Europa muss sich entscheiden

Donald ante portas – Was können wir tun?

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Trump und seine dritte Ehefrau Melania Trump bei einem Wahlkampfauftritt 2016
Trump und seine dritte Ehefrau Melania Trump bei einem Wahlkampfauftritt 2016

Europa wird nach dem Wahlsieg von Donald Trump schmerzlich zu lernen haben, sein altes Nachkriegsdenken zu überwinden und mehr Verantwortung zu übernehmen; Präsident Trump wird das bestimmt nicht für uns erledigen. Die Zeit der Pax Amerikana geht zu Ende! Auf der Tagesordnung steht jetzt eine europäische Armee mit eigenen handlungsfähigen Führungsstrukturen sowie mehr Verantwortung in der Nato.

Der Gedanke an die vielschichtigen Konsequenzen für die deutsche und europäische Politik - gerade im Bereich der Sicherheit - ist für weite Teile der linksliberalen Öffentlichkeit ein Gräuel. Die Debatte wird aber mit dem Entscheidungsdruck kommen – und über die Sachfragen hinaus auch erhebliche Auswirkungen auf das innenpolitische Klima haben.

Mit Präsident Trump naht auch das Ende der über Jahrzehnte von den USA und ihren westlichen Partnern vorangetriebenen wirtschaftlichen Globalisierung, von der gerade die deutsche exportorientierte Wirtschaft massiv profitiert hat. Das anstehende Scheitern des - hoch streitigen - Handelsabkommens zwischen EU und USA ist der Kulminationspunkt dieser Zeitenwende. Nicht zuletzt ist Trumps‘ Wahl aber ein Fanal gegen durchlässige Grenzen und eine ebenso humane- wie an den Belangen der Wirtschaft orientierten Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik.

Die Europäische Union, wird sich in ihrer erbärmlichen Verfassung schwer tun, eine einheitliche Strategie zu entwickeln. Sie findet nicht einmal gemeinsame Antworten auf die neo-zaristische Expansionspolitik Putins, und den islamistischen Staatsstreich in der Türkei und in der Flüchtlingspolitik. Der hilflose Umgang der Europäer mit Ukraine-Krise verheißt nichts Gutes.

Die inzwischen von Öl-Importen weitgehend unabhängigen USA werden auch die Nahost-Region mehr und mehr sich selbst und den Europäern überlassen. Sollte sich die EU nicht bald zusammenraufen, verstärken sich deren Zentrifugalkräfte immer weiter und die nationalistischen Strömungen werden immer stärker. Nach dem Brexit würde ein möglicher Wahlsieg der Nationalen Front bei den Präsidentschaftswahlen in Frankreich vor dem Hintergrund der Präsidentschaft von Donald Trump deutlich negative Folgen für die wirtschaftliche und politische Stabilität in Deutschland haben.

Die Herausforderungen der kommenden Jahre werden so schwierig, dass die nächste Bundesregierung eine klare Haltung haben und viel Geschick beweisen muss. Außenpolitische Unzuverlässigkeit hat für alle diejenigen, die nach 2017 mitregieren wollen, keinen Platz. Das muss im Hinblick auf die Zusammensetzung einer neuen Bundesregierung unmissverständlich klargestellt werden.

Wie vertrumpt ist Europa?

Wie konnte Trump die Wahlen gewinnen und welche Ursachen sind nicht auf die Vereinigten Staaten beschränkt? Bei allen Unterschieden gibt es viele Gemeinsamkeiten der jeweiligen innenpolitischen Entwicklungen in Europa und den USA.

So wie in den 60er und 70er Jahren die Bürgerrechtsbewegung in den USA auch in (West) Europa ihren Durchbruch erreichte, geht es heute auf beiden Seiten des Atlantiks gesellschaftspolitisch in die Gegenrichtung. Was in den USA der Wahlsieger Trump ist, verkörpern in Europa die Damen Le Pen und Petri sowie die Herren Wilders und Orban. Wichtige Staaten am Rande Europas wie Russland und die Türkei driften immer weiter in Richtung Nationalismus und religiös verbrämte Diktatur. Schlimm dabei: diese Kräfte werden nicht (versehentlich) einmal gewählt, sondern oftmals auch wiedergewählt!

Was geschieht in den westlichen Staaten und warum geraten Demokratie, gesellschaftliche Vielfalt und Menschenrechte derart unter Rechtfertigungszwang, wie wir das gegenwärtig erleben müssen? Was sind die Triebkräfte dieser Besorgnis erregenden Entwicklung und was ist zu tun, um ihrer Herr zu werden? Hier hilft ein Blick in die Geschichte gesellschaftspolitischer Reformkräfte. Mit dem Vergleich der handelnden Personen ist es nicht getan; Typische Abwehrreflexe aus Politik und Fernseh-Talk bringen uns nicht weiter, im Gegenteil.

