Cy-Gor

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Actionfigur Cy-Gor in Originalverpackung
Actionfigur Cy-Gor

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts plante der niederländische Biologe Herman Moens, "niedere Menschenrassen" – er dachte dabei an australische Koori, landläufig "Aborigines" genannt oder an Ureinwohner Feuerlands – mit Gorillas oder Schimpansen zu kreuzen, um eine von dem Jenaer Rassentheoretiker Ernst Haeckel postulierte Übergangsform zwischen Menschenaffen und Menschen, den sogenannten Pithecanthropus, rückzuzüchten. Auch wenn die Idee letztlich im Sande verlief, bekam Moens doch heftigen Applaus von Haeckel, der letztlich zu einem der Wegbereiter von Eugenik und Rassenhygiene in Nazi-Deutschland wurde

Wenige Jahre später, Mitte der 1920er, wurden in der Sowjetunion entsprechende Versuche tatsächlich durchgeführt. Der Petersburger Biologe Ilya Ivanov (1870-1932), seit 1907 Professor an der renommierten Universität von Charkow (Ukraine), hatte eine Methode zur künstlichen Befruchtung entwickelt, mit der er unter anderem Hybride aus Zebras und Pferden züchtete, die als besonders widerstandsfähig und damit armeetauglich galten. Schon 1910 berichtete er auf einem internationalen Biologenkongreß in Graz (Österreich) von seiner Absicht, über gemeinsame Nachkommen von Menschenaffen und Menschen deren gemeinsamen Vorfahren zu rekonstruieren. Die dahinterstehende Idee war es, einen neuartigen und möglicherweise ebenfalls besonders militär- oder arbeitstauglichen Menschentypen zu züchten. Zu diesem Zweck besamte Ivanow – allerdings erfolglos – Schimpansenfrauen mit menschlichem Sperma; auch seine Versuche, Menschenfrauen mit dem Sperma eines Orang Utan zu belegen, scheiterten.

1930 wurde Ivanow aus nicht bekannten Gründen vom sowjetischen Geheimdienst verhaftet und für fünf Jahre in die Verbannung nach Kasachstan geschickt. Nach zwei Jahren im Exil von Alma Ata verstarb er an einem Herzinfarkt. Der berühmte Physiologe und Nobelpreisträger Iwan Pawlow verfasste einen ehrenden Nachruf.

Zybride

Ob Iljanow seine Versuche mit den Methoden der modernen Gentechnik gelungen wären, steht dahin. Zur Stammzellengewinnung jedenfalls wird in den USA längst mit Mensch-Schimpansen-Zybriden (= Zytoplasmatische Hybride) experimentiert, die, eingepflanzt in den Uterus einer Menschen- oder Schimpansenfrau, durchaus lebensfähige Organismen hervorbringen könnten. Aus ethischen Gründen sind derlei Experimente innerhalb der EU – zurecht – nicht erlaubt.

Das deutsche Embryonenschutzgesetz von 1990 stellt in § 7 (Chimären- und Hybridbildung) jedes Unterfangen, "durch Befruchtung einer menschlichen Eizelle mit dem Samen eines Tieres oder durch Befruchtung einer tierischen Eizelle mit dem Samen eines Menschen einen differenzierungsfähigen Embryo zu erzeugen" oder einen dergestalt entstandenen Embryo auf eine Frau oder ein Tier zu übertragen, unter Strafe. 2009 formierte sich insofern in Berlin eine Initiative, die für eine Änderung dieses Gesetzes eintritt, mit dem Ziel, die "Zeugung gemeinsamen Nachwuchses zwischen Menschen und Menschenaffen" zu legalisieren. Auch wenn die Frage durchaus diskutabel wäre, wie der Status eines Mensch-Affe-Hybriden in moralischem wie juristischem Sinn definiert würde, haben derlei Überlegungen hierzulande keine Chance. Noch nicht. Das Europäische Patentamt hat im Juni 2012 der US-Firma "Altor" ein Patent auf gentechnisch veränderte Schimpansen erteilt, in deren DNA menschliche Erbinformationen eingeschleust wurden, um Medikamente an ihnen zu testen. Und unlängst erst meldete die chinesische "Akademie der Wissenschaften", es sei gelungen, zwei Makaken mithilfe der sogenannten somatischen Zellkernübertragung, bei der die genetischen Informationen aus Bindegewebszellen eines Affenfötus in entkernte Eizellen anderer Affen übertragen wurden, zu klonen. Dass in chinesischen Laboren seit Jahren an genmanipulierten Affen geforscht wird, ist kein Geheimnis. Man darf davon ausgehen, dass dabei auch mit menschlichem Erbgut experimentiert wird.

