Die gesellschaftlichen Balken knarzen

Covid-19 und soziale Ungleichheit

rohrenplastiken_hockgraben_uni_konstanz-3.jpg

Röhrenplastik des Künstlers Friedrich Gräsel im Hockgraben bei der Uni Konstanz.
Röhrenplastik bei der Uni Konstanz

Die Corona-Pandemie ist eine Belastung für uns alle – doch in unterschiedlichem Ausmaß. Eine Untersuchung der Universität Konstanz hat nun festgestellt, dass besonders Eltern sich mit der zusätzlichen Belastung allein gelassen fühlen. Die Studie zeigt außerdem, dass gerade diejenigen, die weniger von der Pandemie betroffen sind und keiner medizinischen Risikogruppe angehören, zu gesteigerter Skepsis gegenüber den staatlichen Maßnahmen neigen. Zurecht fragen die Autor*innen: "Vertraut die Gesellschaft ihrem Staat noch?"

Die Universität Konstanz befragte im April 2020, im November 2020 und im Mai 2021 in Deutschland ansässige Bürger*innen zu ihren Ansichten zur Performanz des Gesundheits- und Bildungssystems, zu ihren Einstellungen zur Impfkampagne und den Eindämmungsmaßnahmen sowie zu ihrer persönlichen Lebenszufriedenheit. Aus diesen vier Mikro-Studien stellte die Universität dann den Report "Covid-19 und soziale Ungleichheit" zusammen.

Bereits im November konnten die Befragten in drei Gruppen eingeteilt werden: "Einsicht und Akzeptanz", "Betroffenheit, "Fügung und Zweifel" sowie "Trivialisierung, Verschwörung und Protest". Während der Anteil der Bürger*innen in der Gruppe "Einsicht und Akzeptanz" zwischen November 2020 und Mai 2021 relativ stabil bei etwa 75 Prozent der Bevölkerung blieb, hat sich die Zahl derer, die der Gruppe "Trivialisierung, Verschwörung und Protest" zuzurechnen sind, von 11,7 auf 19 Prozent erhöht. Hieraus lässt sich schließen: Wer immer noch zweifelt, sei es an der Virulenz des Coronavirus oder der Existenz desselben an sich, wird sich eher radikalisieren als Eindämmungsmaßnahmen zu akzeptieren.

Vertrauen in politische Institutionen stark rückläufig

Die Befragung zur Zufriedenheit mit dem Gesundheitssystem zeigt eine sich in der Bevölkerung breitmachende Ernüchterung. Waren im November noch 56 Prozent der Befragten der Auffassung, die Krisenreaktion des deutschen Gesundheitsapparats sei positiv zu bewerten, so geben ein halbes Jahr später nur noch 29 Prozent der Befragten diese Antwort – fast eine glatte Halbierung. Bereits im November war nur jede*r Dritte der Meinung, das Gesundheitssystem sei gut auf eine solche Krise vorbereitet gewesen. Im Mai sagte dies nur noch jede*r achte Befragte.

Noch vernichtender ist das Verdikt der Befragten zum deutschen Bildungssektor. Nur noch 1,5 Prozent bezeichnen die Krisenvorbereitung des Bildungssystems als "gut" oder "sehr gut", während fast die Hälfte der Befragten von einer "sehr schlechten" Vorbereitung spricht. Ähnlich verhält es sich mit der Krisenreaktion selbst, hier sind lediglich sechs Prozent der Teilnehmenden zufrieden oder sehr zufrieden, mehr als jede*r Zweite ist unzufrieden oder gar sehr unzufrieden.

Wie stark das Vertrauen in politische Institutionen gesunken ist hängt auch, aber nicht ausschließlich, von der parteipolitischen Neigung ab. Personen, die sich ideologisch der AfD zugehörig fühlen oder keine parteipolitische Neigung angeben, zeichnen sich durch vergleichsweise stark unterdurchschnittliches Vertrauen in die Politik aus.

Doch auch unter den Anhänger*innen anderer Parteien ist das politische Vertrauen zwischen Beginn der Pandemie und Mai 2021 stark gesunken, im Mittel um etwa 14 Prozent. "Die Politik sollte nach Bewältigung der akuten Krise langfristig angelegte Strategien entwickeln, die die Krisenreaktionsfähigkeit des Systems nachhaltig verbessern, besonders in den Bereichen Gesundheit und Bildung", resümieren die Autor*innen.

"Radikalisierung der Zweifelnden"

Bereits zu Beginn der Pandemie stand rund ein Viertel der Bevölkerung dem Kurs der Politik skeptisch gegenüber. In dieser Gruppe zeigt sich seitdem eine Verschiebung der Kräfteverhältnisse von Zweifel und Unsicherheit hin zu Trivialisierung und aktivem Protest, den die Autor*innen mit dem Begriff "Radikalisierung der Zweifelnden" beschreiben.

