Mit einem kruden Weltbild voller zyklischer Weltuntergänge legte Anfang des 20. Jahrhunderts ein Privatforscher die Wissenschaften auf Eis. Die Nazis waren begeistert von Hanns Hörbigers Welteislehre; und in Teilen lebt sie bis heute weiter – in der Esoterik und anderen Strömungen, die Aufklärung, Moderne und Rationalismus ablehnen.
Die sogenannte Glazialkosmogonie, besser bekannt unter dem Namen "Welteislehre", stellt eines der eigenwilligsten pseudowissenschaftlichen Weltbilder des 20. Jahrhunderts dar. Entwickelt wurde diese Theorie von dem österreichischen Ingenieur Hanns Hörbiger, dessen visionärer, jedoch wissenschaftlich unhaltbarer Kosmos aus Eis, Mondkatastrophen und zyklischen Weltuntergängen besonders im nationalsozialistischen Deutschland zeitweise große Popularität erlangte. Dieser Artikel beleuchtet umfassend Leben und Werk Hanns Hörbigers, die ideologischen und vermeintlich wissenschaftlichen Grundlagen seiner Theorie sowie deren Rezeption im Dritten Reich.
Der Erfinder
Hanns Hörbiger wurde am 29. November 1860 in Atzgersdorf bei Wien geboren. Nach einem Ingenieurstudium in Wien arbeitete er zunächst als Maschinenbauingenieur und erfand 1894 ein neuartiges, leistungsfähigeres Ventil für Luftkompressoren, das sogenannte Hörbiger-Ventil. Diese Erfindung verschaffte ihm finanziellen Erfolg und erlaubte ihm, sich zunehmend außerhalb seines Fachgebiets mit naturphilosophischen und kosmologischen Fragen zu beschäftigen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts begann Hörbiger gemeinsam mit dem Schriftsteller Philipp Fauth, einem populärwissenschaftlich arbeitenden Astronomen, an einer umfassenden Kosmologie zu arbeiten, die 1913 unter dem Titel "Glazial-Kosmogonie" erstmals veröffentlicht wurde.
Die Grundlagen
Die Welteislehre basiert auf der zentralen Idee, dass Eis die fundamentale Substanz des Universums sei. Hörbiger glaubte, dass alle kosmischen Prozesse letztlich auf die Interaktion zwischen "Welteis" und glühender Materie zurückzuführen seien. Seiner Ansicht nach existierten riesige Mengen von Eis im Weltraum, die in Form von kosmischen Eisbrocken, Nebeln und Kernen die Bewegung und Entwicklung von Planetensystemen bestimmten. Entgegen der gängigen astronomischen Auffassung behauptete Hörbiger, dass unser Mond nicht der einzige gewesen sei, sondern dass die Erde in der Vergangenheit bereits mehrere Monde eingefangen und wieder verloren habe. Jeder dieser Mondzyklen sei von katastrophalen Ereignissen begleitet gewesen, darunter globale Überschwemmungen, tektonische Umwälzungen und klimatische Katastrophen.
Als angebliche Beweise führte Hörbiger geologische Formationen, Mythen über Sintfluten sowie kulturelle Überlieferungen an, die er als Erinnerungen an vergangene Mondabstürze interpretierte. Die Evolution der Menschheit sei eng mit diesen kosmischen Ereignissen verknüpft. So glaubte er, dass frühere Menschheiten durch den Einfluss eines näher gerückten Mondes zu Riesen heranwuchsen, deren Untergang durch den Absturz dieses Mondes besiegelt worden sei. Die gegenwärtige Menschheit sei nur eine von mehreren Zivilisationen, die zyklisch entstehen und untergehen.
Wissenschaftliche Einordnung
Wissenschaftlich war die Welteislehre von Anfang an stark umstritten und wurde von Fachastronomen, Geologen und Physikern einhellig abgelehnt. Ihre Grundlage bestand weniger in empirischer Forschung als in intuitiven Eingebungen Hörbigers, die dieser gelegentlich als visionäre Träume beschrieb. Dennoch verstand es Hörbiger, seine Ideen mit einem missionarischen Eifer zu verbreiten. Er gründete eigene Verlage, verbreitete Schriften, Plakate und sogar Filme, die für die Welteislehre warben. Dabei richtete sich seine Polemik auch gegen das etablierte Wissenschaftssystem, das er als dogmatisch und materialistisch kritisierte. Stattdessen sah er sich als Vorkämpfer einer neuen, intuitiven Wissenschaft, die auf deutschen, "heldischen Geist" gründe.
Die Welteislehre in völkischen Kreisen und im Nationalsozialismus
Diese ideologische Ausrichtung der Welteislehre führte dazu, dass sie in völkisch-nationalistischen Kreisen Anklang fand. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde sie von Teilen der deutsch-nationalen Bewegung als genuin deutsche Kosmologie gefeiert, die sich vom "jüdisch dominierten" akademischen Wissenschaftsbetrieb abgrenze. Besonders im Umfeld der Ariosophie und anderer esoterischer Bewegungen der Zwischenkriegszeit wurde die Welteislehre als metaphysische Wahrheit propagiert, die tiefere Erkenntnisse über Menschheitsgeschichte und Schöpfung liefere.
