrechtliche Dilemma eines rigorosen "Stillerahmens" durch Verbotskataloge erkennt das Bundesverfassungsgericht durchaus und sieht deshalb ein notwendiges Korrektiv darin, die Verbotstatbestände verfassungskonform auszulegen: bei der Einordnung unterschiedlicher Formen von Unterhaltungsveranstaltungen sei zu berücksichtigen, dass "damit nicht etwa das christliche Karfreitagsverständnis zum Maßstab des Ernstes erhobene wird, sondern – dem Neutralitätsprinzip gerecht werdend – mit dem Begriff des ernsten Charakters lediglich der spezifische äußere Rahmen des Tages zur seelischen Erhebung beschrieben wird". Deshalb könne etwa eine verfassungskonforme Einengung des Verbots "musikalischer Darbietungen in Schankbetrieben" dazu führen, es auf öffentliche Veranstaltungen zu beschränken, während nicht-öffentliche, also im privaten Bereich oder als "geschlossene Veranstaltung" konzipierte Formate grundsätzlich möglich seien: eine allenfalls halbherzige Akzeptanz von Lebensbedürfnissen nichtgläubiger Menschen am Karfreitag, weil eine Veranstaltung schon durch ein öffentliches Angebot und den öffentlichen Zugang verboten bliebe, auch wenn sie nach außen Stille wahren würde.

Wenn man – auf die Evidenz des eigenen Vorverständnisses bauend – einen Stilleschutz über den zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit den Hauptgottesdiensten hinaus verfassungsrechtlich für begründbar hält, gäbe es durchaus einen Weg, die Grundrechtsbelange von Gläubigen und Nichtgläubigen für letztere schonender in Einklang zu bringen, als dies mit Verboten geschieht. Das Regel-Ausnahme-Verhältnis von Verbot und Erlaubtsein müsste umgekehrt werden. Dazu müssten die grundsätzlich normalen und sogar grundrechtlich geschützten Lebensäußerungen, die wegen eines Risikos für einen Stilleschutz am Karfreitag zu Verbotstatbeständen gemacht werden, weniger weitgehend nur mit einer Anzeigepflicht belegt werden. Wer zum Beispiel am Karfreitag musikalische Darbietungen oder eine Tanzveranstaltung in seiner Gaststätte durchführen will, hätte der Ordnungsbehörde bei der Anmeldung ein Konzept vorzulegen, das unter Berücksichtigung der konkreten örtlichen Verhältnisse dem Stilleschutz nach außen Rechnung trüge. Die Behörde könnte gegebenenfalls mit Auflagen darauf hinwirken und hätte im Einzelfall eine prognostische Begründungslast für die konkrete Verletzung des Stilleschutzes. Der Ausgleich widerstreitender Verfassungsbelange geschähe kommunikativ, nicht auf der Grundlage von Verboten. Eine solche gesetzliche Konstruktion ginge von der Erlaubtheit normaler Lebensäußerungen, von menschlichen Grundfreiheiten als Regelfall aus, und würde Eingriffe oder Verbote in jedem - dann seltenen - Ausnahmefall begründungspflichtig machen. Die jetzige gesetzliche Konstruktion der Feiertagsgesetze geht umgekehrt vom Verbot aus, von dem unter relativ strengen Voraussetzungen Ausnahmen möglich sein sollen, und schiebt so dem Grundrechtsträger eine Antragslast dafür zu, dass sein normales Verhalten ausnahmsweise zu genehmigen sei. Stilleschutz bis hin zum gänzlich überschießenden Verbot, in der Abgeschiedenheit eines Kinos Filme zu zeigen, ist die Regel, die Wahrnehmung grundrechtlicher Freiheit die Ausnahme.

Bei einem solchen Regel-Ausnahmeverhältnis ist der Hinweis des Bundesverfassungsgerichts besonders wichtig, dass die Verhängung eines Bußgeldes nach einem Verstoß gegen ein Karfreitagsverbot dem Opportunitätsprinzip unterliegt, also nicht zwangsläufig ist. Dem ist erneut die Ermahnung zu verfassungskonformer Gesetzesanwendung hinzuzufügen. Denn für die Ermessenentscheidung über das Ob und Wie eines Bußgeldes kommt es bei verfassungskonformer Ermessensausübung vor allem auf die Abwägung des Feiertagsschutzes gegen die Grundrechte der vom Verbot Betroffenen an, wobei die Frage nach einer konkreten Beeinträchtigung des "Stillerahmens" wieder primäre Bedeutung hat. Der Bußgeldbescheid der Stadt Bochum und die Gerichtsentscheidungen des Amtsgerichts und des Oberlandesgerichts übersahen oder übergingen diesen grundsätzlichen Aspekt verfassungskonformer Handhabung des Opportunitätsprinzips allerdings völlig. Die Brian-Freunde waren im Sozialen Zentrum ganz unter sich, nichts von ihrer Freude drang nach draußen, dennoch ein Bußgeld. Warum? Die Entscheidungen schweigen dazu.