Personen, die zur Gruppe "Einsicht und Akzeptanz" gehören, sehen sich nur in etwa sechs Prozent der Fälle ökonomisch und in 3,6 Prozent der Fälle familiär durch den Lockdown bedroht. Bei den Zweifelnden, also jenen, die zur Gruppe "Betroffenheit, Fügung und Zweifel" gehören, zeigt sich ein grundlegend anderes Bild: In dieser Gruppe fühlen sich 70 Prozent der Befragten familiär und 73,7 Prozent ökonomisch durch den Lockdown bedroht. Auch sind in dieser Gruppe mit 47 Prozent die meisten Angehörigen von Corona-Risikogruppen zu finden.

Diese Ergebnisse lassen darauf schließen, dass die deutsche Bevölkerung die Pandemie und damit auch die Infektionsschutzmaßnahmen auf ganz unterschiedliche Weise zu spüren bekommt. Wer durch die Maßnahmen keine oder kaum Nachteile im finanziellen oder familiären Bereich hat, dem fällt es natürlich leichter, diese Maßnahmen auch anzunehmen. Wer dagegen prekär beschäftigt, eine Stelle in den sogenannten "systemrelevanten" Berufsfeldern hat oder sich um Kinder kümmern muss, empfindet den Lockdown als weitaus belastender.

Genau diese Menschen, die am härtesten von der Pandemie und den Maßnahmen getroffen wurden, radiakalisieren sich in Abwesenheit einer stringenten Kommunikationsstrategie und einer glaubwürdigen Perspektive für die Zukunft, schreiben die Autor*innen der Studie. Gegensteuern ließe sich hier durch das "ehrliche Eingestehen von Fehlern" und das "Lernen aus diesen in Form sichtbarer Konsequenzen".

Die untragbare Last der Eltern

Zu Beginn der Pandemie spekulierten viele, ob Corona eine Rückkehr zu den einst festzementierten Geschlechterrollen mit sich bringen werde. Die Untersuchung der Universität Konstanz zeigt, dass dies eine berechtigte Sorge war: "Bereits im Mai 2020 berichteten Frauen etwas häufiger über eine gesunkene Lebenszufriedenheit als Männer (40 gegenüber 36 Prozent). Inzwischen (Mai 2021, Anmerkung des Autors) berichten deutlich über die Hälfte der Frauen (57 Prozent) gegenüber knapp der Hälfte der Männer (49 Prozent) davon, dass ihre Lebenszufriedenheit im Vergleich zu der Zeit vor der Pandemie gesunken ist", heißt es in der Studie.

Ein entscheidender Faktor dafür, wie stark die Lebenszufriedenheit gesunken ist, ist die Frage, ob (noch) Kinder im eigenen Haushalt leben. Im Mai 2021 gaben 70 Prozent aller Frauen mit Vorschulkindern und 69 Prozent aller Frauen mit Schulkindern an, dass ihre Lebenszufriedenheit seit Beginn der Pandemie gesunken ist. Bei Frauen ohne Kinder (57 Prozent) beziehungsweise mit Kindern, die nicht mehr im elterlichen Haushalt leben (54 Prozent), ist die Quote derer, die ihre Lebensqualität schwinden sehen, deutlich geringer.

Geschlechterrollen sind zäh

Das liegt daran, dass "Care-Arbeiten", also Fürsorgearbeiten wie das Aufziehen von Kindern oder das Pflegen von Angehörigen, in der Realität immer noch überwiegend von Frauen geleistet werden. Schon im letzten Jahr analysierte Angelika Kruse, Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises Göttingen, die strukturelle Problematik im pandemischen Kontext:

"Es lässt sich eher auf das Einkommen der Frau verzichten – in der Elternzeit und auch jetzt. Und es geht auch um das Ansehen der Berufe: Finden Männer ihre Berufe nicht immer wichtiger, obwohl wir jetzt merken, systemrelevant sind die Frauenberufe? Da sie in den Berufen aber weniger verdienen, wird voraussichtlich innerfamiliär entschieden, dass die Frau zu Hause bleibt."

Die Politik muss hier dringend gegensteuern, ist die Lebenszufriedenheit der Individuen doch ein maßgeblicher Bestandteil gesellschaftlichen Zusammenhalts. Eine pandemiegetriebene Rolle rückwärts in erstarrte Geschlechterrollen, die auszumerzen viele Anstrengungen gekostet hat und noch immer kostet, kann keine gesellschaftspolitische Lösung des 21. Jahrhunderts sein.

"So kann die lang anhaltende Unzufriedenheit von Männern und – in noch stärkerem Ausmaß – Frauen, die im letzten Jahr noch zugenommen hat, sich negativ auf die Wohlfahrt des Landes auswirken", schreiben die Forschenden der Universität Konstanz. Und empfehlen: "Krisenpolitik sollte in ihren Maßnahmen wie in ihrer Kommunikation stärker dem Umstand Rechnung tragen, dass Zusatzbelastungen in Krisensituationen Frauen und Familien in besonders hohem Maße treffen."

Unterstützen Sie uns bei Steady!