Schriftstellerin Karen Duve mit dem Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor geehrt

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Karen Duve liest aus ihrem Roman "Macht"
Karen Duve liest aus ihrem Roman "Macht"

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Im Rathaus von Kassel: Oberbürgermeister Bertram Hilgen, Stiftungsratsvorsitzender Prof. Dr. Dr. h.c. Walter Pape mit Karen Duve
Im  Rathaus von Kassel: Oberbürgermeister Bertram Hilgen, Stiftungsratsvorsitzender Prof. Dr. Dr. h.c. Walter Pape mit Karen Duve

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Prof. Dr. Rainer Moritz während der Laudatio: "Warum sind Karen Duves Bücher komisch?"
Prof. Dr. Rainer Moritz während der Laudatio: "Warum sind Karen Duves Bücher komisch?"

Die Werke von Karen Duve "sind auf hohem künstlerischen Niveau von Komik und Groteske geprägt" und das ist die Voraussetzung, den Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor entgegenzunehmen. 1985 wurde der Preis von der Brückner-Kühner-Stiftung in Verbindung mit der Stadt Kassel gegründet. Er wird jährlich vergeben und ist aktuell mit 10.000 Euro dotiert. Die Preisvergabe für das Jahr 2017 wurde im Rathaus der Stadt Kassel gefeiert.

Die Laudation hielt Prof. Dr. Rainer Moritz, er leitet das Hamburger Literaturhaus.

Über das Werk von Karen Duve sagt er: "Grotesker Humor - das ist ein apartes Duo. Wird von grotesken Ereignissen gesprochen, so handelt es sich um Absonderlich-Wunderliches, um Absurdes oder scheinbar Sinnloses, und literarische Darstellungen, die "grotesk" genannt werden, erobern gern die Randbezirke der vermeintlich gesicherten Realität und zeigen eine Neigung zum scharf Gezeichneten und Schrillen."

Ein Auszug aus der Laudatio:

Die Schriftstellerin Karen Duve als humorvoll zu beschreiben wäre zu kurz gegriffen. Ihre Arbeiten werden mit "komisch" beschrieben.

Duve ohne "komisch", das scheint unmöglich, und auch zu ihrem letzten Roman "Macht", wird gesagt, "Macht" sei –"wahnwitzig, böse, komisch, prophetisch, aktuell", fasst der Laudator zusammen und schließt die Frage an: "Warum sind Karen Duves Bücher komisch?"

Rainer Moritz führt fort:

Eine wichtige Voraussetzung liegt daran, dass dieser Autorin die Verbreitung von jeder Langeweile fremd ist. Denn einer ihrer großen Vorzüge besteht darin, dass man ihren Büchern vieles, aber gewiss keine Eindimensionalität oder Motivarmut nachsagen kann. Karen Duve ist eine der abwechslungsreichsten und vielseitigsten Schriftstellerinnen, die die deutsche Gegenwartsliteratur aufzuweisen hat; sie ließ und lässt sich nicht festlegen, weder auf ein Grundthema noch auf ein Genre oder eine Stilform. Wenn ein neues Buch von Karen Duve angekündigt wird, muss, nein, darf man mit Überraschungen rechnen. Gewiss, seitdem Karen Duve 1995 erstmals Prosa veröffentlichte, den Band "Im tiefen Schnee ein stilles Heim", blieb Kritikern und Lesern nicht verborgen, dass es in ihren Büchern Konstanten gibt, dass es in diesen Büchern drunter und drüber geht und die Figuren vielerlei auszuhalten haben. Einsamkeit, Liebesleid, Essstörungen, Schreibblockaden, ekliger Sex, Tiere, töricht-böse Männer, sich selbst im Weg stehende Frauen – an allen Ecken und Enden begegnet man in den Duve’schen Szenarien merkwürdigen Gestalten und sieht sich unschönen Erfahrungen ausgesetzt, an allen Ecken und Enden erleben wir menschliche Kreaturen, die mit der vorgefundenen Realität ihre liebe Müh und Not haben und nicht selten froh sind – wie es einmal heißt – "Glas" zwischen sich und den "Dingen" zu wissen.

