In neun Tagen wird gelockert – so sieht es der Entwurf des neuen Infektionsschutzgesetzes vor. Dass dies entschieden wird, während wir einen neuen Höchststand an Ansteckungen verzeichnen, wirkt absurd. Wenn die Masken fallen, wird auch das eine Einschränkung der Freiheit sein, nämlich für diejenigen, die sich nach wie vor nicht anstecken wollen.
Es naht eine Art Freedom Day: Ab 20. März soll der überwiegende Teil der bestehenden Pandemie-Schutzmaßnahmen nicht mehr gelten. Die bisherigen Beschränkungen laufen am Tag davor aus. Ein neues Infektionsschutzgesetz, das die Grundlage für die Möglichkeiten zur Corona-Bekämpfung bildet, soll dann in Kraft treten. Einen Entwurf dazu beschloss das Bundeskabinett vorgestern, Bundestag und Bundesrat sind kommende Woche an der Reihe. Gemäß dem Gesetzesentwurf soll die Maskenpflicht im Supermarkt und anderen Geschäften aufgehoben werden, ungeachtet dessen, dass verschiedene Experten und auch das Robert Koch-Institut (RKI) zum jetzigen Zeitpunkt nach wie vor zum Tragen von Masken in Innenräumen raten und dass FFP-2-Masken erwiesenermaßen und gerade auch vor der derzeit vorherrschende Omikron-Variante schützen. In Krankenhäusern sowie Pflegeheimen sollen Test- und Maskenpflicht bleiben, letztere wohl auch im öffentlichen Nahverkehr.
Der 20. März war schon vor Längerem als Lockerungsdatum festgelegt worden. Man ging von einem Höhepunkt der Omikron-Welle Mitte Februar aus und danach von fallenden Ansteckungswerten. Die Prognose trat ein – allerdings handelte es sich dabei nur um einen vorläufigen Spitzenwert, wie sich nun herausstellte. Denn nach zwischenzeitlich sinkenden Zahlen – bei denen außerdem nicht abschließend geklärt ist, ob sie aufgrund der Überlastung bei der PCR-Testung möglicherweise nicht doch noch höher lagen – steigen sie seit über einer Woche wieder, um dann gestern sogar einen neuen Rekord bei den Neuansteckungen zu erreichen: 262.752 Personen innerhalb von 24 Stunden.
"Wenn die Fallzahlen hoch sind oder gar steigen, und die Krankenhausversorgung sogar gefährdet ist, dann können auch weitergehende Maßnahmen sofort wieder ergriffen werden", sagte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach laut WDR mit Blick auf die Bundesländer, in deren Verantwortung dies dann liegen wird. Angesichts einer nach wie vor enormen Inzidenz von gestern 1.388,5 – obwohl die Zahlen zwischenzeitlich sanken, waren sie ja dennoch hoch (schön zu sehen in der grafischen Darstellung des RKI), auch wenn wir uns an die noch vor wenigen Monaten unvorstellbaren Werte von über 1.000 gewöhnt haben – und einer bisher nie dagewesenen Zahl an Neuerkrankungen ist genau das schon vorhanden, was Lauterbach für erneute beziehungsweise fortgesetzte Einschränkungen zu einer Bedingung macht: hohe und steigende Fallzahlen. Absurd.
Auch wenn also mit Inkrafttreten des neuen Infektionsschutzgesetzes gleich auch wieder die Maßnahmen auf ebendieser Grundlage verlängert oder neu ergriffen werden, bleibt doch das Signal an die Bevölkerung: Die Pandemie ist vorbei. Doch das ist sie nicht – von Mittwoch auf Donnerstag starben 259 Menschen im Zusammenhang mit einer Covid-19-Infektion. Und auch das Long-Covid-Risiko, das seit Beginn der Pandemie weitgehend ausgeklammert wird, besteht weiter und stellt eine Gefahr für die dauerhafte Leistungsfähigkeit vieler, auch junger Menschen dar – jene, die durch ihre Arbeitskraft das Land am Laufen halten.
Die Lockerungsfreudigkeit der Ampel-Koalition, die nicht zuletzt die Wünsche jener mit einer zweifelhaften Auffassung von Freiheit bedient, schränkt andere in ihrer Freiheit ein. Jene nämlich, denen eben nicht alles egal ist, weil man nach zwei Jahren keine Lust mehr hat auf Pandemie. Jene, die eine Infektion nicht billigend in Kauf nehmen wollen, weil sie trotz Impfung die Folgen einer Infektion fürchten – Risikopatienten, ältere Menschen und diejenigen, die einfach auf Nummer sicher gehen wollen. Häufig wurde beklagt, die bisherigen Maßnahmen würden Menschen ausschließen, die eine kindische Abneigung gegen Masken oder irrationale Ängste vor einer Impfung haben. Nun wird es andersherum sein: Jene, die auch jetzt noch eine Infektion vermeiden wollen, werden die Wahl haben, sich dem Infektionsrisiko auszusetzen oder sich erneut in Selbstisolation zu begeben. Denn Maskentragen schützt weniger gut, wenn man es nur selbst tut. Und dass das mit der Eigenverantwortung in der Pandemie leider nicht funktioniert, sehen wir ja von Anfang an – sonst hätten die Maßnahmen ja nie verpflichtend eingeführt werden müssen.