Die "INSIGHT-Konferenz" in Berlin zeigte erneut, dass die psychedelische Forschung immer stärker in Richtung Mainstream strebt. Bei aller Euphorie hinsichtlich psychedelischer Substanzen als Behandlungsmittel psychischer Erkrankungen ist jedoch eine Dosis Skepsis angesagt. Ein nüchterner Blick auf eine ernste Angelegenheit.
Es ist nun kein Geheimnis mehr, dass die psychedelische Forschung in den vergangenen zwanzig Jahren rasant an Fahrt aufgenommen hat. Studien an renommierten Universitäten in den USA, Großbritannien oder der Schweiz mit LSD, Psilocybin und anderen psychoaktiven Substanzen bekommen immer größere mediale Aufmerksamkeit. Der Fokus der Forschung liegt dabei weiterhin auf der möglichen Behandlung psychischer Erkrankungen mit psychedelischen Substanzen, zumeist in Verbindung mit einer Psychotherapie. Der Anwendungsbereich erstreckt sich dabei von schwer zu behandelnden Depressionen und Angststörungen bis hin zu unterschiedlichen Suchterkrankungen und Zwangsstörungen.
Auch in Deutschland ist die psychedelische Forschung mittlerweile angekommen. Derzeit führt das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim und die Charité in Berlin eine klinische Studie bei 144 Patienten mit behandlungsresistenter Depression mit Psilocybin durch. Studienpartner ist die MIND Foundation, eine gemeinnützige Forschungs- und Bildungsorganisation mit Sitz in Berlin. MIND ist seit Jahren bemüht, verschiedene Akteure der psychedelischen Forschung zusammenzubringen und die Öffentlichkeit über Psychedelika im Allgemeinen und ihre Anwendungspotentiale im Speziellen aufzuklären. Mitte September dieses Jahres richtete sie zum zweiten Mal die "INSIGHT-Konferenz" aus, bei der sich ein Großteil der Elite der psychedelischen Forschung zusammenfand und austauschte. Die Themen reichten vom bereits erwähnten psychotherapeutischen Nutzen psychedelischer Substanzen über ihre neurologischen Wirkmechanismen im Gehirn bis hin zu etwas ausgefalleneren Themen wie dem Vergleich psychedelischer Substanzen mit fortgeschrittener Meditation. Mit rund 1.300 Besuchern – online wie vor Ort – war die Konferenz gut besucht.
Einer der Wissenschaftler, die auf der Konferenz referierten, war Matthias Liechti, Professor für Klinische Pharmakologie und Innere Medizin am Universitätsspital Basel. Er erforscht derzeit in einer Studie die Anwendung von LSD in Kombination mit Psychotherapie bei Patienten mit Angststörungen. 2022 werden die Ergebnisse veröffentlicht. Auch Liechti glaubt an das Potential psychedelischer Substanzen für die Behandlung psychischer Erkrankungen. Er dämpft aber gleichzeitig die hohen Erwartungen, die daran geknüpft werden. Es stimme zwar, dass die Erfolgsquote bei Behandlungen von Depressionen mit Psilocybin im Vergleich zu bereits zugelassenen Antidepressiva – sogenannten SSRIs – höher sei. Allerdings gebe es zu Studien mit Psilocybin und anderen psychedelischen Substanzen noch zu wenig Daten, um verlässliche Angaben zu deren längerfristiger Wirkung zu machen. Vor allem seien die ersten Daten mit Psilocybin bei Depression noch nicht in Placebo-kontrollierten Studien generiert worden, was die Beurteilung der Wirksamkeit erschwert. Studien mit Psilocybin wurden bis heute an einigen hundert Probanden durchgeführt, Studien, die über einen längeren Zeitraum – also über mehrere Jahre – die Wirksamkeit von psychedelischen Substanzen untersuchen, gibt es noch nicht.
Auch David Nutt, Psychiater, Neuropharmakologe und Professor am Imperial College in London teilt Liechtis Auffassung, dass die Euphorie um Psychedelika mit zunehmenden Daten einen Dämpfer erfahren könnte. Es sei eine entscheidende Frage, ob sie auch auf längere Sicht ihren heilsamen Effekt beibehalten würden. Dafür brauche es noch mehr Daten. Die derzeitige Behandlung von Depressionen mit SSRIs funktioniere laut Nutt nur in etwa 50 Prozent der Fälle. Zumindest für viele der behandlungsresistenten Patienten mit Depressionen könnte eine Behandlung mit Psilocybin oder LSD daher nützlich sein und ihnen ein weitgehend normales Leben ermöglichen. Die Behandlung mit Psilocybin, meint Nutt, solle daher Menschen, die eine solche Behandlung wünschten und nach einem Screening dafür geeignet sind, als Option offenstehen. Er rechnet damit, dass Psilocybin als Behandlungsoption in fünf bis zehn Jahren zugelassen werden könnte. Im Bundesstaat Oregon in den USA darf jetzt schon mit Psilocybin behandelt werden. Die Entwicklung könnte folglich auch deutlich schneller gehen, als erwartet. In den USA kann jeder Bundesstaat für sich entscheiden, und die USA sind der Motor der Entwicklung.
David Nutt, der zu den bekanntesten britischen Wissenschaftlern im Bereich psychoaktiver Substanzen gehört und vor einem Jahrzehnt die britische Regierung in Sachen Drogen beraten hat, kann sich sogar eine Legalisierung psychedelischer Substanzen vorstellen. Er gilt als einer der vehementesten Kritiker der internationalen Drogenpolitik, die Drogenbesitz und Drogenkonsum weitgehend kriminalisiert, und damit bisher nur Kosten und eine gleichbleibende Drogenkonsumrate verursacht hat. Er sieht Portugal, das den Besitz von Drogen entkriminalisiert hat, als Vorbild. Durch deren Strategie habe sich, so Nutt, die Heroinabhängigenrate deutlich reduziert und Menschen mit schweren Suchtproblemen eine Perspektive des geführten Entzugs gegeben. Nutt erstellte eine Skala der Schädlichkeit unterschiedlicher Drogen – für das Individuum und die Gesellschaft. Dabei kam heraus, dass Drogen wie Alkohol und Tabak schädlicher sind als psychedelische Substanzen wie LSD oder Psilocybin. Oder auch MDMA, besser bekannt als die Partydroge Ecstasy. MDMA hat im Übrigen die besten Chancen, in wenigen Jahren als Medikament für die Behandlung einer posttraumatischen Belastungsstörung zugelassen zu werden.
Auch Henrik Jungaberle, Direktor der MIND Foundation, kann sich vorstellen, dass es auch für gesunde Menschen möglich wird, psychedelische Substanzen legal zu konsumieren, in eigens dafür eingerichteten Zentren. Ob es jemals dazu kommen wird, ist natürlich fraglich. Gewiss ist dagegen, dass Substanzen wie MDMA oder Psilocybin in wenigen Jahren als legale Medikamente gegen psychische Krankheiten zugelassen werden. Die psychedelische Forschung rückt mit jedem Jahr näher an den Mainstream.