Alte emanzipatorische Bewegungen erlahmen

Die Emanzipationsbewegungen der 60er und 70er Jahre fanden in den USA, Westeuropa und der alten Bundesrepublik vor dem Hintergrund eines bemerkenswerten wirtschaftlichen Aufschwungs, geringer Arbeitslosigkeit und eines kontinuierlich wachsenden Wohlstands im Westen statt. Im Zentrum der Emanzipationsdebatten standen daher nicht Wirtschaftswachstum, Renten und öffentliche Sicherheit, sondern Geschlechtergerechtigkeit, der Kampf gegen Unterdrückung von Minderheiten, eine konservativ-rückschrittliche Kinderziehung und die restaurativen Verkrustungen der Nachkriegsgesellschaften.

Die vielfältigen sozialen Bewegungen haben in vergangenen Jahrzehnten vor dem Hintergrund einer "sorgenfreien" ökonomischen Lage gewaltige Erfolge nicht zuletzt in der Geschlechterpolitik erzielt. Mit diesen Siegen ist aber auch - das liegt in der Bewegungslogik sozialer Bewegungen - ihr Schwung und ihre gesellschaftspolitische Innovationskraft erlahmt. Mit derart frauenverachtenden und minderheitenfeindlichen Sprüchen wie bei Trump hätte vermutlich kein Präsident seit den 70er Jahren des abgelaufenen Jahrhunderts Wahlen gewinnen können.

Wurden beispielsweise der Datenschutz und der Boykott der Volkszählung von jungen Menschen außerhalb des Schulunterrichts noch mit Leidenschaft diskutiert, sind es heute eher die Lehrer die sich mit ihrem Unterricht dem Suchtfaktor sozialer Netzwerke annehmen und ihre Schüler vor den Gefahren privater und staatlicher Überwachung warnen. Junge Menschen sind auch heute nach wie vor gesellschaftlich sehr aktiv, aber die Muster sozialer Bewegungen und ihre Schwerpunkte haben sich deutlich verschoben.

Wir erleben gegenwärtig die Rückkehr der klassischen "existentiellen" Themen, die in den gesellschaftlichen Reformjahren eher in den Hintergrund getreten waren. Die Sicherheit, dauerhaft in materieller Sicherheit zu leben, ist allerorten zurückgegangen. Machten sich Teile der 68er Bewegung über Renten und materielle Sicherheit eher lustig, sind diese Fragen heute von größter politischer Relevanz. Thema der "Jugendbewegung" ist heute auch die Stellung junger Menschen in der älter werdenden Gesellschaft. Die Jungen denken an Bausparvertrag und Rente – weil deren Sicherheit fraglich geworden ist.

Soziale Sicherheit statt Emanzipation?

Die heute brach liegenden alten Industrieregionen in den USA, Wallonien und dem Ruhrgebiet produzierten zwar massenhaft schädliche Abgase, stellten aber viele Arbeitsplätze zur Verfügung, auch für Menschen mit geringer Qualifikation. Hier hat ein dramatischer Wandel stattgefunden, in Europa und den USA. Der politische Klimawechsel hängt unmittelbar mit diesen ökonomischen Veränderungsprozessen zusammen. Trump wurde von Arbeitern der alten Industriegebiete gewählt, auch AFD und Nationale Front feiern in diesen früher eher sozialdemokratisch/sozialistischen Schichten ihre Erfolge. Menschen in diesen trostlosen Regionen ohne persönliche Perspektiven wollen Veränderungen um jeden Preis, sie wollen endlich wahrgenommen und respektiert werden.

Nicht nur in den USA, auch in Teilen des Ruhrgebiets, Wallonien und ehemaligen britischen Industrieregionen sind viele Menschen über gesellschaftliche Emanzipation nicht mehr zu erreichen. Sie fühlen sich wirtschaftlich und sozial abgehängt - und sie sind es vielfach auch. Die Regeln der politischen Korrektheit spielen hier keine Rolle sondern nur das klare Angebot: "Wir tun was für Euch!"

Politisch aufgeladen wird dieses deprimierte Grundgefühl noch dadurch, dass sich viele Migranten in Europa ebenfalls abgehängt und benachteiligt fühlen und es vielfach auch sind. Hier, am "unteren Ende" der sozialen Skala, braut sich ein großes Konfliktpotential zusammen. Es konkurrieren längst Abgehängten und Geringverdiener mit Zuwanderern um das knappe Gut Arbeit. Abgehängte Deutschstämmige und Migranten suchen in dieser aufgeheizten Atmosphäre die Schuld für die eigene Misere beim jeweils anderen suchen.

