Bei der "Identitären Bewegung" (IB) handelt es sich um eine aus Frankreich stammende Jugendbewegung, die in der Beschwörung der europäischen wie der nationalen Identität und in der Frontstellung gegen Migration, Multikulturalismus und "Umvolkung" ihre grundlegenden Wertvorstellungen sieht. Dafür wirbt sie einerseits mit einschlägigen Bekundungen im Internet in Videoform, andererseits durch überraschende Provokationen in der Öffentlichkeit.
Hierbei ahmen die Aktivisten der "Identitären Bewegung" durch Besetzungen, Musikeinsatz oder Sprühaktionen den Handlungsstil von als "links" geltenden Protestbewegungen nach. Aufgrund der formalen Distanzierung von Nationalsozialismus und Rassismus sind sie zunächst nicht als rechtsextremistisch erkennbar. Der genaue Blick macht indessen deutlich, dass die IB sich mit der "Konservativen Revolution" sehr wohl auf antidemokratisches Gedankengut stützen und darüber hinaus über einschlägige Kontakte sowohl in das als rechtsextremistisch wie rechtspopulistisch geltende politische Spektrum verfügen.
Entwicklung
Die IB in Deutschland geht auf die IB Frankreich zurück. Der damit gemeinte "Bloc identitaire – Le mouvement social européen" entstand 2003, wobei die Gründung von früheren Mitgliedern von "Unité Radicale" vorangetrieben wurde. Diese Organisation war 2002 verboten worden, da eines ihrer Mitglieder einen gescheiterten Anschlag auf den damaligen Staatspräsidenten Jacques Chirac verübt hatte. Beim "Bloc Identitaire" handelt es um eine Jugendgruppe mit einer fremden- bzw. migratenfeindlichen Orientierung: Dabei beschwor man eine europäische, nationalistische und regionalistische Einstellung, die gegen Einwanderung, Multikulturalismus und "Überfremdung" gerichtet sein sollte. Aus einschlägigen Gruppen entstand 2012 die "Génération Identitaire", die direkt danach einerseits durch eine bekundete Kriegserklärung an die Achtundsechziger und den Multikulturalismus in Videoform und andererseits durch die mehrstündige Besetzung eines Moscheedachs in Poitiers durch um die 70 Personen auf sich aufmerksam machte.
Ein Ableger entstand in Deutschland 2012 aus einer Facebook-Gruppe heraus. Zunächst beschränkte man sich weitgehend darauf, durch Internet-Videos für sich zu werben. Dabei ahmten die Aktivisten das französische Vorbild nach oder übernahmen mit deutschen Untertiteln deren Videos. Diese zeigten häufig Aussagen von Jugendlichen, die über das Ausmaß von Identitätsverlust, Migration und "Überfremdung" klagten, wobei die Bekundungen mit dramatisierender Musik unterlegt wurden. Die ansteigenden Aufrufe im Internet sprachen für eine gewisse Wirkung. Ab 2013 erfolgte ein direkteres praktisches Engagement, das über die virtuelle Präsenz hinausging. Es kam zu den ersten Aktionen und Treffen, wodurch die Anhängerzahl wie Resonanz immer stärker anstieg. Genaue Angaben können dazu nicht gemacht werden, da es keine formale Mitgliedschaft gibt. Ganz allgemein gehen die Sicherheitsbehörden von um die tausend Personen aus. Durch Aufkleber und Provokationen machen sie insbesondere in größeren Städten auf sich aufmerksam.
Ideologie
Eine einheitliche und entwickelte politische Theorie kann bei der IB nicht ausgemacht werden. Es gibt gleichwohl eine Fülle von inhaltlichen Gemeinsamkeiten mit der Neuen Rechten, die sich in der Anlehnung an das antidemokratische Gedankengut der "Konservativen Revolution" der Weimarer Republik zeigt. Angesichts ihrer Aktionsorientierung kann aber bei der IB nicht von einer hohen Relevanz der Theoriearbeit gesprochen werden. Allgemein bedient man sich im Diskurs des "Ethnopluralismus" mit einer formalen Negierung von Rassismus ("100 % Identität – 0 % Rassismus"). Dabei betonen die Aktivisten die Gleichwertigkeit aller Kulturen, wollen sie aber um deren Identitätswahrung willen in verschiedene Räume trennen. Dies klingt zwar anders als "Ausländer raus", läuft aber in der Konsequenz auf die gleiche Wirkung hinaus. Außerdem geht die IB davon aus, dass es einen "Großen Austausch" gebe, also eine Art geheimes Projekt, das die einheimische durch eine migrantische Bevölkerung ersetzen wolle.
