Die Lesungen sind vorbei, "Der Bewerb" oder der Betriebsausflug der Literatur, "das Wettlesen" – wie man das auch immer tituliert hat, der Bachmann-Wettbewerb hat Preise vergeben, die nach Höhe des Preisgeldes gestaffelt sind.
Früher hatte es da Einsprüche gegeben, denn, wie der Zufall es will, ist in der vergangenen Woche in der Süddeutschen Zeitung die Kopie eines Briefes von Sten Nadolny abgedruckt worden, den dieser damals, 1980, an Marcel Reich-Ranicki geschrieben hat, weil er nicht einverstanden war, dass einzelne Teilnehmer des damaligen Wettbewerbs leer ausgegangen waren und er als Sieger seinen Preis an alle anderen verteilt hatte. Eine Antwort des damaligen Jury-Vorsitzenden Reich-Ranicki hat er nicht erhalten, aber in diesem Abdruck erkennt man handschriftliche Bemerkungen..
Vier große Preise hat es in diesem Jahr gegeben, voran der namensgebende Ingeborg-Bachmann-Preis, den die Österreicherin Birgit Birnbacher erhalten hat, der Deutschlandfunkpreis ging an Leander Fischer, den Kelag-Preis erhielt Julia Jost, den 3sat-Preis Daniel Heitzler. Auch einen Publikumspreis gab es, den bekam Ronya Othmann für ihren Text "Vierundsiebzig" – das war der einzige Preis, den nicht die Juroren vergaben, sondern das Publikum.
Man kann viel über die Texte sagen, ist aber genauso selektiv, wie die gelesenen Texte der Autorinnen und Autoren, die ja auch nur Ausschnitte aus größeren Projekten waren, also das, was man nicht kennt. Die einzige Gemeinsamkeit aller war, dass der vorgelesene Text unveröffentlicht war – ein Bestandteil aller Texte aus 43 Jahren.
Hin und wieder gab es in der Vergangenheit mal Probleme damit, weil während der Lesung herauskam, dass der Text doch schon einmal vor einem Publikum vorgelesen, also "ausprobiert" wurde – ein Ausschluss wurde damit unumgänglich. Diesmal ist also in dieser Hinsicht nichts passiert.
Was die Auswahl der Autorinnen und Autoren angeht, liegt das an den Juroren. Wie die Texte dann diesen Weg beschritten haben, kann nur die einzelne Jurorin oder der Juror erzählen – die Teilnahme Daniel Heitzlers zum Beispiel ist dabei interessant, weil dieser Autor bisher nicht in Erscheinung getreten ist, er hat nichts veröffentlicht und nahm sich ein Herz und sprach über Bande einen Verleger an, der wiederum den Juryvorsitzenden Hubert Winkels informierte. Das ist aber eher sekundär, weil auch das so unspektakulär sein kann wie der Weg eines Buches zu einem Kritiker. Wobei wir beim Subjektiven wären, der eben auch beim Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt zutage trat – so wie jegliche Buchbesprechung in den Medien.
Beginnen wir mit den Ritualen beim Bachmann-Wettbewerb, die fast immer gleich scheinen – wie in den 43 Jahren zuvor. Einige Änderungen hatte es im Laufe der Jahre natürlich gegeben, so zum Beispiel die Anzahl der Autorinnen und Autoren und so als Folge die Verringerung der Sendezeit bei 3sat, dem Sender, der zum ersten Mal 1989 den gesamten "Bewerb" übertrug – der Autor dieser Zeilen hatte, da er für aspekte mehrere Male Filme dieser Veranstaltungen realisiert hatte, das Glück, ein Konzept zu entwickeln, um diesen Lesewettbewerb fernsehtauglich zu machen – und auch persönlich umzusetzen. Das Ritual ist seither gleich geblieben: der wichtigste Ansatz war und ist, die oder den Schriftsteller, der das Glück hatte, eingeladen zu werden, in einem Kurzfilm einem breiterem Publikum vorzustellen.
Das ist in den letzten Jahren immer artifizieller geworden – so dass der dann vor der jeweiligen Lesung eingespielte Film schon ein Kunstwerk an sich wurde, natürlich auch immer abhängig vom Schriftsteller, inwieweit er/sie "mitspielte". Das war manchmal schwierig in der Vergangenheit und wird auch heute noch so sein, weil manche Schriftsteller/innen das Medium Fernsehen ablehnen – ist verständlich und kann man auch nachvollziehen.
