Corona, die Finanzkrise und die Kirche

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Was seit Beginn des Jahres 2020, das als Katastrophenjahr in die Geschichte eingehen wird, geschehen ist, erweist sich als fundamental. Eine beispiellose Flut von Ereignissen, von Krankheit, Elend und Tod ist auf die Menschheit hereingebrochen, viele unserer bisherigen Übel erscheinen dagegen harmlos.

Nach weitverbreiteter Meinung der Bevölkerung hat der Staat bis jetzt klug reagiert. Neben zahlreichen anderen Maßnahmen öffnete er die Staatsschatulle und stellt 38 Milliarden Euro als Soforthilfe bereit. Zusätzlich gibt es zahlreiche Institutionen und Privatinitiativen, die Hilfestellung bieten, viele Firmen bekunden ihre Bereitschaft, Mitarbeitern frei zu geben, Energielieferanten und Vermieter zeigen sich bei Zahlungsrückständen kulant, das Heer springt bei Regalschlichtungen ein, die AUA transportiert Medikamente und Hilfsgüter aus China und so weiter.

Wie sieht das mit der Kirche aus?

In Österreich sind Staat und Kirche nicht, wie in der Verfassung vorgesehen, völlig getrennt. Wir säkularen Humanisten beanstanden dies seit langem. Offiziell wird das Verhältnis von Staat und Kirche als "kooperatives Modell" bezeichnet, wie sieht dies aber in der Praxis aus? Wenn es um Macht und Einfluss geht, ist die Kirche kooperativ, wenn es um finanzielle Leistungen geht, hört die Zusammenarbeit schnell auf und man ist bestenfalls bereit, gute Ratschläge zu geben. "Die Kirche hat einen großen Magen", schrieb Goethe vor rund 250 Jahren und daran hat sich bis heute nichts geändert. Das Tor für die Einnahmen hat Scheunentorcharakter, die Klappe für die Ausgaben ist kaum größer als ein Nadelöhr. "Seit Menschengedenken hat die Kirche noch nie etwas freiwillig ausgelassen!", meint der Experte für Kirchenfinanzen Carsten Frerk aus Berlin.

Unter diesen Voraussetzungen ist es kein Wunder, dass die katholische Kirche auf unermesslichen Reichtümern sitzt. Ihr Vermögen wird weltweit auf rund 200 Milliarden Euro geschätzt, genaue Zahlen sind nicht verfügbar. Dass man Grundstücke, Häuser und Kunstwerke, die sich zu Tausenden im Vatikan häufen, auch verkaufen oder belehnen kann, hat sich in der Kirche noch nicht herumgesprochen und so stellt sie sich auch bei Corona taub, verteilt aber gute Ratschläge und Gemeinplätze. So zum Beispiel der "Bettelmönch" Kardinal Schönborn im edlen Ambiente seines Palais: "Muss man über das Wochenende nach London zum Shoppen fliegen?"

Im Gegenzug würde ich als einfacher Bürger, der demnächst heftig zur Kasse gebeten werden wird, fragen: "Muss man seit 400 Jahren in einem Prunkpalais wohnen und arbeiten? In einem Gebäude, das zwischen 1632 und 1641, also mitten im Dreißigjährigen Krieg, in dem fast ein Drittel der Bevölkerung verhungerte, erbaut wurde? In einem Palast, der keinerlei Maßstäbe der Sparsamkeit und Zweckmäßigkeit erfüllt, sondern nur Macht und Protz demonstriert?"

Schönborn weiter am 22. März 2020: "Ich habe den Himmel über Wien schon lange nicht mehr so klar gesehen, es gibt keine Kondensstreifen der Flugzeuge, die den Himmel verschmieren. Alles durch schmerzliche Einschnitte, aber vielleicht sind sie auf lange Sicht auch heilsam …. Ich glaube, diese Krise wird zu einer großen Besinnung führen."

Besinnung wäre zweifellos richtig und wichtig, sie ist aber, zumindest, was die Kirche anlangt, nicht zu erwarten. Während in ihrer PR-Abteilung schon seit Jahrzehnten von der "armen Kirche" gesprochen wird, ist auf ihrer Aktiv–Seite nichts davon zu spüren. Im Gegenteil, die katholische Kirche Österreichs hat jede Gelegenheit wahrgenommen, sich noch mehr an öffentlichen Töpfen zu bedienen. Eine Diskussion – wie zum Beispiel in Deutschland – über die Ablöse der jährlich zu leistenden Entschädigungssumme für konfiszierte Kirchengüter findet nicht statt. Derzeit zahlt der österreichische Staat jedes Jahr 44 Millionen Euro an die Kirche für diesen höchst diskussionswürdigen Posten aus der Vergangenheit, ein Ende dieser Zahlungen ist nicht in Sicht. Werden sie bis zum Sankt Nimmerleinstag weitergehen?

