Hamburger Solidarität mit Flüchtlingen

Gegen den Hass

geschenke.jpg

Geschenke für geflüchtete Kinder
Geschenke

Die Unterstützung für geflüchtete Menschen scheint in Hamburg vorbildlich zu sein – leider jedoch ohne finanzielle Unterstützung des SPD-regierten Senats. Auch die sogenannten wütenden und "besorgten" Reichs- und andere Bürger verbreiten hier wenig oder kaum Angst und Schrecken. Woran liegt das? Was sagen jene, die von Anfang an, d.h. seit August 2015 effektiv und autonom Strukturen aufgebaut haben? Strukturen, die vielen der Ankommenden ermöglichen, sich zurechtzufinden?

Ein Gespräch mit Simone Will, Humanistin, Aktivistin und Mitbegründerin der Initiativen "kids welcome" und "Refugees Welcome Karoviertel" sowie Nour Alissa, Zahntechniker aus Syrien, und Khaled Almaani, der jetzt als Sozialarbeiter tätig ist. Beide sind im Sommer 2015 aus Syrien über die Balkanroute in Deutschland angekommen.

Simone Will und Nour Alissa bei einem UnterstützerInnentreffen von Hanseatic Help, Foto: S. Navissi
Simone Will und Nour Alissa bei einem UnterstützerInnentreffen von Hanseatic Help, Foto: S. Navissi

hpd: Hamburgs BürgerInnen scheinen in der glücklichen Lage zu sein, hohes Unterstützungs- und Willkommenspotential aufbieten zu können- ohne sich nebenbei noch mit gewaltbereiten Rechten auseinandersetzen zu müssen. Was ist in Hamburg anders als z.B. in Dresden?

Simone Will: In Hamburg gab es schon immer Strukturen für die Unterstützung Geflüchteter.

Als im August 2015 1200 Geflüchtete in die Messehallen im Karoviertel einquartiert wurden, war der Zugang zum Ehrenamt plötzlich direkt vor der Haustür möglich, ohne Barrieren. Man konnte einfach hingehen und mit anpacken.

Als kreatives Szeneviertel mitten in St.Pauli hatte das Karoviertel eine starke Zugkraft, unterstützt vom FC St.Pauli und prominenten lokalen Künstlern wie Deichkind, Bosse, Fettes Brot.

Vielen war es wichtig, sich der zunehmenden Hatespeech im Netz mit aktiver Mitarbeit in der Flüchtlingshilfe entgegenzustellen. Und dazu gab es im Karoviertel viel Gelegenheit: einmal in der Kleiderkammer Messehallen, die sich heute als Verein "Hanseatic Help" so weit professionalisiert hat, dass sie Hilfslieferungen in Krisengebiete im Irak oder Haiti liefert.

Zum anderen "Refugees Welcome Karoviertel" mit Deutschkursen, einem Kinderprogramm (heute hamburgweit als "Kids Welcome" am Start), einer eigenen Refugee-Fussballmannschaft, Sportprogrammen und einer Medizin-AG.

All diese Initiativen haben eng zusammengearbeitet, beispielsweise als der Verein Westwind e.V. - Fahrräder für Geflüchtete einen Hilfskonvoi nach Idomeni plante. Hanseatic Help stellte Hilfsgüter und LKW, Refugees Welcome Karoviertel und Kids Welcome finanzierten den Trip und leiteten die PR- und Fundraisingkampagne.

Welche Unterstützung brauchen die UnterstützerInnen? 

Simone Will: Wir brauchen Geld für Stellen und Räume. Die Ehrenamtlichen sind nach anderthalb Jahren ausgebrannt und bleiben zunehmend weg. Um die Arbeit weiterführen zu können, bräuchten wir verlässliche MitarbeiterInnen.

Was haben Sie vor ihrer Flucht in Syrien gemacht, was machen Sie jetzt? Was finden Sie "typisch deutsch" und was gefällt Ihnen an Deutschland?

Nour Alissa: in Syrien habe ich als Zahntechniker gearbeitet, hier in Deutschland arbeite ich in der Kinderbetreuung.

Typisch deutsch ist die ständige Beschwererei. Was ich an den Deutschen mag: wie erfolgreich sie Deutschland nach dem Krieg wieder aufgebaut haben und eine zivilisierte Gesellschaft errichteten.

Was sind die wichtigsten Anliegen für Geflüchtete, mit denen Sie arbeiten?

Khaled Almaani: Das hängt von verschiedenen Faktoren ab: ob der Geflüchtete alleine ,oder mit Familie hier ist, zum Beispiel.

Die Einzelpersonen möchten erst mal aus der Unterkunft raus, sei es in Folgeunterkunft oder Erstaufnahme, egal! Sie möchten auch möglichst schnell ihre Arbeit, die sie in Syrien ausgeübt haben, wieder aufnehmen.

Akademische Geflüchtete möchten, dass ihre Zeugnisse hier anerkannt werden oder dass sie ihr Studium wieder aufnehmen, wenn sie es noch nicht beendet haben.

Familien möchten, dass ihre Kinder eine bessere Zukunft bekommen und wenn möglich, dass die Eltern selbstständig werden und arbeiten können

In Syrien habe ich im Bereich Logistik für ein Chemie Unternehmen gearbeitet. Jetzt arbeite ich als Sozialarbeiter und möchte Sozialpädagogik studieren.

Die beiden jungen Männer arbeiten nun innerhalb der Initiativen, die sie aufgenommen haben. Die Arbeit des Netzwerkes in Hamburg funktioniert möglicherweise auch deshalb so gut, weil es überwiegend Frauen sind, die ihr know how ohne Hierarchiegerangel gleichberechtigt einsetzen – für das Gemeinsame, auch bekannt als die Würde aller Menschen.

Carlin Emcke beschreibt die, die dem Hass etwas entgegensetzen, in ihrem vortrefflichen Buch "Gegen den Hass" wie folgt: "… die Hilfsbereitschaft unzähliger BürgerInnen, junger und älterer Menschen, all jener Familien, die Geflüchtete bei sich aufgenommen haben, jener PolizistInnen und Feuerwehrleute, die in Sonderschichten gearbeitet, jener LehrerInnen und SozialarbeiterInnen, die sich für Willkommensklassen eingeteilt, jeder und jede, die mit Zeit oder Lebensmitteln oder Wohnraum geholfen haben, sie alle setzen sich … über soziale Erwartungen und bürokratische Regeln hinweg. Sie haben die Aufgabe der Versorgung von Geflüchteten nicht einfach an staatliche oder kommunale Stellen delegiert. Sondern sie haben vielmehr das vielfach existierende politische Vakuum durch das dissidente und großzügige Engagement einer enorm heterogenen, sozialen Bewegung gefüllt."

Für genau dieses dissidente und großzügige Engagement steht Simone Will mit den oben genannten Initiativen. Davon zu berichten ist richtungsweisend, ebenso, wie über soziale Ungerechtigkeiten und soziale Errungenschaften zu sprechen und zu schreiben. Die Akzeptanz und die Foren, die Rechten und RassistInnen gegeben werden - aus Lust am Skandal- ist und bleibt unverantwortlich, anachronistisch und gefährlich.