In einigen Regionen Deutschlands wird nur die Hälfte der katholisch Getauften später gefirmt. Wer aber im religionsmündigen Alter den "Taufvertrag" nicht bestätigt, sollte auch nicht zur Kirchensteuer herangezogen werden. Dies geht aus einem Kommentar hervor, den die Koordinatorin des Instituts für Weltanschauungsrecht (ifw), Jacqueline Neumann, auf der Website des Instituts veröffentlicht hat.
In dem heute veröffentlichen ifw-Kommentar "Staatliches Kirchensteuerrecht an die Rechtswirklichkeit anpassen" werden den Bundesländern eklatante rechtsstaatliche Reformdefizite nachgewiesen. Diese juristische Einschätzung des ifw basiert auf einer aktuellen Auswertung empirischer Daten zur Frage "Wer ist Kirchenmitglied?" der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (fowid). Darin wird anhand der Anzahl der Taufen, Erstkommunionen und Firmungen in Deutschland, analysiert, dass vor Jahrzehnten noch fast alle der getauften Kinder an der Firmung teilnahmen. Heutzutage werden jedoch beispielsweise im Erzbistum Köln nur rund 50 Prozent der Kinder, die im Säuglings- oder Kleinkindalter einem Taufvorgang unterzogen wurden, im religionsmündigen Alter auch gefirmt. Demnach nimmt die Hälfte aller getauften Personen bereits bis zum Alter von 14 bis 16 Jahren von einer Kirchenmitgliedschaft Abstand. Dessen ungeachtet werden sie jedoch von den 16 Bundesländern zur Kirchensteuer herangezogen.
Die Daten von fowid zeigen, dass es in früheren Jahrzehnten der Bundesrepublik möglicherweise gerechtfertigt war, von einem automatischen Fortbestand der Kirchenmitgliedschaft nach dem Kleinkindertaufvorgang auszugehen und hinsichtlich des Kircheneintritts allein auf die Taufe und hinsichtlich des Austritts allein auf eine förmliche Austrittserklärung vor einer staatlichen Stelle abzustellen. Laut ifw geht diese Sicht des Gesetzgebers heutzutage aber an der gesellschaftlichen Wirklichkeit vorbei, wie ein laufender Fall aus der ifw-Prozesshilfe verdeutlicht: Im "Fall Frau X gegen die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg" hatte die Betroffene nach ihrer Taufe als Säugling und dem Kirchenaustritt ihrer Eltern in den 1950er-Jahren knapp 60 Jahre keinerlei Bezug zur Kirche, noch nicht einmal Kenntnis von einer Mitgliedschaft. Dementsprechend wurde sie auch weder bis zum Jahr 1990 in der DDR noch danach in der BRD zur Kirchensteuer herangezogen. Bis zum Jahr 2011 galt sie als konfessionslos. Dann zog ihr das Finanzamt plötzlich auf Betreiben der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg die Kirchensteuer ab. Im Jahr 2015 reichte Frau X Klage gegen den Bescheid des Finanzamtes über evangelische Kirchensteuer beim Verwaltungsgericht Berlin ein. Das Verfahren hat sich jüngst zum zweiten Mal gejährt, ohne dass ein mündlicher Verhandlungstermin angesetzt worden ist oder eine Entscheidung absehbar ist. All dies bestätigt einmal mehr den rechtspolitischen Handlungsbedarf.