Mir ist beim Anschauen aus der Ferne in diesem und im vorigen Jahr allerdings aufgefallen, dass die Autoren sich der Öffentlichkeit bewusst sind, somit ist das letzte Argument, beim Transportieren fernsehtechnischer Möglichkeiten seine Mitarbeit zu verweigern, etwas ins Wanken geraten, weil den Vorlesenden offenbar immer klarer geworden ist, sich "fernsehtauglich" zu präsentieren. Den Jurorinnen und Juroren geht das ja nicht anders, wissen sie doch um die Möglichkeit, sich nachhaltig ins Gedächtnis der Hörenden/Sehenden zu verankern.
Um die Formulierungskünste von Juroren muss man sich aber nicht unbedingt kümmern, um das "Vorlesen" von Schriftstellerinnen und Schriftstellern umso mehr.
Mir kam das manchmal so vor, als hätten die Lesenden alle einen Coach, der bewusst das Hauptaugenmerk auf die Vortragstechnik hingearbeitet hatte.
Ich entsinne mich, dass damals, als die Vortragstechnik immer bewusster von den Schriftstellern eingesetzt wurde, also sozusagen mit Händen und Füssen dem Inhalt mehr Gewicht zu geben, Marcel Reich-Ranicki – es muss also vor 1987 gewesen sein – die "choreografischen Untermalungen" einer Autorin noch spöttisch angesprochen hatte. Die Literatur hatte primären Vorrang, nicht die Begleiterscheinungen zum Vortrag. Es war aber auch manchmal sehr schwierig, dem Faden der Texte zu folgen, weil oft ein Text monoton oder gar falsch betont vorgetragen wurde. Schriftsteller sind eben keine Schauspieler. Und Übungen standen dazu noch nicht im Repertoire.
Nicht umsonst erfreuen sich Hörbücher immer häufiger größerer Beliebtheit als Bücher selbst. Dass das nicht ganz authentisch ist, ist jedem klar, der Texte von Schriftstellern allein und dann von einem Schauspieler vorgetragen bekommt. Schauspieler interpretieren anders, intonieren anders als Schriftsteller, die "am eigenen Text" hängen beziehungsweise ihn selbst erdacht haben.
Womit wir wiederum beim Vorlesewettbewerb in Klagenfurt sind. Wie trage ich meinen Text vor, mögen sich viele der vierzehn Autorinnen und Autoren gedacht haben und die Vorlesekunst studiert haben. Zum Beginn dieser Tagungen steht immer ein Vortrag, eine Rede zu einem literarischen Thema an. Dass dieses Mal Clemens J. Seitz die Eröffnungsrede hielt, ist bedeutsam, da er in seinem Vortrag "Kayfabe und Literatur" die Verbindung der Showeinlage beim Wrestling und dann die Ebene zu der Literatur herstellte.
"Man" trägt bewusst vor. Man ist sich der Wirkung sicher, wenn "man" das mal ausprobiert hat – und sich dadurch falsche Betonungen erspart. Und auch die Wirkung einkalkulieren kann.
Ich habe es ja eingangs erwähnt, dass das selektive Vortragen einzelner Romanprojekte immer auch einen falschen Eindruck erwecken kann. In Klagenfurt wird, wenn möglich in dem schon genannten Vorfilm versucht, auf das gesamte Vorhaben hinzuweisen, kann aber auch nicht immer hilfreich sein, wenn einzelne Textstellen nur im Gesamten erklärlich werden, somit also Ausnahmecharakter in sich sind.
Manchmal hilft es auch, wenn die Jurorinnen und Juroren, die sicherlich mit den Autorinnen und Autoren selbst die vorzulesenden Textstellen dem Publikum in Klagenfurt erklären. Das ist natürlich schon oft vorgekommen, wird aber dem Text Einzelner nicht gerecht, denn wozu sollte man den gesamten Text erst kennen, um ihn beurteilen zu können, wenn gerade Ausschnitte bewusst aus einem bestimmten Grund vorgetragen werden?
Zwei Bemerkungen noch zu den Autoren: Klagenfurt stand ja immer für den ausgewogenen Anteil von bekannten und wenig bekannten Autoren. Daniel Heitzler habe ich schon erwähnt, der durch einen glücklichen Zufall zum Bachmann-Preis eingeladen war und Tom Kummer, der Schweizer "Journalist", der vor einiger Zeit wegen fiktiver Interviews einen Medienskandal auslöste. Aus neuerer Zeit ist der Fall des "Journalisten" Relotius einigen sicher noch in Erinnerung.