Für die Bochumer Filmvorführung am Karfreitag ist besonders der zweite Grundsatz der "Karfreitagsentscheidung" einschlägig. Danach muss der Gesetzgeber auch für eine dem gesetzlichen Stilleschutz zuwiderlaufende Veranstaltung, die ihrerseits in den Schutzbereich der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art 4 Abs.1 und 2 GG) oder der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs.1 GG) fällt, die Möglichkeit einer Ausnahme von stilleschützenden Unterlassungspflichten vorsehen (Leitsatz 2).

Entscheidungsgegenstand war das Verbot von Teilen einer Karfreitagsveranstaltung des Bundes für Geistesfreiheit, einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, die dieser unter dem Motto "Heidenspaß statt Höllenqual – religionsfreie Zone München 2007" als provokative Gegenveranstaltung zum christlich verwurzelten, stillen Karfreitag konzipiert, beworben und geplant hatte – mit Rede- und Diskussionsteilen, abschließend aber auch mit einer "Heidenspaß-Party", auf der die Rockband "Heilig" zum Tanz aufspielen sollte. Das Verbot der abschließenden Party wurde im verwaltungsgerichtlichen Rechtszug bis zum Bundesverwaltungsgericht bestätigt. Das Bundesverfassungsgericht jedoch sah dadurch das Grundrecht der weltanschaulichen Bekenntnisfreiheit und der Versammlungsfreiheit verletzt, was bei Würdigung des gesamten Sachverhalts auch durch den besonderen Feiertagsschutz des Grundgesetzes nicht zu rechtfertigen sei.

Dem Bund für Geistesfreiheit sei ebenso wie Religionsgemeinschaften zuzugestehen, aufgrund seiner sinnstiftenden Prinzipien in die Öffentlichkeit zu wirken. Die aktive Bekenntnisfreiheit einer atheistischen Weltanschauung bringe es mit sich, dass nicht nur positive Aspekte wie Humanismus, Aufklärung, Toleranz und Liberalität werbend verbreitet werden könnten, sondern ebenso eine Abgrenzung von theistischen Anschauungen. Die Gottlosigkeit als wesentliches Unterscheidungskriterium und gleichzeitig Bindeglied einer atheistischen Weltanschauungsgemeinschaft erfordere dabei notwendigerweise auch eine Abgrenzung von den Feiertagen der Religionsgemeinschaften. Der Wunsch, am Karfreitag zu tanzen, sei daher Element der aktiven Betätigung eines freigeistigen Bekenntnisses, das sich plakativ präsentieren und ausleben wolle. Das steht, so das Bundesverfassungsgericht, trotz der Vergnügungsaspekte der Tanzveranstaltung ebenso unter dem Schutz der weltanschaulichen Bekenntnisfreiheit des Grundgesetzes wie der Schutz eines anerkannten hohen kirchlichen Feiertages. Daneben greife auch der grundgesetzliche Schutz der Versammlungsfreiheit ein, weil die Veranstaltung, anders als eine bloße Vergnügungsveranstaltung, nach ihrem Gesamtgepräge kommunikativ auf die öffentliche Meinung habe hinwirken wollen mit dem Ziel, einer konsequenten Trennung von Staat und Kirche und der Verringerung des kirchlichen Einflusses auf den Staat, wie er auch in den Beschränkungen des Feiertagsgesetzes zum Ausdruck komme.

