Rezension

Fragmentarische Darstellung zum NS-Chefideologen

Der Journalist und Publizist Volker Koop legt mit "Alfred Rosenberg. Der Wegbereiter des Holocaust. Eine Biographie" eine Darstellung zu dem früheren NS-Chefideologen vor. Er liefert einige neuere Erkenntnis auch auf Basis der Tagebücher, gleichwohl wirkt sein Buch etwas fragmentarisch und bezogen auf die Bedeutung Rosenbergs für Ideologie und Politik auch ein wenig widersprüchlich.

Biographien über führende Nationalsozialisten wie Göring, Goebbels, Himmler oder Hitler liegen mittlerweile in großer Zahl vor. Die zweite Reihe der NS-Funktionäre wird erst in den letzten Jahren von Historikern näher erforscht. Dies gilt auch für den früheren Chefideologen der NSDAP Alfred Rosenberg, der nach 1933 "Beauftragter des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP" war. Im Zweiten Weltkrieg hatte er das Amt des "Reichsministers für die besetzen Ostgebiete" inne und leitete dabei den Raub von Kultur- und Kunstgütern. 1946 wurde Rosenberg nach den Nürnberger Prozessen gehängt. Ernst Piper hatte 2005 eine umfangreiche Lebensbeschreibung über ihn vorgelegt. Ihr folgt mit "Alfred Rosenberg. Der Wegbereiter des Holocaust. Eine Biographie", die der Journalist und Publizist Volker Koop veröffentlichte. Darin wertete der Autor auch die 2013 gefunden Tagebücher aus. Hierbei ging es ihm insbesondere um die Bedeutung Rosenbergs im Kontext des Holocaust.

Entgegen der Ankündigung im Untertitel handelt es sich bei Koops Buch nicht um eine Biographie im engeren Sinne des Wortes. Zwar findet man die entsprechenden Informationen von der Geburt bis zum Tod. Der Autor wählt aber eher thematische Schwerpunkte, um von Kapitel zu Kapitel zum Lebensbild zu kommen. Zunächst geht es nach kurzen Anmerkungen zu Rosenbergs Jugend und Politisierung um seine Rolle bzw. seinen Stellenwert in der NS-Hierarchie. Koop macht immer wieder deutlich, dass der frühe Chefideologe der NSDAP zwar Ämter und Funktionen mit imposanten Titeln inne hatte. Gleichwohl gelang es ihm nicht, eine entscheidende Machtposition im Regime einzunehmen. Bei Konflikten mit Goebbels, Himmler oder Ribbentrop war er immer der Verlierer. Indessen fühlte Rosenberg sich seinen Konkurrenten geistig überlegen, was die Einträge in seinen Tagebücher veranschaulichen. Die Realität der Politik und seine Selbsteinschätzung als Persönlichkeit bilden von daher einen besonderen Widerspruch.

Diese Einschätzung zieht sich durch Koops Werk hindurch. Besondere Aufmerksamkeit widmet er danach dem Dogmatiker des Antisemitismus, hatte Rosenberg doch seit Beginn der 1920er Jahre eine Fülle von judenfeindlichen Hetzschriften veröffentlicht. Danach geht es um seine Aktivitäten als "Beauftragter des Führers" im "Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg" und im Ministeramt für "die besetzten Ostgebiete". Besondere Aufmerksamkeit widmet Koop auch Rosenbergs Konflikt mit der Kirche, hatte er sich doch gegen das Christentum in seinem Hauptwerk "Der Mythus des 20. Jahrhunderts" ausgelassen. Und schließlich wird sein von Eitelkeit geprägtes Selbstbild und sein Tod als unbelehrbarer Nationalsozialist thematisiert. Bilanzierend heißt es: "Rosenberg hat zwar persönlich keinen Mordbefehl erteilt, nicht gefoltert und kein KZ geleitet. Den Tod hat er dennoch verdient. Denn er war es, der dem Holocaust den Boden bereitetet und den Nationalsozialisten die 'philosophische' Rechtfertigung für den Mord an Millionen von Juden geliefert hat" (S. 120).

Koop legt eine informative Ergänzung zum bisherigen Wissen vor. Insbesondere die ausführlichen Dokumentenzitate vermitteln einen plastischen Eindruck von dem jeweils Gesagten. Dabei wirkt das Buch insgesamt aber etwas fragmentarisch, stehen die einzelnen Kapitel doch lose nebeneinander. Der Autor konnte sich offenbar nicht entscheiden, ob er mehr eine Biographie oder mehr Fallstudien präsentieren wollte. Besondere Beachtung widmet Koop sowohl dem Antisemitismus bei Rosenberg wie dessen Stellenwert im NS-Regime. Wenn dabei aber auf seine Bedeutung auf dem Weg zum Holocaust verwiesen wird, steht diese Einschätzung ein wenig im Widerspruch zu seiner postulierten geringen Relevanz. Erstaunlich ist außerdem, warum das Buch über einen Ideologen nicht näher auf die Ideologie eingeht. Gerade aus den 1920er Jahren stammen zahlreiche hierfür relevante Veröffentlichungen. Insgesamt hat man es demnach durchaus mit einem informativen Buch zu tun, gleichwohl birgt es inhaltliche und konzeptionelle Lücken.

Volker Koop, Alfred Rosenberg. Der Wegereiter des Holocaust. Eine Biographie, Köln 2016 (Böhlau-Verlag), 346 S., ISBN 978-3412505493, 24,99 Euro