Was würden die Bürger wohl sagen, wenn Österreich jedes Jahr 44 Millionen Euro an die Habsburger zahlen müsste, um sie für Schönbrunn und andere Schlösser zu entschädigen?

Darüber und über viele weitere Fragen, die das Verhältnis von Staat und Kirche betreffen, darf in Österreich nicht diskutiert werden. Dies bildet einen der Hauptkritikpunkte säkularer Humanisten. Juristisch gesehen bestehen die Zahlungen vermutlich zu Recht, dies aber aus jeder Diskussion zu lassen, ist einer Demokratie unwürdig (nicht zuletzt ist ja auch der Ursprung des Großteils der Kirchenreichtümer diskussionswürdig).

Der Umgang mit dieser – und vielen anderen ähnlichen Fragen – zeugt von einem merkwürdigen Selbstverständnis eines säkularen Staates. Er wird in der Theorie beschworen, in der Praxis existiert er nicht. Sich in Machtfragen einzumischen, wie es in Kirchenkreisen üblich ist, beim Mittragen der Bürden aber keine Verantwortung zu übernehmen, ist obszön. In Zeiten, in denen jeder Cent umgedreht werden muss, um die notleidende Bevölkerung zu unterstützen, ist es ein Skandal, nicht einmal die Diskussion zu gestatten, ob die Kirche nicht auch ein wesentliches Scherflein aus ihrem mit Millionen gefüllten "Notgroschen" beitragen muss (die katholische Kirche besitzt zum Beispiel allein im Wiener Zentrum jedes 10. Haus und ihr Wiener Grundbesitz umfasst die Größe des Bundeslandes Vorarlberg).

Alle Diskussionen, die ich in dieser Angelegenheit in den letzten Jahren zu Dutzenden auch mit Spitzenpolitikern geführt habe, endeten mit dem Satz: "Das steht so im Konkordat." Ist das Konkordat eine heilige Kuh? Es ist ein Gesetz, das unter einem faschistischen Regime zustande kam und in seinen Grundzügen bereits unsittlich war, weil es nur einem Vertragspartner Bürden auferlegte und der andere nur davon profitierte. Die Vertragsgrundlage des Konkordats hat sich seither grundlegend geändert und das würde genügen, sich damit neu zu befassen.

Die Kirche in Österreich steht im Hinblick auf ihre Akzeptanz mit dem Rücken zur Wand, was nach 400 Jahren repressiver Gegenreformation auch verständlich ist. Hinge die Institution nicht am Tropf des Staates, müsste sie längst auf den schwindenden Rückhalt in der Bevölkerung reagieren. So aber werden Gebäude – die katholische Kirche besitzt in Österreich über 10.000 – durchfinanziert. Kirchen werden renoviert, wo es kaum mehr Gläubige gibt und Pfarreien, die keinen Priesternachschub besitzen, werden erhalten.

Der Absetzbetrag für den Kirchenbeitrag (bis 400 Euro absetzbar) ist eine Subvention des Staates, die den Steuerzahler jedes Jahr 120 Millionen Euro kostet, seit der Einführung im Jahr 2011 wurden damit über eine Milliarde Euro Steuergeld verschleudert. Eine Regelung, die sofort abgeschafft werden könnte. Wer in der Kirche seinen Lebenssinn sieht, wird wohl auch den Kirchbeitrag entrichten.

Schönborn zitierte im oben angegebenen Interview auch den Wiener Stadtpatron Klemens Maria Hofbauer: "Nur Mut, Gott lenkt alles." Und er führte dazu weiter aus: "Gott lenkt, aber nicht ohne uns". Dies als adaptierte Form des alten Sprichwortes: "Der Mensch denkt, aber Gott lenkt!" Alles Gute wird Gott zugeschrieben und wenn etwas schief läuft, hat es der Mensch zu verantworten. Man kann aus diesem Zitat aber auch herauslesen: "Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott!" – ein größerer Zynismus ist kaum denkbar. Angesichts der jüngsten erdumspannenden Katastrophe müsste man die schon von Epikur formulierte Theodizee-Frage stellen: "Hat uns der allgütige, allmächtige Gott in die Katastrophe gelenkt? Wenn ja, ist er böse, wenn nein, ist er nicht allmächtig oder inexistent!"

Update am 03. April 2020: Die Kirche hat - als ob sie die Stimmung, die aus dem Artikel hervorgeht, aufgefangen hätte - am 29.3. 2010 eine Million Euro an die Caritas gespendet. Das sollte man fairerweise erwähnen und bezeugt auch in gewisser Weise die Berechtigung des Artikels. 

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