In der Kollision dieser Grundrechte mit dem Feiertagsschutz des Grundgesetzes kann letzterer keinen unbedingten Vorrang genießen, es bedarf einer Abwägung im Einzelfall. Die Abwägungskriterien in der "Karfreitagsentscheidung" sind für die Beurteilung des Bochumer Falles von höchstem Interesse, weil das Bundesverfassungsgericht in beiden Entscheidungen auf nahezu dieselben Aspekte abstellt: eine Veranstaltung in einem geschlossenen Raum mit überschaubarer Teilnehmerzahl, geringe (nahezu keine) Auswirkungen auf den öffentlichen Ruhe- und Stillecharakter des Tages, legitimes Interesse, die Veranstaltung wegen des thematischen Bezuges gerade am Karfreitag abzuhalten. Unter solchen Bedingungen überwiegt der Grundrechtsschutz den Feiertagsschutz und es muss selbst dann, wenn ein Verbotstatbestand des Feiertagsgesetzes erfüllt ist, jedenfalls eine Ausnahmegenehmigung erteilt werden.

Wer sich dem extensiven Stilleschutz der Feiertagsgesetze anschließt, den das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich akzeptiert, wird sich zumindest diesen Abwägungskriterien stellen und ihrem Ergebnis zustimmen müssen. Aber warum gelangt das Bundesverfassungsgericht zu einer solchen Abwägung nur im Fall der Kollision des Feiertagsschutzes mit einer gegenläufigen Weltanschauungsfreiheit oder der Versammlungsfreiheit, nicht aber dann, wenn dem Feiertagsschutz "nur" die allgemeine Handlungsfreiheit, die Kunstfreiheit oder die Berufsfreiheit gegenüber steht? Es gibt keine Grundrechte höherer oder minderer Qualität. Bei jeder Grundrechtseinschränkung im Interesse anderer Verfassungsbelange ist nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip stets die Grundfrage zu beantworten, ob sie dafür erforderlich ist. Der "Heidenspaß" weltanschaulicher Gegner der christlichen Religion kann grundrechtlich nicht mehr wert sein als der Freizeitspaß von Menschen, die religiös/weltanschaulich indifferent am Karfreitag einfach so leben wollen wie sonst auch. Deshalb hätte die "Karfreitagsentscheidung" ihre abschließende Abwägung nicht auf Fallgestaltungen beschränken dürfen, in denen es um die Weltanschauungsfreiheit von Nichtchristen oder ihre Versammlungsfreiheit geht.

In seiner Entscheidung zum Bochumer "Brian-Fall" stellt das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich darauf ab, dass der Beschwerdeführer für die Vorführung des Brian-Filmes am Karfreitag mit Erfolg eine Ausnahmegenehmigung gemäß § 10 Abs.1 des Landesfeiertagsgesetzes hätte erhalten müssen: dafür habe einerseits "ein dringendes Bedürfnis" im Sinne dieser Norm bestanden habe und andrerseits sei damit nach den Maßstäben der "Karfreitagsentscheidung" "keine erhebliche Benachteiligung des Sonn- und Feiertagsschutzes verbunden". Das dringende Bedürfnis im Sinne des Gesetzes folge daraus, dass der Betroffene sich (auch als Einzelperson und Angehöriger einer weltanschaulichen Initiative) für sein Vorhaben auf Grundrechte berufen könne. Damit ist der Konflikt für die Zukunft vom Bundesverfassungsgericht unmissverständlich entschieden. Der Regierungspräsident wird sich nicht dazu verstehen, gegen diese Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts eine Ausnahmegenehmigung zu versagen, auch dann nicht, wenn das freigeistige Karfreitagsangebot in Zukunft über eine Filmvorführung hinaus erweitert wird. Und die Stadt Bochum wird nimmermehr auf die Idee kommen können, für grundrechtlich geschütztes Verhalten erneut ein Bußgeld zu verhängen.

