Obwohl das Wetter am 10. Oktober 2016 durchaus den fröhlichsten Menschen in negative Laune versetzen könnte, ist die Stimmung um 16.30 Uhr auf dem Karlsplatz in der Münchner Innenstadt alles andere als bedrückend. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen nnen verschiedener Münchner Organisationen, von psychischer Krankheit Betroffene sowie deren Angehörige haben sich mit Transparenten ausgerüstet und vor der kleinen Bühne versammelt. Den "Welttag der Seelischen Gesundheit" gibt es seit 1992 – in München wird er in diesem Jahr bereits zum vierten Mal in Folge als Aktionstag ausgerichtet.
Theresa Holzapfel, Geschäftsführerin des Sozialpsychiatrischen Zentrums München, begrüßt die Demonstrierenden mit ein paar Worten und erläutert das Motto des diesjährigen Aktionstag für Seelische Gesundheit. "Dir werd' ich helfen!" richte sich als Aufruf an die Gesellschaft, die gerade in letzter Zeit etwas Nachhilfe in Sachen Toleranz gegenüber psychisch kranken Menschen ganz gut vertragen könne. Spätestens seit dem Amoklauf im Münchner Olympia-Einkaufs-Zentrum am 22. Juli diesen Jahres hört man im Zusammenhang mit derlei Tragödien immer wieder Stimmen, die seelische Erkrankungen dafür verantwortlich machen. Dann ist in den (sozialen) Medien gerne davon die Rede, "es habe mal wieder ein Psycho um sich geschossen". Mit derartigen Vorurteilen und Pauschalisierungen aufzuräumen und gegen die Stigmatisierung psychisch Kranker einzustehen, sei Ziel des Aktionstages in diesem Jahr.
Als nächsten Programmpunkt moderiert der Journalist Thilo Komma-Pöllath einen als Rollenspiel konzipierten kleinen Dialog. Unter anderem wenden sich Betroffene hier direkt an die Öffentlichkeit. Nach ihren Ängsten befragt, schildert Frau Dr. Karolina de Valerio (Münchner Bündnis gegen Depression), wie hoch die Barrieren bei psychischen Erkrankungen oft sein können, wenn es darum gehe, sich Hilfe zu holen. Angst habe sie um all jene, die nicht in der Lage seien, etwa einen Therapeuten zu kontaktieren, da bereits ein einfaches Telefongespräch als soziale Kontaktaufnahme eine schier nicht zu bewältigende Hürde im Rahmen mancher Krankheitsbilder darstelle. Martina Heland–Graef (Bayerischer Landesverband Psychiatrie-Erfahrener) bringt ihren Appell an die Gesellschaft prägnant und griffig auf den Punkt: "Ich leide nicht unter meiner Krankheit, ich lebe mit ihr!" - ein eindrucksvolles Statement, das einer Gesellschaft den Spiegel vorhält, die psychisch Kranke sicher allzu oft in eine Opfer-Schublade steckt.
Alfred Kleinheinz, Schauspieler am Residenztheater, übernimmt im Rollenspiel die Stimme der Gesellschaft und findet, dass eben diese Gesellschaft durchaus in der Lage sei, toleranter mit dem Thema psychische Erkrankung umzugehen. Nicht zuletzt, da vermutlich kaum jemand nicht wenigstens einen Betroffenen im eigenen sozialen Umfeld fände.
Der anschließende Solidaritätsmarsch zum Goetheplatz wird von einem Feuerwehrauto begleitet, auf dem die Band Giesing Connection mit Swing-Rhythmen das Tempo vorgibt. Thilo Komma-Pöllath bringt unterwegs noch ein paar statistische Fakten unter, die man in der heutigen Zeit eigentlich gar nicht oft genug wiederholen kann. In letzter Zeit berichten Medien häufig sehr reißerisch über die angebliche Gefährlichkeit von psychisch Kranken. Amokläufern und Selbstmordattentätern wird nicht selten eine psychische Erkrankung attestiert. Dies wiederum schürt das Vorurteil, es gehe von psychisch Kranken grundsätzlich eine Gefahr für andere Menschen aus. Tatsächlich geraten psychisch Kranke statistisch betrachtet jedoch genauso häufig (bzw. selten) in Konflikt mit dem Gesetz wie der Rest der Gesellschaft. Die Tragödien von Amokläufen auf das Konto psychisch kranker Menschen zu rechnen, stellt also eine durchaus bedenkliche Vereinfachung der Tatsachen dar. An dieser Stelle ist es wohl wirklich unsere Gesellschaft, die ein wenig Hilfe und Aufklärung nötig hätte.
Am Goetheplatz wird die Versammlung von den Organisatorinnen Theresa Holzapfel und Vera Hahn offiziell beendet und aufgelöst, bevor man sich zur Nachfeier in die Räumlichkeiten der Münchner Aids-Hilfe begibt. Beim Sound von DJ Florian Keller dürften die eingefrorenen Füße aller Teilnehmenden bald wieder gut durchblutet sein!
Mehr als 30% der Deutschen haben zumindest einmal in ihrem Leben mit der Psychiatrie zu tun. Da vermutlich jeder jemanden von diesen über 30% persönlich kennt, könnte eigentlich auch jeder auf dieser Demo mitlaufen. Für das nächste Jahr wäre dem Organisationsteam darum etwas weniger deprimierendes Wetter und mehr Publikum zum wünschen. Die ausgesprochen positive Atmosphäre jedenfalls spottete schon mal vielen Klischees.
1 Kommentar
Kommentare
Klaus Bernd am Permanenter Link
"...Toleranz gegenüber psychisch kranken Menschen..."
Ausserdem kann ich mir nicht verkneifen, an den Spruch zu erninnern
- von wem er stammt fällt mir gerade nicht ein - : Wenn einzelne Menschen abstruse Dinge glauben, nennt man das "psychische Störung",
wenn es genügend viele tun, nennt man es Religion". (oder Astrologie , oder Homöopathie oder ...). Was für viele Grund genug sein müsste, auf andere "Psychos" nicht herabzusehen. Ich verstehe aber, dass man bei solchen Aktionen, wo es auf plakative Aussagen ankommt, eher etablierte Begriffe verwendet, würde mir aber wünschen, dass sich das Wort "Akzeptanz" in solchen Kontexten im Sprachgebrauch etabliert, impliziert es doch die Forderung nach Gleichbehandlung.