Insgesamt tritt das ifw für eine Abschaffung des staatlichen Kirchensteuereinzugs ein, da gemäß ifw der Kirchensteuereinzug durch den Staat im Grundsatz dem Verfassungsauftrag zur Trennung von Staat und Religion widerspricht. Warum das ifw nicht nur bei der Grundsatzforderung zur Abschaffung der staatlichen Kirchensteuerpflicht bleibt, sondern vier Reformoptionen entwickelt hat, erläutert die Autorin des Kommentars, Jacqueline Neumann, auf der Facebook-Seite des Instituts:
Mit dem aktuellen ifw-Kommentar zeigen wir den Handlungsbedarf für die Rechtspolitik auf, damit nicht weiterhin zusätzlich zur Missachtung des Verfassungsauftrages durch den staatlichen Kirchensteuereinzug noch andere Prinzipien des demokratischen Rechtsstaats verletzt werden. Für die Begründung der staatlichen Kirchensteuerpflicht ist der Kleinkindertaufvorgang heutzutage veraltet und unzureichend. Nun ist es ein Prinzip des demokratischen Rechtsstaats, im Falle eines Wandels der Rechtswirklichkeit bestehende Gesetze anzupassen. Da die Gesetzgeber auf Bundesebene und in den 16 Bundesländern absehbar noch nicht bereit sind, das Neutralitäts- und Trennungsgebot aus dem Grundgesetz zu realisieren, sind unsere vier Vorschläge:
Option 1: Kirchensteuerpflicht durch Kleinkindertaufvorgang als aufschiebend bedingter Vertrag.
Option 2: Genehmigung der Kirchensteuerpflicht durch Kleinkindertaufvorgang im Alter der Religionsmündigkeit.
Option 3: Formlose und gebührenfreie Kündigungsmöglichkeit der Kirchenmitgliedschaft.
Option 4: Kirchensteuerpflicht nur für Religionsmündige.
Der ausführliche ifw-Kommentar ist hier abrufbar: https://weltanschauungsrecht.de/meldung/staatliches-kirchensteuerrecht-rechtswirklichkeit-anpassen
8 Kommentare
Kommentare
Rene Goeckel am Permanenter Link
Ich bin in der Situation, dass ich zwar evangelisch getauft, aber nicht konfirmiert wurde. Mir ging der Gedanke durch den Kopf, ob ich denn nun ohne "Bestätigung" überhaupt Kirchenmitglied war.
"Mit Ihrer Taufe sind Sie in die weltweite Gemeinschaft der Christen aufgenommen worden und zugleich Mitglied der evangelischen Kirchengemeinde am Wohnort. Die Taufe bedeutet die Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinschaft und zu Gott.
Die Konfirmation stellt in erster Linie eine Segenshandlung dar und dient der Erneuerung und Vergewisserung der Taufzusage. Die Konfirmierten erhalten nach Erreichen der Religionsmündigkeit auch kirchliche Rechte, beispielsweise das aktive und passive Wahlrecht sowie die Möglichkeit, Ämter in der Kirche zu übernehmen und Pate werden zu können".
Die Kirchensteuerpflicht tritt also laut EKD mit der Taufe ein.
Dieter Bauer am Permanenter Link
Zu ..Kirchensteuerpflicht tritt also laut EKD mit der Taufe ein. ....
Wer von Religionsbünden Gerechtigkeit erwartet, dem wird Ungerechtigkeit begegnen. Fantasiebegabten Traumtänzern fallen immer neue Wege der Abzocke ein. Mit der Wahrheit ist das eben so eine Sache, die sich auch mal als bitter erweisen kann.
Unechter Pole am Permanenter Link
Nicht nur laut EKD. Dies geht den Kirchensteuergesetzen der Länder hervor.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Im Grunde verstehen sich die Forderungen alle von selbst, nicht whr?
Aber wir sind hier ja nicht im Grunde, sondern in der Kirchenrepublik Deutschland.
Itna am Permanenter Link
Nein, Hans, wir hier leider nicht im Grunde. Im Grunde ist nämlich die Taufe selber schon grundgesetzwidrig. Frei Wahl wird hier mit Füßen getreten und das bei den Wehrlosesten, den Babys.
Norbert Schönecker am Permanenter Link
Ich habe mich aus Neugierde erkundigt, wie das analog beim World Wide Fund gehandhabt wird.
Auch hier ist es möglich dass Eltern ihre Kinder zu Mitgliedern machen (im Young Panda Club).
