Notizen aus Polen

Die ersten Maitage in Polen

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Banner auf dem "Souveränitäts-Marsch" am 1. Mai in Warschau.
Banner auf dem "Souveränitäts-Marsch" am 1. Mai in Warschau.

Die erste Maiwoche war reich an Ereignissen, Veranstaltungen, Jahres- und Feiertagen. Am 1. Mai wurde der "Internationaler Tag der Arbeit" und der "15. Jahrestag des Beitritts Polens zur Europäischen Union" gefeiert. Tags drauf, am 2. Mai, das "Fest der Nationalfahne" sowie am 3. Mai der "Jahrestag der Annahme der 3.-Mai-Verfassung".

Am 1. Mai fand in Warschau der sogenannte "Souveränitäts-Marsch" statt. Zu den Veranstaltern gehörten rechts-nationale Gruppierungen, Organisationen und Parteien, die gemeinsam unter dem Namen Konfederacja (Konföderation) zu den Wahlen zum Euro-Parlament antreten. Die Parole des Marsches war "Stop dem Diktat Berlins und Brüssels" und auf deren Großbanner an der Spitze des Marsches stand "Nie dla UE" (Nein zur EU). Die Marschierenden schrien Parolen wie: "Stolz, Stolz, Nationalstolz", "Weg mit der EU", "Gestern Moskau, heute Brüssel" und: "Hier ist Polen, nicht POLIN" (POLIN heißt das berühmte Warschauer "Museum der Geschichte der Juden"; viele antisemitistische Anspielungen waren auch in den Reden der Redner zu hören.) Am Ende des Marsches wurde die europäische Fahne zerschnitten (anstatt verbrannt, wie es früher oft gemacht wurde) und ein ehemaliger EU-Parlamentarier hat das Gebet "Vater unser im Himmel" intoniert.

Wer sind die Hauptveranstalter des Souveränität – Marsches und Mitglieder von Konfederacja ?

Korwin-Mikke (Jahrgang 1942). Er war ein aktiver Oppositioneller vor der Wende 1989. Gründer von nacheinander drei Parteien; seine aktuelle konservativ-liberale heißt KORWIN. Er ist ehemaliger Abgeordneter des polnischen und des europäischen Parlaments und trat mehrmals bei den Präsidentschaftswahlen an. Die Hauptthesen des Programms seiner Partei: So wenig Staat, Steuern und Gesetze wie nur möglich: Nur ein freier Markt ohne irgendeine Begrenzung; nur privates Schulwesen und Gesundheitspflege; kein Sozialstaat.

Ruch Narodowy (Nationale Bewegung). Sie entstand 2012 als Allianz von rechtsradikalen Gruppierungen. Am 11. Februar 2015 wurde sie als politische Partei eingetragen. Aus der ideologischen Erklärung der Partei: "Unsere Hauptkraft ist das Bewusstsein und der Handlungswille junger Polen. Wir unternehmen die Aufgabe, das Vaterland zu verwandeln. Unser politischer Grundgedanke ist die Idee der Nation, gedacht als kulturelle Gemeinschaft der Generationen – der vergangenen, jetzigen und der künftigen. Eine so verstandene Nation ist der einzige berechtigte Gastgeber im eigenen Staat. Deshalb werden wir um Polen für die Polen kämpfen – stolz, blühend und sicher."

Młodzież Wszechpolska (Allpolnische Jugend) Hierbei handelt es sich um ein im Jahre 1989 reaktivierten Vorkriegsverein der akademischen, nationalistischen, antisemitischen Jugend. Aus der ideologischen Erklärung: "Młodzież Wszechpolska ist der ideologische Erbe der besten Traditionen des nationalen Lagers, vor allem der politischen Gedanken von Roman Dmowski und anderen Schöpfern der nationalistischen Idee. Wir erkennen, dass die Nation der wichtigste irdische Wert ist nach Gott."

Die Vereinigung "Marsz Niepodleglości" organisiert seit 2010 die "Unabhängigkeitsmärsche". Der Vorsitzende der Vereinigung ist gleichzeitig leitender Aktivist von ONR (national-radikales Lager) – ein im Jahr 1993 reaktivierter rechtsextremistischer Vorkriegsverein. Aus der ONR-Webseite: "Wir sind eine gesellschaftliche Bewegung von jungen Polen, der solche Werte wie Gott, Ehre, Vaterland, Tradition und Freundschaft wichtig sind." Außer ONR gehören der Vereinigung viele rechtsextremistische und neofaschistische Gruppierungen und die organisierten Gruppen von Fußballstadien-Hooligans an.

In der Konfederacja ist also in der Tat die ganze polnische "Neue Rechte" vereinigt. Obwohl sie erst einige Wochen formell besteht, hat sie schon in den Meinungsumfragen die Wahlschwelle von 5 Prozent überschritten. Alles spricht dafür, dass sie nach den Herbstwahlen eine starke Repräsentanz im polnischen Parlament (Sejm) haben werden.