Was Nationale Front und AFD bei "Biodeutschen" mit ihrer Agitation zur Verunsicherung anrichten, schaffen Salafisten und andere schräge Figuren bei ihren Leuten. Hier schaukelt sich wechselseitig hoch, was nicht zusammen gehört. Sie spielen mit Existenz- und Verlustängsten und täuschen geschickt darüber hinweg, dass sie selbst weder aus der Unterschicht stammen noch irgendwelche seriösen sozialen Angebote präsentieren können und wollen.

Linksliberaler Mainstream unvorbereitet / Rückwärtsschwimmen zu alten Ufern klappt nicht

Die Rückkehr der alten materiellen Fragen in den Mittelpunkt des gesellschaftlichen und politischen Diskurses ist in den Köpfen vieler "Linksliberaler" noch nicht angekommen. Sie behelfen sich mit immer neuen Windungen und Wendungen der politischen Korrektheit und Uraltrezepten aus Omas Suppenküche. Als ob diese politische Achsenverschiebung mit einer Diskussion über die Wiedereinführung der Vermögenssteuer und einem Rentenbeitrag von 26 Prozent zu lösen wäre. Bastian Hermission, Leiter des Washingtoner Büros der Heinrich-Böll-Stiftung, machte auf dem Grünen Parteitag in Münster eindrucksvoll klar, dass die Neigung zur Bevormundung und Entmündigung von Menschen ohne Uni-Abschluss ein verheerender politischer Fehler ist, der sich bitter rächt.

Unfug wäre es hier, sich als Linksliberaler konservativ zu gerieren und womöglich die überkommende heilige Familie und ihre Rohrstockpädagogik wieder zu verklären. Die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Partnerschaften wieder in Frage zu stellen, bringt zu Recht nicht nur die Betroffenen selbst auf. Solches Gerede schafft zudem keinerlei neues Vertrauen bei den "Abgehängten" der westlichen Gesellschaften.

Keine Hartz IV-Familie wird wieder glücklich, wenn Schwule nicht heiraten und keine Kinder adoptieren dürfen. Das ist alles schiefe Symbolpolitik zur Irreführung und Verdummung des Publikums. Peinlich, nur dass die Menschen das merken und der Politik und der gesamten politischen Klasse am Ende noch weniger Vertrauen als zuvor. Jedes Nachäffen rechter Populisten stärkt diese und schwächt Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

Erreichte gesellschaftspolitische Fortschritte dürfen nicht wieder in Frage gestellt werden, sondern müssen engagiert und überzeugend verteidigt werden. Zur Politik und ihrer Glaubhaftigkeit gehören auch Haltung die die Fähigkeit, auch dann standhaft zu bleiben, wenn einmal der Wind ins Gesicht bläst. Populisten durch eigene Haltungslosigkeit zu toppen, wird sich bitter rächen.

Vertrauen der Abgehängten zurückgewinnen

Wie in den USA unter Obama wurden auch in Westeuropa Wachstumsverlierer, Menschen in ehemaligen Industrieregionen mit ihren Nöten und Personen mit geringer Ausbildung nicht mit Respekt, sondern sogar mit offener oder verdeckter Missachtung übergangen. Hier hat sich eine enorme Wut aufgestaut, die sich mittlerweile direkt gegen demokratische Institutionen des Staates und der Gesellschaft richtet. Ob Parteien, Parlamente oder Presse: das Vertrauen hat dramatisch gelitten. Diese Menschen haben Trump zum Sieg verholfen. Ein linksliberaler Noch-Mainstream in Europa und in Deutschland, der sich weiterhin auf gut gebildete Eliten und Minderheiten stützt, wird das gleiche Debakel erleben wie die Demokraten in den USA und ihre gescheiterte Präsidentschaftskandidatin.

Nichts ist in der Politik schwieriger, als verlorenes Vertrauen zurück zu gewinnen. Bei der Entwicklung von Handlungsstrategien ist unvoreingenommene Nüchternheit bei der Analyse von Nöten. Hier ist sorgsam zu unterscheiden zwischen einer veränderten Politik gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern in ihrer Gesamtheit auf der einen - und gezielten Angeboten an die abgehängten Teile der Bevölkerung auf der anderen Seite. Hier seien beispielhaft Volksentscheide, mehr Bürgerbeteiligung und verbesserte Transparenz von Planungs- und Entscheidungsprozessen erwähnt. Alle drei Elemente sind für die Demokratie unverzichtbar So kann das vielfach kritisierte Abheben der politischen Klasse gebremst und dem verbreiteten Eindruck entgegen getreten werden, dass "die da oben" ohnehin machen was sie wollen und was ihren (materiellen) Interessen entspricht.

