Die Soziologin Cornelia Koppetsch legt in ihrem Buch "Die Gesellschaft des Zorns. Rechtspopulismus im globalen Zeitalter" eine Deutung des Rechtspopulismus vor, wonach dieser eine "Konterrevolution gegen die Folgen der … Transnationalisierungsprozesse" sei. So sehr die allgemeine Deutung überzeugen mag, wobei dies nicht für alle Details gilt, so kritikwürdig wäre hier die geringere Empirie- und die dafür viel zu hohe Theorielastigkeit.
Einen Aufstieg des Rechtspopulismus in Gestalt von einschlägigen Wahlerfolgen kann man in vielen Ländern ausmachen. Mit der AfD ist Deutschland im internationalen Vergleich sogar ein "Spätzünder". In Belgien, Frankreich oder Österreich kam es schon lange zuvor zu derartigen Entwicklungen. Insofern hat dies hier nur eingeschränkt etwas mit deutschen Besonderheiten zu tun und auch die Flüchtlingsentwicklung seit 2015 kann entgegen beliebter Erklärungsmuster dafür nicht die eigentliche Ursache sein. Da es sich eben um eine internationale Entwicklung handelt muss denn auch etwas allgemeiner und globaler gedacht werden. Genau dies beabsichtigt Cornelia Koppetsch, die in Darmstadt als Professorin für Soziologie arbeitet, in ihrem Buch "Die Gesellschaft des Zorns. Rechtspopulismus im globalen Zeitalter". Die Autorin holt, entsprechend des Untertitels, darin sehr weit aus. Denn sie geht aus von den Folgen "eines bislang noch unbewältigten epochalen Umbruchs … in den Tiefenstrukturen westlicher Gesellschaften" (S. 14).
Worin diese genau bestehen und wie sie sich auswirken, darum soll es gehen. Die zentrale Aussage lautet dabei, "dass der Aufstieg der Rechtsparteien eine aus unterschiedlichen Quellen gespeiste Konterrevolution gegen die Folgen der … Globalisierungs- und Transnationalisierungsprozesse darstellt" (S. 23). Es handele sich um emotionale Reflexe auf längerfristige Veränderungen. Die gemeinten politischen Akteure würden dabei verschiedene Krisenerscheinungen und Problembereiche diskursiv miteinander verschränken. Beabsichtigt seien dann eine "Re-Nationalisierung", eine "Re-Souveränisierung" und eine "Re-Vergemeinschaftung". Entgegen anderslautenden Deutungen, die allzu platt in dem Gemeinten nur die Wiederkehr der Vergangenheit sehen, deutet die Verfasserin hier anders: Rechtspopulismus gilt ihr als gesellschaftliche Protestbewegung gegen die Folgen von Globalisierung und Neoliberalismus. Man reagiere auf einen gesellschaftlichen Riss, der Kosmopoliten und Nationalisten voneinander trenne.
Bezogen auf Deutschland heißt es dann: "Im Aufstieg der AfD verdichten sich … ganz unterschiedliche Konfliktlinien: Die Ablehnung der gesellschaftlichen Dominanz und politischen Kartellierung der liberalen 'Gesinnungseliten', die Ablehnung von Einwanderern, die als 'Eindringlinge' wahrgenommen werden, und die Ablehnung des globalisierungsbedingten sozialen Wandels und der damit einhergehenden Entwertung mittelständisch-kleinbürgerlicher Sinnstiftungsinstanzen und Lebensführungsmuster" (S. 92 f.). Wie eben diese globalen Entwicklungen mit einer persönlichen Rezeption verbunden sind, das wird dann für Koppetsch zu einem allgemeinen Thema. Und dann kursieren die einschlägigen soziologischen Deutungsmuster, wofür Kapitelüberschriften wie "Aufstieg der (Neo-) Gemeinschaften", "Koalition der Deklassierten" oder "Transnationalisierung des Sozialraums" einen Überblick geben. Durch all dies würde den "affektiven Bindungen an die soziale Ordnung bei den Betroffenen der Boden entzogen" (S. 249).
