Vor 50 Jahren. Der zweite Juni 1967 in Berlin

Erinnerungen an Benno Ohnesorg

Eine Demonstration von einigen hundert Studenten gegen den Schah von Persien hat 1967 die "Frontstadt West-Berlin" erschüttert, die noch im Schlaf der Adenauerzeit verharrte. Heute vor 50 Jahren wurde Benno Ohnesorg erschossen: Dieser Mord veränderte die Gesellschaft nachhaltig.

Berlin (West) war zu jener Zeit kleinbürgerlich und atmosphärisch miefig: Das Traumpaar der Regenbogenpresse waren der Schah von Persien, Mohammad Reza Pahlavi, und seine Frau Farah (Dibah) Pahlavi sowie der Sängerknabe und Traum jeder Schwiegermutter, Heintje, Die Frau stand einzig für "Kinder, Küche und Kirche". Die Zeit wird definiert durch sexuelle Verklemmtheit und eine Fresswelle. Zudem tobte seit 1955 der brutale Vietnamkrieg der besonders in West-Berlin verehrten amerikanischen Freunde.

Dem standen einige wenige Protestierende gegenüber, die vor dem Schöneberger Rathaus am Freitagmorgen des 2. Juni 1967 gegen die diktatorische Herrschaft des Schahs sowie gegen Folterung und Tötung politischer Gegner im Iran demonstrieren wollten.

Alfred Hrdlicka: Der Tod des Demonstranten, Relief vor der Deutschen Oper, Berlin, Wikimedia, CC BY-SA 2.0 de
Alfred Hrdlicka: Der Tod des Demonstranten, Relief vor der Deutschen Oper, Berlin, Wikimedia, CC BY-SA 2.0 de

Eine "schahfreundliche" Persergruppe stand vor den Absperrungen. Und diese "Jubelperser" stürzten sich plötzlich auf die dichtgedrängten Neugierigen und Demonstranten und schlugen mit Stahlruten, Totschlägern und Holzlatten auf Alle und Jeden ein. Die Polizei sah interessiert zu und griff erst nach mehreren Minuten widerwillig ein.

Die persischen Schlägertrupps, zum Teil mit Pistolen und Ausweisen des Geheimdienstes SAVAK ausgerüstet, wurde dann am Abend von zwei städtischen Bussen in der Kolonne der Ehrengäste zur Oper gefahren. Dort durften die Perser sich wieder vor der Absperrung formieren und konnten ungehindert Steine in die Demonstrantenmenge werfen und später an der Jagd der Polizei auf die Studenten teilnehmen.

Denn diese bei den Berlinern verhaßten Studenten wagten es abends, nochmals anzurücken und zu demonstrieren.

Als sich die Türen der Oper hinter den Ehrengästen (Polizeiführer Erich Duensing, der "Leberwurststratege", Heinrich und Wilhelmine Lübke und dem Schah und seiner Frau) geschlossen hatten und drinnen die Nationalhymnen erklangen, wurde draußen der Befehl "Knüppel frei" gegeben

Offenbar um die Kampfesfreude der Beamten zu steigern, wurde zunächst als Flüsterparole, später sogar von einem Einsatzleiter über Lautsprecher die Nachricht verbreitet, ein Polizist sei durch Messerstiche von Demonstranten getötet worden. Vor der Oper und später in den Straßen der Innenstadt "rächten" die Polizisten den "Mord" an ihrem Kameraden.

Bei einer dieser Selbstjustizaktionen wurde der Student Benno Ohnesorg vom Polizeimeister Karl-Heinz Kurras erschossen.

Benno Ohnesorg war ein politisch interessierter, aber kaum aktiver Student. Er war Mitglied einer evangelischen Studentengemeinde und nahm als Pazifist an der Ostermarschbewegung teil. Er las allerdings die damals unter linksgerichteten Studenten beliebte Zeitschrift "Berliner Extra-Dienst".

Wie es zu den tödlichen Schüssen kam, darüber wurden von offizieller Seite – nachdem der Gebrauch von Schusswaffen zunächst überhaupt abgestritten worden war – mittlerweile mindestens vier Versionen verbreitet.

Wie sich erst im Jahr 2011 herausstellte, waren alle erstunken und erlogen. Der Tathergang wurde nach Kräften verschleiert. Kurras wurde freigesprochen. Allerdings weiß man jetzt auch, daß Kurras für die Stasi arbeitete, dennoch konnte man diesen Mord der Stasi nicht in die Schuhe schieben.

Fest steht sogar, daß Ohnesorg bevor oder nachdem er von einer Kugel in den Hinterkopf getroffen worden war, schwer mißhandelt wurde. Die Obduktion ergab Prellungen und Blutergüsse durch Schlageinwirkung am ganzen Körper des Toten.

Der frühere Pastor und zum Zeitpunkt des Mordes Regierender Bürgermeister von Berlin, Heinrich Albertz, verlor kein Wort der Kritik an der Polizei, sondern meinte:

"Die Geduld der Stadt ist am Ende. Einige Dutzend Demonstranten, darunter auch Studenten, haben sich das traurige Verdienst erworben, nicht nur einen Gast der Bundesrepublik Deutschland in der deutschen Hauptstadt beschimpft zu haben, sondern auf ihr Konto gehen auch ein Toter und zahlreiche Verletzte – Polizeibeamte und Demonstranten. Die Polizei, durch Rowdies provoziert, war gezwungen, scharf vorzugehen und von ihren Schlagstöcken Gebrauch zu machen. Ich sage ausdrücklich und mit Nachdruck, dass ich das Verhalten der Polizei billige und dass ich mich durch eigenen Augenschein davon überzeugt habe, dass sich die Polizei bis an die Grenzen der Zumutbarkeit zurückgehalten hat."

Grabstelle Benno Ohnesorg in Hannover, Foto: AxelHH, Wikimedia, gemeinfrei
Grabstelle Benno Ohnesorg in Hannover, Foto: AxelHH, Wikimedia, gemeinfrei

Allerdings revidierte er diese Aussage später, da ihm wohl das achte Gebot zu schaffen machte.

Zur Verschärfung der Lage trugen die auflagenstärksten Berliner Zeitungen bei; z.B. rief die BZ "Arbeiter, Angestellte und Beamte" zum Widerstand gegen die "Rabauken" auf, "deren Dasein zu einem nicht geringen Teil von den Steuergeldern der hart arbeitenden und um ihre Existenz ringenden Bevölkerung getragen wird."

Fast alle Studenten aller deutschen Universitäten solidarisierten sich mit den Berliner Studenten. In Erinnerung bleibt auch der von ca. 15.000 Studenten begleitete Trauerzug bis Dreilinden und die Trauerrede des kritischen evangelischen Theologen Helmut Gollwitzer, in der er u.a. sagte:

"Benno Ohnesorgs Leidenschaft galt dem Frieden… Als er sich dort von seiner Frau an der Straßenecke in der Schillerstraße trennte und hinüber zur Krummen Straße ging, …war es vielleicht sein Impuls, einem Misshandelten zu helfen, der ihn sein Leben kostete…"

Der Mord an Benno Ohnesorg bewirkte, daß die Studentenbewegung damals noch kritischer wurde und nun versuchte, Allen ihre Hoffnung auf eine humanistische Welt beizubringen: Die Studentenbewegung und die daraus entstehende 68-iger-Bewegung haben die westliche Welt verändert.

Der Autor war in jenen Jahren selbst Student in Berlin und nahm an den Studentendemos teil.