Ausschlaggebend für eine langfristig erfolgreiche Abwehr rechts-populistischer Strömungen ist jedoch ein politischer, sozialer und mentaler Kurswechsel der politischen Eliten gegenüber den "Abgehängten" in unserer Gesellschaft. Mit der materiellen Besserstellung allein ist es aber nicht getan. Selbstverständlich muss die Grundsicherung aufgestockt werden, ebenso die Mindestlöhne. Eine bessere Rentenpolitik hat die wichtige Aufgabe, Altersarmut zu verhindern, ohne wiederum die Jungen zu überfordern. Die Vernachlässigung von Generationengerechtigkeit mag ein Problem lösen, wirft aber andere umso drängender auf.

Chancengerechtigkeit als Chance der Politik

Zentraler Punkt beim Kampf gegen das Auseinanderdriften der Gesellschaft und deren Ursachen ist mehr Chancengerechtigkeit. Die seit Jahr und Tag unveränderte Abhängigkeit der Bildung der Kinder vom Geldbeutel ihrer Eltern ist das eigentliche Erzübel. Der eher rührende Versuch einer mechanisch-fiskalischen Umverteilung von Vermögen als alt-linkes Naturheilmittel der Schröpfung von "Super-Reichen" wird wenig bewirken. Dieser Ansatz setzt auf Symbolpolitik, die in ihrer Wirkung verpufft. Wer mit dem Nudelsieb Wasser aus einem vollen Fass in ein leeres Gefäß umfüllen will, überschwemmt allenfalls den Fußboden.

Weniger Steuersubventionen (3,8 Mrd. Euro für Kirchensteuerzahler) und die konsequente Bekämpfung von Schummeleien aller Art und auf allen Ebenen sowie die Schließung von Steueroasen bringen mehr Geld ein, um die Chancengerechtigkeit zu verbessern. Transfer allein ist ohnehin nur als eine Maßnahme auf Zeit erfolgreich, nicht als Dauerlösung.

Kultur der zweiten Chance

Deutschland braucht eine Kultur der zweiten Chance. Das bedeutet, die Verkrustungen aufzubrechen und auch die Arbeitswelt durchlässiger zu machen. Hier nur einige Beispiele:

  • Wer einmal als Selbständiger gescheitert ist, sollte nicht länger lebenslang stigmatisiert werden.
  • Wer eine Zeitlang von Grundsicherung gelebt hat, muss die Chance auf Weiterbildung und ein sicheres Arbeitseinkommen erhalten.
  • Wer aus einer armen Familie kommt, muss Abitur machen und studieren können.
  • Schülerinnen und Schüler ohne Schul- und Berufsabschluss sollen verstärkt die Möglichkeit bekommen, diese Versäumnisse später nachzuholen.
  • Wer einmal im Gefängnis gesessen hat, verdient Vertrauen für einen Neuanfang.

Ängste nicht wegdefinieren und stigmatisieren

Ein großes gesellschaftliches Konfliktfeld ist die Debatte über Migration und innere Sicherheit. Auch hier wurde versäumt, einen mittleren Weg bei der Beschreibung von Chancen und Risiken der Zuwanderung zu beschreiten. Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung schien es nur noch zwei Alternativen zu geben. Die einen sprudelten über vor einer optimistischen Erwartung einer schnellen Lösung demographischen Probleme durch eine Welle hochqualifizierter Kandidaten für den Arbeitsmarkt. Die anderen wiederum sahen und sehen wie Donald Trump in Zuwanderern bzw. Flüchtlingen nichts als "Schmarotzer" und potentielle Vergewaltiger.

Herfried und Marina Münkler ist es eindrucksvoll gelungen, sachlich überzeugend die Notwendigkeit, aber eben auch die vielfältigen Herausforderungen von Zuwanderung darzulegen (Die neuen Deutschen, Rowohlt, 2016). Überzeugende Argumente, eine sachliche Diskussion auch der Probleme und Zuhören, wenn Menschen ihre Ängste und Sorgen formulieren: hier gibt es noch große Defizite. Nicht jeder, der sich kritisch zum Islam äußert, ist ein Rassist. Nicht jeder, der von der berüchtigten Kölner Silvesternacht spricht, spielt das Spiel der AFD.

Es ist an der Zeit hinzuhören und nicht zu stigmatisieren. Das Zeitfenster, diese Defizite der Kultur des demokratischen Umgangs miteinander zu beheben, bleibt nicht mehr lange offen. Die Zeit der politisch korrekten Selbstgefälligkeit ist jedenfalls zu Ende, Donald sei Dank.