Wenn das Kind erwachsen wird, bleibt die Mitgliedschaft bestehen. Der (höhere) Erwachsenen-Mitgliedsbeitrag wird aber weiter vom Konto der Eltern abgebucht.
Es kommt also auch bei nichtkirchlichen Vereinen vor, dass Eltern ihre Kinder anmelden und die diese Kinder später als Erwachsene eine Mitgliedschaft haben, für die sie nie selbst unterschrieben haben.
Diese Mitgliedschaft ist sogar kostenpflichtig. Der Unterschied ist aber, dass (zunächst) die Eltern für diese Mitgliedschaft bezahlen.
Ich habe mich nicht so weit erkundigt, was geschieht, wenn die Eltern aufhören zu bezahlen. Es wäre aber interessant zu wissen, ob sich der WWF dann an die Eltern wendet oder an deren erwachsene Kinder.
Es scheint aber festzustehen, dass entweder die Eltern oder die Kinder die Mitgliedschaft stornieren müssen, wenn niemand mehr zahlen will.
Mir kommt das recht einfach vor.
Und bei der Kirche ist es ebenfalls nicht allzu schwer.
(Ich empfehle aber, bei der Kirche dabei zu sein. Bevorzugt römisch-katholisch. Amen.)
Resnikschek Karin am Permanenter Link
Prima, lassen wir uns unkonventionelle Lösungen einfallen, so lang die BRD-Rechtswirklichkeit uns unsere Rechte nimmt. Aber nicht aufhören, gleichen Rechte für Konfessionsfreie
Kay Krause am Permanenter Link
1.) Laut Gesetz dürfen Verträge nur zwischen mündigen Vertragspartnern geschlossen werden.
Ein unrechtmäßig zustande gekommener Vertrag bedarf auch keiner Kündigung. Er bedarf allenfalls einer KLAGE und BESTRAFUNG des Vertragspartners, der wissend die Unmündigkeit des unwissenden Kleinstkindes zu seinem Vorteil ausgenutzt hat.
Zu klären wäre hier allerdings die Frage, inwieweit Eltern hier stellvertretend eingreifen dürfen, z.B. über den Körper des Kleinkindes verfügen dürfen (Beschneidung) oder durch Zwangstaufe mit der Folge der Kirchensteuer, welche in sich selbst schon ungesetzlich ist (strikte Trennung Staat / Kirche!). Aber diese bequemen Einnahmequellen werden weder Kirche noch Staat sich so einfach nehmen lassen, immerhin behält der Staat für das Einziehen der Kirchensteuer 10% ein!
2.) Nur ca. 50% der (unrechtmäßig zustande gekommenen) "Tauf-Verträge" werden später durch die Firmung bestätigt, so heißt es im Artikel. Nicht berücksichtigt wird dabei, dass aus einem großen Teil dieser verbleibenden 50% ebenfalls keine kirchentreuen Christen werden, da viele Jugendliche sich einmal aus traditionellen Gründen zu dieser Zeremonie entschließen, zum anderen der vielen großzügigen Geschenke wegen. Das ist übrigens bei der Beschneidung genau so!
3.) nachdem wir nun gemeinsam festgestellt haben, dass das imgrunde genommen alles ungesetzlich ist, was Staat und Kirche da so seit Jahrzehnten treiben, ergibt sich doch die Frage: wer ist dafür zuständig hier endlich für Ordnung zu sorgen? Und wer bringt die Politiker vor Gericht, die ihrer Pflicht zur Durchsetzung von Gesetzen nicht nachkommen? Und wer sorgt dafür, dass den Kirchensteuer-Zahlern all die von Staat und Kirche unrechtmäßig eingenommenen Milliardenbeträge erstattet werden?
Naive Fragen, meinen Sie? Ja, möglich. Aber sind Gesetze nicht dafür da, dass sie von ALLEN verstanden und eingehalten werden? Ist diese Frage auch naiv?