Den Souveränitäts-Marsch versuchten die Aktivisten von Obywatele RP (Bürger der Republik) mit einer Sitzblockade zu stoppen. Diese wurde allerdings von der Polizei schnell beendet. Ein Großbanner mit dem Aufschrift "Hier ist die Grenze der Anständigkeit" wurde den Protestierenden entrissen und von einem Polizisten mit dem Fuß in die Richtung der Nationalisten getreten.

Foto: © Krystian Dobuszyński
Foto: © Krystian Dobuszyński

Am 1. Mai feierten die Polen auch den 15. Jahrestag des Beitritts Polens zur Europäischen Union. Die Demokraten organisierten Picknicks und Events. Sie sangen gemeinsam die "Ode an die Freude". Die wichtigsten Politiker: Präsident Duda und Premierminister Morawiecki versicherten in ihren Fernseh-Reden, dass Polen für immer in der EU bleibt. Sie widersprachen damit der Aussage der Opposition, nach der die PiS-Regierung einen "Polxit" vorbereitet.

Am 3. Mai war 228. Jahrestag der Annahme der 3.-Mai-Verfassung. Das war die erste Verfassung in Europa und die zweite nach der amerikanischen Verfassung in der Geschichte.

Wiederum fanden zahlreiche offizielle und Volksfeierlichkeiten statt. Die wichtigste ohne Zweifel war an diesem Tag die Rede von Donald Tusk, dem Vorsitzenden des Europäischen Rates, an der Warschauer Universität. Motto dieser Rede war "Anstatt des Worts 'oder' verwenden wir 'und'". In Europa gebe es kein "sie oder wir", es gebe nur "wir". Tusk hat auch die jüngste Verlautbarung des polnischen Präsidenten über die EU brillant kommentiert: "Nie może być tak, że ta władza raz do roku obchodzi święto konstytucji, a na co dzień tę konstytucję obchodzi" ("Es darf nicht sein, dass diese Behörde einmal jährlich das Verfassungsfest feiert und jeden Tag diese Verfassung umgeht"). Die große Aula im Auditorium Maximum war bis zum letzten Platz besetzt; viele Hunderte Menschen hörten dem Redner auch auf dem Uni-Hof zu.

Das war wirklich eine ausgezeichnete Rede, aber am meisten kommentiert wurden die Worte eines Vorredners und Mitorganisators der Veranstaltung, Leszek Jażdżewski, Chefredakteur des Internetportals Liberté. Er erinnerte daran, dass schon viereinhalb Jahre nach der Annahme dieser großartigen Verfassung Polen von der Karte Europas verschwand, wozu die katholische Kirche enorm beigetragen hat. Er sagte unter anderem: "Die katholische Kirche in Polen, mit den zahlreichen immer noch nicht geklärten Pädophilie-Skandalen belastet, von der Kampf um Geld und Einflüsse besessen, hat das moralische Mandat für die Funktion des Gewissen der Nation verloren." Die in den ersten Reihen sitzenden Prominenten und die Führer der politischen Opposition waren von den Worten Jażdżewskis völlig überrascht; erst nach einigen Tagen haben sie sich mehr oder weniger entschieden davon distanziert. Für die Regierenden aber war Jażdżewskis Rede eine willkommene Gelegenheit, ihre Treue und Ergebenheit der Kirche zu demonstrieren. Jaroslaw Kaczyński sagte: "Wer seine Hand gegen die Kirche erhebt, erhebt seine Hand gegen Polen. Ich bin ein gläubiger Mensch, ein praktizierender Katholik."

Ein Akt dieser Ergebenheit war auch der Polizeieinsatz gegen eine bekannte Warschauer Oppositionelle, Feministin und LGBT-Aktivistin: Elżbieta Podleśna. Am 7. Mai um 6 Uhr durchsuchten die Polizisten ihre Wohnung, beschlagnahmten Computer und Handy und nahmen sie fest. Sie wurde beschuldigt, Ende April in der Stadt Plock Plakate von der Schwarzen Madonna von Tschenstochau mit einem Regenbogen als Heiligenschein an Mülleimer und mobile Toilettenkabinen geklebt zu haben. Sie habe auf diese Weise auf das Ostergrab in der dortigen Kirche reagiert; es war mit dem Spruch "Behüte uns vor dem Feuer des Unglaubens" versehen.

Foto: © Kongres Świeckości

Foto: © Kongres Świeckości

Podleśna wird von Amnesty International und der Warschauer Helsinki-Stiftung für Menschenrechte und vom Bürgerbeauftragten unterstützt. Diese verurteilten die Polizeiaktion gegen die Frau als unverhältnismäßig. Auch die Aktivisten der Straßenopposition haben sich mit Podleśna solidarisiert. Sie haben die Streikposten organisiert und Kirchen, Klöster und kirchliche Einrichtungen mit Aufklebern der Madonna mit dem Regenbogen beklebt.