Am Samstag hatte der aus türkischer Haft entlassene Journalist Deniz Yücel seinen ersten öffentlichen Auftritt. Der Inhalt seines neuen Buches, das an diesem Abend vorgestellt werden sollte, geriet zur Nebensache. Es ging vielmehr darum, wie es entstehen konnte, um die Haftbedingungen und wie er das durchhalten konnte. Die Antwort wurde deutlich: Mit Humor.
"Danke, dass ihr alle hier seid. (…) Ich versuch mal, nicht gleich im ersten Moment loszuheulen", beginnt ein sichtlich gerührter Deniz Yücel, nachdem er seinen Anwalt, Veysel Ok, in die Arme geschlossen hatte. Die über 800 Gäste im Festsaal Kreuzberg hatten ersteren mit langem Applaus, Jubel und Standing Ovations bei seinem ersten öffentlichen Auftritt nach seiner Entlassung aus dem türkischen Gefängnis empfangen.
"Nicht einmal der Papst kann Deniz Yücel befreien", habe der türkische Botschafter beim Vatikan vergangenes Jahr in einem Interview gesagt. "Na gut, dann muss ich mir jetzt doch noch was anderes überlegen. Ich hatte mir das schon ausgemalt, wie das Papamobil kommt und mich abholt", erzählt Yücel vergnügt. An dem Tag, als er das in der Zeitung las, sei er zum ersten Mal mit Ok zusammengekommen. "Und ich begrüßte ihn mit: Oh, der Mann, der den Mann befreien will, den nicht mal der Papst befreien kann."
Es ist bemerkenswert, mit welcher Leichtigkeit der Journalist, der erst letzten Monat aus einjähriger türkischer Gefangenschaft entlassen wurde, darüber spricht. Seinen Humor hat er nicht verloren, er ist nicht verbittert. "Mir gehts wirklich gut", antwortet er Doris Akrap, seiner langjährigen Freundin und Herausgeberin seines neuen Buches "Wir sind ja nicht zum Spaß hier", auf die Frage nach seinem Befinden. Autokorsos, Lesungen, Briefe – all das habe ihm sehr viel Kraft gegeben, zu sehen, dass es Menschen gibt, die sich für ihn einsetzten. "Ich habe mich niemals der Situation ergeben, ich habe immer versucht, zu kämpfen, (…) mich zu Wort zu melden."
Eigentlicher Anlass des Abends war die Vorstellung des Buches "Wir sind ja nicht zum Spaß hier", einer Zusammenstellung von Texten, die Yücel während der Haft geschrieben hatte und bereits erschienener Artikel aus den letzten 13 Jahren (oder "alter Plunder", wie er es nennt).
Er liest von seinem ersten Versuch, das Schreibverbot in Polizeigewahrsam zu umgehen. Er probierte es mit einem Buch als Papierersatz, einer abgebrochenen Plastikgabel als Feder und der Sauce einer Essenskonserve als Tinte. Es funktionierte nicht. Daraufhin habe er beim Gefängnisarzt einen Stift mitgehen lassen. Seine neue Schreibgrundlage: "Der kleine Prinz". "Ich erkannte, welch wertvollen Dienst mir Antoine de Saint-Exupéry erwiesen hatte, indem er um seine Zeichnungen, aber auch um den Text herum, so üppigen Weißraum ließ." Über die Schmutzwäsche, die seine Anwälte mitnahmen, gelangte das vollgeschriebene Kinderbuch nach draußen. Diese Erfahrung gemacht zu haben, einen Weg zu finden, habe ihm ebenfalls große Kraft gegeben. "Hauptsache, man ergibt sich nicht."
Das Buch war bereits veröffentlicht worden, als Deniz Yücel noch in Haft war. Per Kurier hatte er seiner Herausgeberin und taz-Redakteurin Doris Akrap einen 511 Seiten dicken Handapparat (handgeschrieben!) zukommen lassen, in dem er Anweisungen gab und Aufgaben verteilte. Er hatte an jedes Detail gedacht ("fehlendes Leerzeichen auf Seite 128, Absatz acht"). Akrap, lachend: "Ich weiß, wie pedantisch du bist. (…) Es war mir klar, das wird Arbeit."
Auch Yücels Frau, Dilek Mayatürk Yücel, die ihn während der Haft in der Türkei geheiratet hatte, kommt zu Wort. "Man versucht, einen Weg zu finden durch dieses Jahr", sagt sie mit zitternder Stimme auf die Frage, wie man das durchhalte. Sie war überstürzt von München nach Istanbul gezogen, um ihren Mann bestmöglich unterstützen zu können. Sie sei am wichtigsten für ihn gewesen in dieser Zeit, sagt Yücel. "Ich werde ihr mein Leben lang Danke sagen und es wird immer noch zu wenig sein."
Das Hochsicherheitsgefängnis Silivri, in dem er die meiste Zeit in Isolationshaft verbracht hatte, sei modern und steril gewesen. "Dieses ganze System dort ist darauf ausgerichtet, jeden Moment an Lebensfreude zu zerstören." Man dürfe Fotos besitzen, aber nur zehn, und sie nicht an die Wand hängen. Auch sei es verboten, Pflanzen zu züchten. Er habe das versucht, indem er sich im Gefängnisladen Petersilie, Dill und Minze gekauft und diese in abgeschnittene Plastikflaschen gestellt habe. "Das war sozusagen mein Raumschmuck." Die Minze sei am hartnäckigsten und habe Wurzeln geschlagen, woraufhin er sie in einen Nährboden aus schwarzem Tee und zerstampften Eierschalen pflanzte. Das war schon zu viel.
Seit Ende letzten Jahres sei er in der türkischen Berichterstattung vom Agenten und Terroristen zum Welt-Korrespondenten aufgestiegen. Die Isolationshaft wurde beendet. "Das berühmte Licht am Ende des Tunnels war zu erkennen." Am 14. Februar, dem Jahrestag von Yücels Festnahme, hatte der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim in der ARD angekündigt, "dass es in kurzer Zeit eine Entwicklung geben wird" – einen Tag später lag die Anklageschrift vor, zwei Tage später kam Deniz Yücel frei. "Wenn die sich so derart selber vorführen wollen, hindere sie nicht daran", habe ein mit ihm inhaftierter Kollege zu ihm gesagt, bezogen auf die türkischen Beteuerungen der unabhängigen Justiz.
Journalisten säßen nicht im Gefängnis, weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort, sondern weil sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen seien und ihren Job gemacht hätten, so Yücel. Aufgabe des Journalismus sei, denjenigen, die Macht haben, auf die Pelle zu rücken. "Das tun sie nicht für sich selbst, weil sie so coole Typen sind, das tun wir im Auftrag der Öffentlichkeit, das tun wir in Ihrem Auftrag."
Der rote Faden des Abends ist ein herzliches Lachen, miteinander und übereinander. Da passt der Buchtitel dann doch nicht: Heute ist man auch zum Spaß hier. Die Überschrift des Abends erscheint treffender: "Auf die Freiheit!". Zum Schluss gibt es noch eine Überraschung. Deniz Yücel bittet alle Helfer, Unterstützer und den Freundeskreis "#FreeDeniz" auf die Bühne, der ihn kürzlich als Ehrenmitglied aufgenommen habe. Und einen gewissen Jan Böhmermann. "Für deinen blöden Witz hab ich ein Jahr im Knast gesessen!" ruft er ihm verschmitzt entgegen. Und an alle: "Es ist schön, nicht alleine zu sein. Dankeschön."