Interview mit Sportpsychiater Prof. Frank Schneider

Psychisch kranke Spitzensportler

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BERLIN. (hpd) Auch Spitzensportler sind anfällig für psychische Störungen. Wie der Sportpsychiater Frank Schneider von der Universitätsklinik in Aachen sagte, sei man früher irrigerweise davon ausgegangen, dass Leistungssportler keine psychischen Probleme hätten. Die verfügbaren internationalen Zahlen zeigten aber, dass psychische Störungen bei Hochleistungssportlern genauso oft vorkämen wie in der Allgemeinbevölkerung. "Die Geschichte von den psychisch stabilen Leistungssportlern ist also Quatsch. Möglicherweise treten manche psychischen Erkrankungen bei Leistungssportlern sogar häufiger auf", sagte der Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik an der Uniklinik RWTH Aachen.

Herr Schneider, wie häufig sind psychische Erkrankungen im Spitzensport, über die ja nicht so oft geredet wird?

Prof. Frank Schneider: Früher ging man davon aus, dass Leistungssportler keine psychischen Probleme haben. Die national und auch international verfügbaren Zahlen zeigen aber, dass psychische Störungen bei Hochleistungssportlern genauso oft vorkommen wie in der Allgemeinbevölkerung. Die Geschichte von den psychisch stabilen Leistungssportlern ist also Quatsch. Möglicherweise treten manche psychischen Erkrankungen bei Leistungssportlern sogar häufiger auf.

Um was für Erkrankungen geht es denn konkret?

Es gibt sportartassoziierte Erkrankungen, zum Beispiel Anorexie bei ästhetischen Sportarten wie Kunstspringen oder Turnen, aber auch beim Boxen, wo es darum geht, das Körpergewicht ständig nach oben oder unten zu regulieren. Essstörungen sind hier weit verbreitet. Suchterkrankungen treten hingegen eher bei Gruppensportarten auf. Häufig sind ferner Depressionen oder das, was als Burnout bezeichnet wird. Noch viel häufiger sind Angsterkrankungen. Schlafstörungen kommen auch gehäuft vor, weil Spitzensportler auf verschiedenen Kontinenten in unterschiedlichen Zeitzonen aktiv sind. Viele müssen auch abends noch Wettkämpfe bestreiten, wo andere schon in der Ruhephase sind. Durch die hohe emotionale Belastung ist dann auch die Schlafqualität oftmals beeinträchtigt.

Gibt es Unterschiede zwischen Männern, Frauen oder Jugendlichen, was psychische Störungen angeht?

Professor Frank Schneider ist Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik an der Uniklinik RWTH Aachen und leitet das Referat Sportpsychiatrie und -psychotherapie der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde.

Psychische Erkrankungen sind grundsätzlich etwas häufiger bei Frauen als bei Männern, vor allem depressive, also affektive Störungen. Jugendliche Leistungssportler sollten psychosozial betreut werden. Manche Eltern schützen ihre Kinder sehr, andere setzen alles daran, Gewinn zu machen. Da müssen die Trainer moderieren, damit Jugendliche psychisch nicht überfordert werden. Kinder müssen zwischendurch auch ihre eigenen Interessen verfolgen können und dürfen in der verletzlichen Phase des Hochleistungssportes nicht wie kleine Erwachsene behandelt werden. Wenn sie später irgendwann aus dem Leistungssystem herausfallen, können sie ihre Jugendzeit nicht  nachholen.

Druck ist Teil des Leistungssystems. Wie gehen Spitzensportler damit um?

Leistungsdruck ist keine sportspezifische Erfahrung, das kennen die meisten Leute auch aus ihrem Beruf. Leistungssportler sind eine sehr inhomogene Gruppe. Es gibt die typischen Einzelkämpfer, wie etwa beim Schwimmen, wo nur einmal in vier Jahren auf den Punkt genau eine Topleistung abgerufen werden muss, und dann gibt es zum Beispiel Profifußballer, die stehen jede Woche auf dem Platz und kennen die Situation aus jahrelanger, regelmäßiger Erfahrung genau. Da wirkt sich der Stress sehr unterschiedlich aus.

Kritische Phasen im Sportlerleben sind Verletzungen und das Karriereende. Welche Folgen für die Psyche hat das?

Wenn sich Leistungssportler vor einem wichtigen Ereignis wie Olympischen Spielen schwer verletzen, dann ist das eine Art Lebensknick, so hat es einmal ein Sportler ausgedrückt. Das kommt ganz unerwartet, die Sportler sind dann völlig hilflos. Das Karriereende ist hingegen oft berechenbarer, aber geplant ist es selten. Fußballer spielen in der einen Woche vor 60.000 Zuschauern und eine Woche später ist ihre Karriere vorbei. Viele Sportler haben kein zweites berufliches Standbein und leiden dann zusätzlich unter Existenzängsten.

Wie sind Mental-Coaches im Spitzensport einzuschätzen?

Mental-Coach kann sich jeder nennen. Das ist ein riesengroßes Problem, da tummeln sich viele Leute, die keine spezifische Ausbildung haben. Daneben gibt es die seriöse Sportpsychologie. Ihr Zweck  ist meist die Leistungssteigerung, nicht das Erkennen und Behandeln von Erkrankungen. Mental-Coaches oder auch Sportpsychologen in Vereinen haben in der Regel aber keine klinische Ausbildung wie Psychiater und keine klinischen Erfahrungen, etwa mit Depressionen. Von Mental-Coaches sollte man daher nicht erwarten, dass sie psychische Erkrankungen erkennen, präventiv eingreifen oder gar therapieren können. Auch Trainer können psychische Erkrankungen nicht diagnostizieren.

Wer kümmert sich eigentlich um psychisch kranke Sportler?

Nach dem Suizid von Fußball-Torwart Robert Enke 2009 wurde die Robert-Enke-Stiftung gegründet. Sie unterstützt Initiativen gegen Depression und fördert Forschungs- und Aufklärungsarbeiten zu dem Thema. Auf der Stiftungs-Homepage gibt es auch eine Hotline, da können Sportler oder Angehörige eine erste Hilfestellung in Notlagen bekommen.

Nach dem Tod Enkes haben wir als wissenschaftliche psychiatrische Fachgesellschaft das Referat "Sportpsychiatrie und -psychotherapie" gegründet. Und wir haben eine Art Netz über Deutschland gelegt, Zentren für psychische Erkrankungen von Leistungssportlern, wo viele Universitätskliniken als erste Ansprechpartner da sind bei psychischen Problemen. Die Aufmerksamkeit für psychische Störungen ist nach dem Fall Enke heute deutlich größer, das gilt für Verbände, Vereine, Sportler und Angehörige. Leistungssportler sind ja auch nur Menschen.

Das Interview führte Claus Peter Kosfeld für die Wochenzeitung "Das Parlament".