Glas zwischen sich und den Dingen zu spüren – das scheint mir auch eine wichtige Voraussetzung für das Komische zu sein, für das Humorvolle und das grotesk Humorvolle in den Werken Karen Duves. Komik entsteht oft aus dem verblüffenden Kontrast von Erwartetem und Unerwartetem. Realitätsgesättigte Leser werden plötzlich mit Szenen und Konstellationen konfrontiert, die sie in ihrem täglichen Leben selten vorfinden. Karen Duve lässt ihre Figuren aberwitzige, groteske Dinge erleben, verwickelt sie in unerhörte Geschehnisse und zeigt die Hilflosigkeit ihrer Protagonisten gerade durch solche Konfrontationen.

Lassen Sie mich das Komische bei Karen Duve an ein paar Beispielen, kleinen und größeren, verdeutlichen, an Beispielen, die fast immer mit dem markanten, unverwechselbaren Stil dieser Autorin zu tun haben. "Patzig" hat ein Kritiker den Tonfall von Karen Duves Prosa genannt, und wenn man darunter versteht, dass sie die Gabe hat, unverstellte, zündende, dem Alltag abgelauschte Dialoge zu schreiben, in denen nichts beschönigt wird, Beschreibungen zu liefern, die desaströses psychisches Durcheinander in drastische Bilder verpacken, dann ist damit viel Richtiges über diese Bücher gesagt. Da gibt es zum Beispiel in der frühen Erzählung "Im tiefen Schnee ein stilles Heim" eine unschöne Szene, als eine Frau Oktober, die ihre Einsamkeit dadurch verscheuchen will, dass sie ein junges Mädchen bei sich aufnimmt, nicht davon ablässt, die Fersen des Mädchens mit zinkhaltiger Babycreme bearbeitet. Die gegen ihren Willen Eingecremte finden daran keinen Gefallen, entzieht ihre Füße, worauf die beleidigte Frau Oktober das Mittagessen serviert: "In der grünlichen Wohnzimmerbeleuchtung sahen die Klöße und Kartoffeln wie Unterwassergewächse aus." Ein Bild, das man nicht so schnell wieder vergisst ... Klöße wie Unterwassergewächse ... ein Bild, das die Atmosphäre in Frau Oktobers Haus aufs Trefflichste resümiert.

Komik und Ekel gehören bei Karen Duve eng zusammen. Wie zum Beispiel im Roman "Dies ist kein Liebeslied", der ausführlich schildert, wie die Ich-Erzählerin ihre Jugendtage damit zubringt, Tierdoktorspiele mit ihrem Freund Axel zu spielen. Man sucht, nachdem ein Rasenmäher sein Werk verrichtet hat, das bearbeitete Terrain nach verletzten Fröschen ab und gibt sich aufopferungsvoll: "Wir behandelten grundsätzlich alle Opfer, selbst die hoffnungslosen Fälle: geköpfte Frösche und Frösche, die in der Mitte durchgetrennt waren. (...) Ich nahm zuerst die Bauchverletzungen. Sie bewegten sich nicht mehr und waren deswegen am einfachsten zu behandeln. Ich stopfte die Eingeweide zurück in die Bauchhöhle." Die Nachwuchsmediziner geben sich alle Mühe, kleben die Wunden mit Tesafilm zu, was natürlich keine dauerhafte Linderung beschert. Die arm- und beinamputierten Frösche machen sich davon und humpeln mit ihren verbliebenen Beinen unter den Rhododendron. Es kommt zu einem letzten Akt der angewandten Tierliebe: "Wir verfolgten sie nicht weiter, legten ihnen bloß ihre abgehackten Beine, Hände und Füße unter den Busch, falls die Frösche sie sich später holen wollten."