Djalioh

Selbstredend wird das Thema der Mensch-Affe-Hybriden längst in der Literatur behandelt. In der 1877 veröffentlichten Novelle "Quidquid volueris" etwa erzählt der Schriftsteller Gustave Flaubert die Geschichte eines französischen Anthropologen, der aus wissenschaftlichem Interesse heraus eine brasilianische Sklavin mit einem Orang Utan verpaart. Das daraus entstehende Kind, Djalioh genannt, tötet erst den Wissenschaftler und dann sich selbst. 1932 entstand in freier Adaption der knapp hundert Jahre zuvor erstmalig erschienenen Gruselgeschichte "Mord in der Rue Morgue" von Edgar Allen Poe ein gleichnamiger Horrorfilm, mit Bela Lugosi und einem trainierten Schimpansen in den Hauptrollen, in dem ein Wissenschaftler in der Verpaarung eines Affen mit einer entführten Pariser Prostituierten den "missing link" zwischen Affe und Mensch zu erschaffen sucht. Auch hier ist das Ergebnis Mord und Totschlag.

Auch in der modernen Science-Fiction-Literatur sind Mensch-Affe-Hybride allgegenwärtig. Mit Abstand am populärsten ist der Cy-Gor, ein kybernetisches Mensch-Gorilla-Monster, das seit Anfang der 1990er in der US-Comicbook-Serie "Spawn" sein Unwesen treibt. Aus amerikanischen Kinderzimmern ist der Cy-Gor, auch "Avatar of Death" genannt, längst nicht mehr wegzudenken. Aus dem Oval Office, wie man hört, auch nicht.

Orango

Interessanterweise wurden Ivanows Experimente schon in den 1930ern künstlerisch aufbereitet: 1932 schrieb der berühmte Komponist Dmitri Schostakowitsch die Overtüre für eine geplante Oper namens "Orango", die vom Moskauer Bolshoi Theater zur Feier des 15. Jahrestages der Oktoberrevolution in Auftrag gegeben worden war. Hauptfigur sollte ein Halb-Mensch-halb-Affe-Wesen sein. Um sich inspirieren zu lassen, soll Schostakowitsch eigens das Versuchslabor Ivanows in Sochumi (Georgien) besucht haben (nachdem dieser schon in Verbannung saß). Als Librettisten hatte man keinen Geringeren als Alexei Tolstoi verpflichtet (der später zum Vorsitzenden des sowjetischen Schriftstellerverbandes aufstieg). Die Oper wurde gleichwohl nie vollendet und verschwand jahrzehntelang in der Versenkung. 2004 wurde das Manuskript Schostakowitschs zufällig im Archiv eines Moskauer Museums entdeckt. Nach entsprechender Bearbeitung des knapp 40-minütigen Musikfragments wurde es am 2. Dezember 2011 vom Los Angeles Philharmonic Orchestra "uraufgeführt" und seither mehrfach – jeweils ohne die geringste kritische Bezugnahme auf Ivanow – gespielt, mithin vom weltberühmten britischen Philharmonia Orchestra in der Royal Albert Hall zu London.