In der Sache haben die "Brian-Aktivisten" also durchaus gewonnen, obwohl die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen worden ist. Letzteres ist für manche überraschend und knüpft an die Rechtsprechung zur Subsidiarität einer Verfassungsbeschwerde an. Diese wäre sicher dann nicht zulässig gewesen, wenn gegen das Bußgeld der ordentliche Rechtsweg bis zum Oberlandesgericht noch nicht erschöpft gewesen wäre. Darüber hinaus soll die Verfassungsbeschwerde auch dann ausgeschlossen sein, wenn das grundrechtliche Anliegen zumutbar auf anderem Weg hätte erreicht werden können, hier im Verwaltungsrechtsweg. Der Optimismus der Kammer, dass dies damals – vor allem auch in angemessener Zeit – geglückt wäre, muss allerdings in Zweifel gezogen werden. Im Sachverhalt der "Karfreitagsentscheidung" dauerte das mehr als 10 Jahre; allein der Senat, dessen Kammer nun den alternativen Weg für zumutbar hält, brauchte für seine Entscheidung sieben Jahre. Im Brian-Fall teilte der Regierungspräsident seinerzeit auf Anfrage mit, dass ein Film, der für Karfreitag nicht zugelassen sei, nach dem Landesfeiertagsgesetz nicht gezeigt werden dürfe. Er wies sogar darauf hin, dass ein nicht geeigneter Film selbst bei privaten unterhaltenden Veranstaltungen an Karfreitag nicht erlaubt sei. Ganz außerhalb seines Vorstellungsvermögens lag offenbar eine Ausnahmegenehmigung, die nun das Bundesverfassungsgericht befürwortet, zumal dafür die spätere "Karfreitagsentscheidung" damals noch keine Impulse gab. Und auch die obergerichtliche Rechtsprechung des OVG Münster, auf die das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss hinweist, ist gerade kein Beispiel für ein erfolgreiches Bemühen um eine Ausnahmegenehmigung: eine muslimische Beschneidungsfeier am Karfreitag mit Musik und Tanz im Saal einer Gaststätte sollte nicht genehmigungsfähig sein. War es deshalb, so die Kammer, wirklich zumutbar, zur Verwirklichung grundrechtlich geschützter Freiheit ein wahrscheinlich langes verwaltungsgerichtliches Verfahren zu durchstehen anstatt die Freiheit - im Einklang mit dem Grundgesetz - einfach wahrzunehmen?

Zum anderen war die nachfolgende Sanktionierung dieser grundrechtlich geschützten Freiheit durch das Bußgeld der Stadt Bochum eine eigene nach Maßstäben des Grundgesetzes zu treffende Ermessensentscheidung, die unabhängig von verwaltungsrechtlichen Vorfragen grundrechtskonform hätte unterbleiben müssen. Das Bundesverfassungsgericht liefert dafür in seiner Nichtannahmenentscheidung die Argumente. Ordentliche Gerichte haben das Bußgeld dennoch gebilligt. Es ist ein besonderer Fall von verfassungsrechtlicher Arglist, Grundrechtsfreiheit zu übergehen, dafür aber zu strafen. Dieser Vorwurf trifft die Stadt Bochum ebenso wie die ordentlichen Gerichte. Und danach das Bundesverfassungsgericht: der Kammerbeschluss, eine Entscheidung in der Sache - mit Aufhebung des Bußgeldes als Rechtsfolge – durch das Argument der Subsidiarität zu verweigern, ist mehr als nur arg formal und wenig grundrechtsfreundlich.

Ähnlich irritierend ist der Vorwurf des Bundesverfassungsgerichts, die Verfassungsbeschwerde zeige in ihrer ganzen Breite die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung nicht in hinreichend substantiierter Weise auf. Immerhin führten die Grundrechtsrügen die Kammer zu der Erkenntnis, dass die Grundrechtsbetroffenheit des Beschwerdeführers zu einer Ausnahmegenehmigung für sein Vorhaben hätte führen müssen – so in jeder Hinsicht unsubstantiiert können sie also nicht gewesen sein.

Und die Stadt Bochum? Wird sie schlussendlich wenigstens grundgesetzlichen Anstand zeigen und zumindest das Bußgeld, mit dem sie Wahrnehmung bürgerlicher Grundfreiheiten bestraft hat, zurückzahlen? Oder beharrt sie auf der Rechtskraft eines verfassungswidrigen Bußgeldes?

Für den freiheitlichen Verfassungsstaat ist elementare Rechtsgleichheit schlechthin unentbehrlich. Wenn sie sich den Grund- und Menschenrechten verpflichten, sind alle Weltanschauungen vor dem Gesetz gleich, Religion hat keinen Vorrang. Gottgläubige und Gottlose gelten im weltanschaulich neutralen Staat gleich viel. Nur so ist in einer Gesellschaft mit unterschiedlichen Weltanschauungen und Lebenskulturen ein friedliches Zusammenleben möglich. Wer einen Gottlosen bestraft, weil er nicht so lebt, wie Gläubige es nach ihrer Religion tun sollten, verletzt ein unverzichtbares Grundprinzip unserer Verfassung, auch wenn er nicht mehr foltert oder verbrennt, sondern nur ein Bußgeld verhängt.