Organisation
Eine festere Anbindung der Aktivisten in Form einer entwickelten Struktur kann nicht ausgemacht werden. Gleichwohl besteht zwischen dem bekundeten Netzwerk-Charakter und der realen Struktur offenbar ein relevanter Unterschied. Die IB erscheint als eine Gruppe von einzelnen Individuen, die kaum miteinander organisatorisch vernetzt sind. Damit soll der Bewegungscharakter dokumentiert werden, gibt man sich doch bei diversen Handlungen wie eine Protestbewegung. Nicht wenige Aktionen erinnern formal an "Greenpeace"-Praktiken, wobei auch diese sorgfältig geplant sind und nicht nur spontan erfolgen. Eher zufällige Dokumentenfunde machen deutlich, dass die IB intern straffer organisiert ist als sie es öffentlich suggeriert. In den einzelnen Regionalgruppen bestehen festere Funktionen, worüber die unterschiedlichen Aktivitäten koordiniert und umgesetzt werden. Dass dabei den sozialen Netzwerken ein hoher Stellenwert zukommt, schließt die Existenz von Leitungsstrukturen und die Umsetzung von Vorgaben nicht aus.
Strategie
Das öffentliche Agieren der IB ist durch popkulturelle Aspekte und gezielte Provokationen geprägt. Den erstgenannten Aspekt kann man bereits in dem Logo, das aus dem gelben griechischen Buchstaben Lambda auf schwarzem Grund besteht, erkennen. Es ist aus der bekannten Comic-Verfilmung "Dreihundert" entlehnt, worin mit Gewaltfaszination der Kampf der Spartaner gegen die Perser in der Schlacht bei den Termopylen nachgestellt wurde. Die Aktivisten fühlen sich offenbar in einer ähnlichen Situation. Außerdem machen sie durch öffentlichkeitswirksame Auftritte auf sich aufmerksam. Dazu gehörten die zeitweilige Besetzung des Brandenburger Tors in Berlin ebenso wie ein Straßentheater mit der gespielten Enthauptung von IS-Geiseln, aber auch Störungen von "Multikulti"-Festen mit Tanzeinlagen ebenso wie Schmierereien mit einschlägigen Sprüchen an U-Bahnhalte-Stellen. Häufig handelt es sich um kurze und überraschende Auftritte, die öffentliches Interesse auslösen und die IB als politischen Faktor bekannter machen sollen.
Verbindungen
Die Aktivsten der IB distanzieren sich formal von Nationalsozialismus und Rassismus. Gleichwohl fällt auf, dass einige Führungsfiguren aus dem neonazistischen Rechtsextremismus stammen. Sie sehen offenbar in der moderneren Aufmachung und der provozierenden Strategie stärkere Wirkungsmöglichkeiten. Auch wenn man sich fortan auf die "Konservative Revolution" und nicht mehr auf den Nationalsozialismus beruft, bleibt das damit gemeinte Gedankengut eines im rechtsextremistischen Sinne. Die einschlägigen Auffassungen werden indessen in gemäßigterer Form präsentiert, was neue Kontaktmöglichkeiten und Verbindungen möglich macht. So gibt es zwar bei der "Alternative für Deutschland" (AfD) eine formale Distanzierung von der IB, gleichwohl erklären führende Funktionsträger (Alexander Gauland) eine inhaltliche Übereinstimmung mit ihnen. Darüber hinaus bestehen viele persönliche Kontakte in die Partei. Gleiches gilt wie das Beispiel "Compact" zeigt für einschlägige Publikationsorgane im "rechten" Spektrum.
Wirkung
Aussagen über die gesellschaftliche Relevanz können nur schwer formuliert werden. Es handelt sich um eine Jugendbewegung, die nicht im bekannten rechtsextremistischen Sinne auftritt. Gerade die Aktionsorientierung mit provokativer Dimension macht die IB ebenso attraktiv wie die Anlehnung an popkulturelle Prägungen. Indessen ist es seit den ersten breiter beachteten Auftritten seit 2013 nicht gelungen, bedeutsamere Aufmerksamkeit für sich auszulösen oder größere Personengruppen für sich zu mobilisieren. Angesichts einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung, die mit den Erfolgen der AfD und der Pegida-Bewegung als "Rechtsruck" beschrieben werden kann, entstehen für die IB neue Wirkungsmöglichkeiten. Die Flüchtlingsentwicklung führte zu einer Rahmensituation, die für die Gewinnung neuer Aktivisten und Sympathisanten günstig ist. Gleichwohl hat sie für die IB nicht zu einer bedeutenderen personellen Stärkung geführt. Dies spricht nicht für einen Bedeutungsanstieg in der Zukunft.
Literatur:
Julian Bruns/Kathrin Glösel/Natascha Strobl, Die Identitären. Handbuch zur Jugendbewegung der Neuen Rechten in Europa, Münster 2014; Gudrun Hentges/Gürcan Kögiran/Kristina Nottbohm, Die Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) – Bewegung oder virtuelles Phänomen?, in: Forschungsjournal Soziale Bewegungen, Nr. 3/2014; Armin Pfahl-Traughber, Ideologische Vorbilder der "Identitären" (14. Dezember 2016), in: www.bnr.de.