Kolumne: Sitte & Anstand

Fußball im TV: Was für ein Mensch filmt weinende Mädchen?

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Erst hat Deutschland kacke gespielt. Dann hat ein deutsches Mädchen auf der Tribüne geweint. Dann hat ein Kameramann das weinende Mädchen für ein tolles Motiv gehalten. Dann hat eine Fernsehregie sich über das tolle Motiv des Kameramanns gefreut. Dann haben die Menschen im Stadion und hat die Welt das weinende Mädchen gesehen. Dann brach der Hass bösartiger britischer Fans auf das kleine weinende Mädchen los. Dann schämte sich ein Mann aus Wales für seine Landsleute und fing an, Geld für das kleine Mädchen zu sammeln, als Entschädigung.

Dann brach der Hass der Bösartigen über dem Mann aus Wales zusammen, der jetzt von Schmähungen und Attacken berichtet.

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Über das weinende Mädchen als Medienereignis ist viel berichtet und spintisiert worden. So viel Hass in der Welt, oh böses Twitter! Eine Frage hat man dabei eher selten ventiliert: Wie um alles in der Welt kann es für normal gehalten werden, dass ein weinendes Kind überhaupt abgefilmt wird? Ist Sportjournalismus eine anstandsfreie Zone? Fußball, so heißt es, biete pure Emotionen. Pure Emotionen aber sind, was sich am besten verkaufen lässt: Alle Fernsehsender haben ordentlich Geld locker gemacht, um Bewegtbilder bewegter Menschen anzukaufen. Daher wollen sie auch abschöpfen, was geht. Der bangende, brüllende, besoffen daherquatschende Fan ist ein Teil der Inszenierung, und er ist dumm genug, für seine Teilnahme noch selbst zu bezahlen. Viele kommen in Kostümen, um vom Kameramann entdeckt zu werden, viele zeigen, wie wenig ernst die Fußballemotionen eigentlich sind: Erst schauen die Leut' betroffen aufs Spielfeld, in Großaufnahme, dann bemerken sie ihr eigenes Bild auf der Leinwand – und jubeln ekstatisch.

Es ist eine Pornographie der Seelen, die hier betrieben wird, nicht eine des Körpers, und die zur Schau gestellten "Emotionen" (also Geschrei und Geheul, als wäre der Mensch zu keiner feineren Regung fähig) sind ungefähr so echt wie die Leidenschaft im Sexfilm – vernichtet aber wird, wer ungewollt und wehrlos hier hinein gerät, sich der Gefahren und medialen Ausbeutungsregeln nicht bewusst ist. Ein kleines Mädchen also. Wer auch immer sie gefilmt hat; wer auch immer entschieden hat, ihr Bild der Welt zum Fraß vorzuwerfen, sollte dringend öffentlich um Entschuldigung bitten, sollte das vom walisischen Fan gesammelte Geld verdoppeln – und sich danach auf einen langen, langen Urlaub begeben, um einfach mal nachzudenken über sich und sein Leben.

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