Diese Deutung kann bei oberflächlicher Rezeption schnell missverstanden werden. Auch wenn die Autorin von einer "theoriegeleiteten Empathie" (S. 33) spricht, geht es ihr nicht um eine Entschuldigung, sondern um eine Erklärung. Dies geschieht durchaus auf sehr theorielastige Art und Weise, bemüht sie doch einige aktuelle wie klassische Deutungsmuster aus der Soziologie. Häufig kommt da Pierre Bourdieu vor, was nachvollziehbar ist, gelegentlich kommt Peter Sloterdijk vor, was nicht unbedingt nachvollziehbar ist. Der Ansatz zur Deutung ist auch nicht wirklich neu, wird aber umfassend und überzeugend vorgetragen. Dabei hätte man sich dies alles aber um die Hälfte verkürzt und gleichzeitig in konkreterer Form vorstellen können. Darüber hinaus bestehen in der Argumentation auch die bekannten inhaltlichen Lücken: Warum die Krisenwahrnehmung nicht nach links, sondern nach rechts führt, wird so nicht richtig klar. Gleichwohl handelt es sich um eine beachtenswerte Deutung, mehr Empirie, weniger Theorie wäre aber gut gewesen.
Cornelia Koppetsch, Die Gesellschaft des Zorns. Rechtspopulismus im globalen Zeitalter, Bielefeld 2019 (Transcript-Verlag), 283 S., 19,99 Euro
3 Kommentare
Kommentare
A.S. am Permanenter Link
Ich verstehe den Mensch als "Hordentier", d.h. alle Menschen sind von Natur aus mit einem Set von Instinkten ausgestattet, die das Leben in Horden ermöglichen.
Auf diesen Hordeninstinkten beruhen Nationalismus, Hooliganismus und Religionismus (u.a. der Antisemitismus, in meinen Augen ein Spezialfall des Religionismus).
Religionsgemeinschaften sind nach meinem Verständnis "Horden mit überirdischem Anführer".
Globalisierung und Zuwanderung gefährden die eigene Horde. Das führt zu instinktiven Abwehrreaktionen, die politisch falsch als "Rechtspopulismus" bezeichnet werden.
Politik, die die menschlichen Instinkte miß- und verachtet, muss meiner Meinung nach scheitern. Sie treibt nur die Menschen in die Arme derer, die diese Instinkte für den eigenen Machtgewinn zu nutzen verstehen.
Kai Borrmann am Permanenter Link
Mit Verlaub: da dem Rezensenten aus dem Buch heraus nicht klar wird, weshalb die Krisenwahrnehmung nicht nach links, sondern nach rechts führe, so sei dieses noch einmal in einem Satz zusammengefaßt.
Die Auseinandersetzung dreht sich nicht, wie von Linken angenommen, um ökonomisches, sondern vor allem auch um kulturelles Kapital. Nicht allein darum also, ob ich genug Geld habe, um in die Bildung meiner Kinder investieren zu können, sondern wenigstens ebenso sehr darum, ob sowohl meine Bildung als auch die meiner Kinder in Zukunft durch eine kulturelle Hyperinflation entwertet werden wird. Droht nun durch die Globalisierung eben diese Gefahr, dann greife ich durch den Rückgriff auf "Heimat" zu einem Mittel, um die umlaufende Menge kulturellen Kapitals an etwas zu binden, was der Sache nach nicht beliebig erweitert werden kann.
Eben das ist ja von Bourdieu so genial geschildert worden: Wir stehen hier inmitten einer Auseinandersetzung nicht nur um das, was Zugehörigkeit erlaubt, sondern auch darum, wer überhaupt die Definitionsmacht hat, zu bestimmen, welche Kriterien über Zugehörigkeit entscheiden sollen; welche Form der Kultur als die "legitime" gelten kann. Anders gesagt: nicht wer die Münzen, sondern wer die Münzhoheit hat.
Manfred H. am Permanenter Link
Ähnlich auch in dem lesenswerten Büchlein "Europadämmerung" von Ivan Krastev: "Problematisch an der Migrantenrevolution...ist ihre Fähigkeit, eine Gegenrevolution auszulösen.