Was in Europa die Füchse und Turmfalken sind, die die Städte besiedeln, sind in Amerika die Coyoten, die durch New Yorks Central Park traben, – und zunehmend die Kaninchenkäuze in Buenos Aires. An diesen Eulenvögeln studieren Bart Kempenaers vom Institut für Verhaltensökologie Seewiesen und Jóse L. Tella mit Martina Carrete von der sevillanischen Estación Biológica de Doñana und Kollegen nun in Argentinien Genommuster und Verhaltensanpassungen.
Kaninchenkäuze (Athene cunicularia) sind drollige Gesellen. Sie haben ihren Namen, weil sie in Gesellschaften von bis zu zwei Dutzend Paaren in Höhlen wohnen, die früher vornehmlich von Kaninchenmäusen (Lagastomus maximus), in ihrer Heimat "viscachas" genannt, angelegt wurden, die selbst zur Familie der Chinchillaartigen gehören. Sie nähren sich nicht nur von Mäusen und Vögeln, sondern auch von Kerbtieren: Käfern, Heuschrecken oder Erdhummeln.
Seit 150 Jahren haben die Menschen aber diesen Nagern, deren Höhlen den Käuzen als Behausung dienten, den Kampf angesagt. Denn sie unterminierten ihre Viehwiesen. Zu viele Pferde der Gauchos und Rinder waren schon in die Höhleneingänge getreten und haben sich die Haxen gebrochen. Doch das trieb die obdachlos gewordenen Käuze nicht gleich in die Städte. Seither eigneten sie sich jedoch eine neue Fähigkeit an, nämlich die, sich selbst Höhlen zu graben. Damit konnten die Käuzchen nun auch in den Städten überleben, die weit großflächiger angelegt sind als auf dem Alten Kontinent und viel unversiegeltes Brachland aufweisen. Heute graben alle städtischen Kaninchenkäuze ihre Nester selber. Auch auf dem Land suchen nur 25 % vorgefertigte Höhlen. In Nordamerika, wo die Präriehunde, die den Käuzen dort ihre Wohnungen gruben, nie so gejagt wurden, buddeln die Kaninchenkäuze bis heute auch keine Nester.
Es breiteten sich nicht Stadt-Kaninchenkäuze von einer Stadt in die andere aus, sondern derselbe Prozess spielte sich vielerorts ab, konnten Bart Kempenaers, Jóse L. Tella und Kollegen nachweisen, die an 137 Exemplaren 17 Gensequenzen untersuchten, um Verwandtschaftsgrade nachweisen zu können.
Dabei stellte sich heraus, dass innerhalb eines städtischen Siedlungsraums das Genom relativ ähnlich ist, sich also die Gene aus einer Flaschenhalssituation weiter verbreiteten, wie es der Fall ist ist, wenn anfangs nur einzelne Tiere den Umzug in jeweils eine Stadt wagten. Weiter ergab sich bezogen auf die topologische Situation ein Patchwork-Muster eingeschränkter Verbreitung bestimmter Gen-Variaten innerhalb von klar erkennbaren Bezirken, als ob Straßen oder Wohnblocks Hindernisse für die Durchmischung darstellten. Einzelne nachgeborene Käuze müssen aber auch wieder den Weg zurück in die ländliche Umgebung gefunden haben. Und umgekehrt geschah es oft, dass nicht die Käuze in die Städte einwanderten, sondern die Stadt sich in ihre Umgebung hinein ausbreitete und die alten Viehweiden verschwanden.
Entscheidend für die erfolgreiche Besiedelung der Städte war, dass den Kanincheneulen in der Stadt weniger Gefahr von Prädatoren wie etwa großen Raubvögeln drohte und sie gleichzeitig die Fluchtdistanz gegenüber dem Menschen verringern konnten. Sie verloren die Angst vor den Menschen, mit denen sie sich fortan den Lebensraum teilen mussten. Diese niedrige Fluchtdistanz ist phänotypisch.
Die Besiedelung der Städte durch die Kaninchenkäuze ist heute viel dichter als auf dem Land. Ähnlich der unserer Amseln, die auch erst im 19. Jahrhundert von den Wäldern in die Städte umzogen. Auch dies eine Episode im facettenreichen Zeitalter des Anthropozäns.