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 in Deutschland erhielt die Welteislehre eine neue politische Bühne. Ihre "deutsche" Herkunft, gepaart mit der Abgrenzung gegenüber internationaler Wissenschaft, wurde gezielt als ideologisches Instrument genutzt. In einem Klima, das sich gegen alles "Undeutsche" und "Intellektualistische" richtete, erschien die Glazialkosmogonie als willkommene Projektionsfläche. Besonders Heinrich Himmler, der Reichsführer SS, zeigte wiederholt Interesse an der Lehre, da sie seinen Vorstellungen einer mystisch aufgeladenen, völkisch begründeten Weltanschauung entsprach.
Die SS-eigene Forschungseinrichtung, das Ahnenerbe, unterstützte teilweise Projekte, die in Anlehnung an Hörbigers Ideen versuchten, die Menschheitsgeschichte im Sinne arischer Überlegenheit umzudeuten. Zwar blieb die Welteislehre offiziell außerhalb des naturwissenschaftlichen Mainstreams, doch in populären NS-Medien und Ausstellungen – wie etwa im Haus der Deutschen Kunst – wurde sie als Ausdruck einer neuartigen deutschen Wissenschaft inszeniert. Dabei spielte auch der Kampf gegen die Relativitätstheorie Albert Einsteins eine Rolle, der im NS-Diskurs als Symbol "jüdischer Pseudowissenschaft" galt. Die Welteislehre stand somit exemplarisch für den Versuch, Wissenschaft ideologisch umzudeuten, auch wenn sich dies letztlich nie vollständig durchsetzen ließ.
Hörbiger selbst starb 1931, also noch vor der Machtübernahme Hitlers. Doch seine Anhänger, organisiert im "Welteis-Bund", setzten seine Mission mit großer Vehemenz fort. Unter dem Slogan "Erkennen, was die Welt im Innersten zusammenhält, ist unser Ziel" propagierten sie die Lehre als wissenschaftlich-mythologische Grundlage einer neuen Weltanschauung. Besonders in der SS und in Teilen der Wehrmacht gab es Gruppen, die sich für die Glazialkosmogonie interessierten, wobei es jedoch kaum zu einer wirklichen Integration der Lehre in die militärisch-wissenschaftliche Praxis kam.
Der Mythos lebt weiter
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs verlor die Welteislehre rasch an Einfluss. In den 1950er und 1960er Jahren wurde sie zunehmend als Kuriosum betrachtet, dennoch überlebte sie in einigen esoterischen und rechtsextremen Kreisen. Besonders in deutschsprachigen Alternativmilieus der 1970er Jahre wurde Hörbigers Lehre teilweise neu interpretiert. Elemente wie die zyklische Zerstörung und Wiedergeburt der Menschheit, die Ablehnung akademischer Autoritäten sowie die Betonung eines verborgenen kosmischen Wissens passten gut in den Rahmen einer antirationalen und spirituell aufgeladenen Weltsicht. In der heutigen Esoterik-Szene lebt die Welteislehre in fragmentierter Form weiter – sei es in der Mondverschwörungsliteratur, bei pseudowissenschaftlichen Vorstellungen von Hohlwelt-Theorien oder im Umfeld von Neurechten, die auf eine mythisch-rassische Deutung der Weltgeschichte zurückgreifen. Plattformen im Internet und einschlägige Literaturkreise greifen Hörbigers Ideen gelegentlich auf, um moderne Wissenschaft als verkommen oder verschleiernd darzustellen. Damit dient die Glazialkosmogonie auch im 21. Jahrhundert als Projektionsfläche für eine tieferliegende Ablehnung von Aufklärung, Moderne und Pluralismus.
Um ein Fazit zu ziehen, kann man sagen, dass die Welteislehre Hanns Hörbigers ein Paradebeispiel für die ideologische Vereinnahmung pseudowissenschaftlicher Theorien ist. Sie beruht weniger auf empirischer Forschung als auf mythopoetischer Spekulation. Ihre Popularität im Dritten Reich und ihr Fortleben in der Gegenwart unterstreichen die Wirkkraft irrationaler Weltbilder in politisch aufgeladenen Kontexten. Als pseudowissenschaftliches Konstrukt mit klar ideologischer Stoßrichtung bleibt sie ein Mahnmal für die Verwundbarkeit von Wissenschaft durch politische und esoterische Überformung.
Literatur (Auswahl):
- Baader, Benjamin: Science and Pseudoscience in Nazi Germany. In: Journal of Modern History, Vol. 77, Nr. 4, 2005
- Barkun, Michael: A Culture of Conspiracy: Apocalyptic Visions in Contemporary America. Berkeley: University of California Press, 2003
- Christoph, Rainer: Eiszeit im Weltall – Die Geschichte der Glazialkosmogonie. Wien: Czernin, 2002
- Fauth, Phillip: Hörbigers Glazialkosmogonie. Kaiserslautern: Kayser, 1913
- Hörbiger, Hanns; Fauth, Phillip: Glazialkosmogonie. Leipzig: Voigtländer, 1913
- Koller, Alexander: Welteis und Weltanschauung: Der "Welteis-Bund" im Dritten Reich. Berlin: Philo, 1999
- Nagel, Brigitte: Die Welteislehre. Ihre Geschichte und ihre Rolle im "Dritten Reich". Stuttgart: Verlag für Geschichte der Naturwissenschaften und der Technik, 1991
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