Nicht immer sind es solche detailfreudigen Beschreibungen, die groteske Komik erzeugen. Manchmal gelingt es Karen Duve mit einem einzigen Satz, die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit auf den Punkt zu bringen. Komische Effekte entstehen gerade in solchen Momenten, die man leicht überliest und nicht leicht überlesen sollte. In "Dies ist kein Liebeslied" wechselt die Erzählerin aufs Gymnasium, und sie entscheidet sich für eine Schule, das Heddenbarg-Gymnasium, deshalb, weil sie möglichst wenige alte Klassenkameraden wiedertreffen möchte. Mit ihrer Mutter wechselt sie dabei einen denkbar kurzen, wie ich finde, aber recht komischen, duvetypischen Dialog: "Ich wurde der 5.4 zugeteilt. Die Heddenbarg-Klassen waren nicht alphabetisiert, sondern durchnummeriert. ‚Das soll wohl was sein‘, sagte meine Mutter." Mehr hat die Mutter nicht zu sagen. Ihr lebenserfahrenes "Das soll wohl was sein" entlarvt in fünf Wörtern, was das Wichtigtuerische dieses Gymnasiums ausmacht. Konservatives Beharren und progressive Neuerung prallen aufeinander, ohne dass die Mutter dabei die schlechteren Karten zugewiesen bekäme. "Das soll wohl was sein" – diesen Ausdruck, meine Damen und Herren, ließe sich auch auf viele Erscheinungen des Literaturbetriebs anwenden, doch das ist eine andere Geschichte ..."

Der Stiftungsrat zur Preisvergabe

Der Stiftungsrat zeichnet Karen Duve als Preisträgerin 2017 aus und begründet deren "Schreibkunst das Komische vielseitig, interessant und auch riskant gestaltet, deren grotesker Humor zu Schwärze und Sarkasmus tendiert". So zeigt auch ihr Roman "Macht”, 2016 erschienen, "die Grenzen des Komischen". Die Schriftstellerin "verhandelt gesellschaftlich hochbrisante Themen und entfaltet dabei ein spannungsreiches Kräftespiel, verbindet sich mit Poesie, Realismus mit Fantastik, Pathos mit Trash, Heiterkeit mit Melancholie, Zorn mit Empathie, all das durchzogen vom Grundton des Tragikomischen. Damit vermag sie ihr Publikum auf faszinierende Weise zu unterhalten und zu irritieren.


Die Brückner-Kühner-Stiftung

Christine Brückner und Otto Heinrich Kühner, auch Dichterpaar genannt.
Gemeinsam ist ihnen das Geburtsjahr 1921 und das Todesjahr 1996
(Otto Heinrich Kühner 18.10.1996/Christine Brückner 21. 12. 1996).
1984 gründeten sie gemeinsam in die Stiftung und engagierten sich auf dem Gebiet der zeitgenössischen Literatur und Sprachkultur.

Vita Christiane Brückner (Auszug)

Geboren als Tochter eines Pfarrers.
Sie war kriegsdienstverpflichtet und machte zwischendurch ihr Abitur.
Nach einer Ausbildung zur Diplom-Bibliothekarin studierte sie Kunstgeschichte, Literaturwissenschaft und Psychologie.
1954 erster Roman "Ehe die Spuren verwehen”,
1975 – 1985 "Poenichen-Trilogie” und den Theatermonologen "Wenn du geredet hättest Desdemona - Ungehaltene Reden ungehaltener Frauen”
1980-1984 Vizepräsidentin des deutschen P.E.N.

Vita Otto Heinrich Kühner (Auszug)

Geboren als Sohn eines Pfarrers, späteren Theologieprofessors.
1939 bis 1945 Soldat, russische Gefangenschaft,
1947 Studium Philosophie, Literatur- und Musikwissenschaft in 1950 - 1965 Hörspiellektor und –dramaturg

Er verfasste zahlreiche Hörspiele

1950 Die Übungspatrone (gehörte zu den meistgesendeten Hörspielen der Nachkriegszeit),

breites, vielseitiges Œuvre gehören Romane z. B.
1953 Nikolskoje
1975 Lebenslauf eines Attentäters,

Erzählungen und Lyrik in der er an die Tradition humoristischer Erzähl- und Verskunst anschloss, seine "komische Kunstfigur Pummerer" blieb jahrzehntelang in der Süddeutschen Zeitung, der ZEIT, der Frankfurter Rundschau und anderen Journalen eine ‚Randspaltenlyrik‘.