Kommentar

Justizministerium Österreich präsentiert ersten weiblich formulierten Gesetzentwurf

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Was 2020 in Deutschland von der CSU unter Horst Seehofer eiskalt abgewürgt wurde, könnte in Österreich zur neuen Realität auf Bundesebene werden. Die grüne Justizministerin legte einen Gesetzentwurf mit Personenbezeichnungen in rein weiblicher Form vor. Die Meinungen in Österreich darüber sind gespalten. Und ist es damit getan oder sollten Gesetze zukünftig "*"-Bezeichnungen enthalten, um auch nicht-binäre Geschlechter einzubeziehen?

Treue Leser*innen des hpd haben vielleicht bemerkt, dass nicht alle Artikel, die der hpd veröffentlicht, gegendert sind. Der Grund dafür ist, dass der hpd den Autoren die Entscheidung frei überlässt, ob und in welcher Form sie gendern wollen.

Den Weg des hpd geht auch der österreichische Gesetzgeber, denn detaillierte Gender-Vorgaben mit Gesetzesrang gibt es in Österreich nicht. Wohl aber enthält ein "Handbuch für Rechtsetzungstechnik Teil 1" Richtlinien für die förmliche Gestaltung von Rechtstexten. Darin heißt es, dass unsachliche Differenzierungen zwischen Frauen und Männern vermieden werden müssen und Formulierungen so gewählt werden sollen, dass sie Frauen und Männer gleichermaßen betreffen. Organ- und Funktionsbezeichnungen haben geschlechtsneutral zu sein und in den Fällen, wo dies nicht möglich ist, sollen die weibliche und die männliche Form angeführt werden.

Die legistischen Richtlinien erscheinen ausgewogen, wenn wir vorerst nicht-binäre Personen außer Acht lassen. Das Ziel einer sinnvollen und gendergerechten Formulierung muss es sein, dass sämtliche Geschlechter sprachlich sichtbar werden. Eine gendergerechte Formulierung spricht alle Personen gleichermaßen an und kein Geschlecht bleibt unsichtbar.

Selbst auf die Gefahr hin, Empörung bei einem Teil der Leserschaft auszulösen: Der Entwurf, den die mutige Justizministerin Dr.in Alma Zadić, LL.M. in einer Steilvorlage dem Ministerrat unterbreitet hat, schießt über diese Ziele hinaus. Das Gesetz, das den sperrigen Titel "Flexibles Kapitalgesellschafts-Gesetz" trägt und Start-Ups in der Frühphase ihrer unternehmerischen Tätigkeit eine international wettbewerbsfähige Alternative ermöglichen soll, lässt männliche Personenbezeichnungen gänzlich weg. Wenn ein Gesetzestext nur noch von Notarinnen, Gesellschafterinnen und Arbeitnehmerinnen spricht, dann verstößt das Gesetz offensichtlich gegen die Richtlinien des Handbuchs für Rechtsetzungstechnik, weil die Organ- und Funktionsbezeichnungen nicht mehr geschlechtsneutral formuliert sind und auch nicht beide Formen angeführt werden. Es verwundert daher nicht, dass selbst die Legisten in den "Erläuternden Bemerkungen" zum Gesetzesentwurf die Verwendung der weiblichen Form nicht konsequent durchhalten und gelegentlich aufs Gendern "vergessen".

Die Reaktionen der anderen Parteien fielen so aus, wie es nach aktueller politischer Lage zu erwarten war (vgl. ORF-Bericht). Wenn auch der Koalitionspartner ÖVP und die Oppositionspartei FPÖ den Gesetzesentwurf der grünen Justizministerin äußerst kritisch kommentieren, zeigt sich wieder einmal, dass Parteien über ein kurzes Gedächtnis verfügen oder ihre Wähler*innen für dumm halten. Denn schon 2011 hatte das Bundesland Kärnten unter einem FPK-Landeshauptmann das "Kärntner Gemeindemitarbeiterinnengesetz" und 2013 das tiefschwarze Bundesland Tirol das "Kinder- und Jugendhilfegesetz" mit jeweils rein weiblichen Formulierungen verfasst. Im Gegensatz zum aktuellen Ministerialentwurf (siehe § 27 FlexKapGG) enthalten diese Landesgesetze jedoch keinen Hinweis darauf, dass die weibliche Form alle Geschlechter gleichermaßen einschließt. ÖVP und Freiheitliche haben also die Männer gänzlich vergessen, während die grüne Justizministerin dies nicht tut.

Die genannten Landesgesetze verdeutlichen, dass den Legisten die Dringlichkeit der Problematik schon lange bekannt ist, jedoch in der Sache wenig vorangeht. Vielleicht führt der neuerliche Anstoß durch die grüne Justizministerin zu mehr als nur einer Sommerlochdebatte und bringt den Stein endgültig ins Rollen. Die bosnisch-stämmige Justizministerin hat sich in der Vergangenheit bereits mehrmals als durchsetzungsfähig erwiesen, und ihr ist auch in dieser Sache Hartnäckigkeit zuzutrauen.

Über die Pros und Contras der Geschlechterinklusion in der deutschen Rechtschreibung wurde viel diskutiert, die Argumente der Befürworter und Gegner sind allgemein bekannt. Faktum bleibt aber weiterhin, dass die Mehrheit oder zumindest ein großer Teil der Menschen der Ansicht ist, dass im Deutschen die männliche Form auch die Frauen inkludiert, während die ausschließliche Verwendung der weiblichen Form die Männer nicht einschließt. Die Linguisten nennen diese Fähigkeit maskuliner Personenbezeichnungen, geschlechtsabstrahierend verwendet zu werden, "generisches Maskulinum".

Ob das Sommerloch-Manöver der österreichischen Justizministerin die richtige Antwort auf inhärente Ungleichbehandlung der deutschen Sprache ist, muss angezweifelt werden. Männliche Personenbezeichnungen absichtlich aus dem Wortlaut von Rechtstexten zu verdrängen, ist jedenfalls kein Leuchtturmprojekt zur Förderung der sprachlichen Gleichbehandlung der Geschlechter. Da aber Frauen nicht mehr länger nur in männlichen Formulierungen "mitgemeint" sein wollen und viele Männer dagegen rebellieren, zu einem bloßen Anhängsel eines sprachlich hypergekünstelten und staatlich verordneten "generischen Femininums" degradiert zu werden, bleibt die Frage, welche Möglichkeiten ein redlich bemühter Legist bei der Gesetzesformulierung hat.

Die Antwort darauf könnte möglicherweise in der Rücksichtnahme auf nicht-binäre Personen liegen, die ebenfalls ihr Recht auf Sichtbarkeit einfordern dürfen. Sowohl deutsche als auch österreichische Gerichte haben längstens entschieden, dass Menschen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen, nicht diskriminiert werden dürfen. Um langfristige Gleichbehandlung aller Geschlechter zu erreichen, sollte daher die Verwendung von Asterisk ("Gender-Stern"), Unterstrich ("Gender-Gap") oder Doppelpunkt in Erwägung gezogen werden. Die ausschließliche Verwendung von zum Beispiel "*" würde keine Person diskriminieren, da keine Geschlechtsform bevorzugt sichtbar wäre, und somit würden alle Geschlechter gleichbehandelt.

Jedoch dürfen auch die Bedürfnisse bestimmter Minderheiten nicht vergessen werden: Blinde und sehbehinderte Personen empfinden den Asterisk in der digitalen Anwendung barrierefreier und gebrauchstauglicher als den Doppelpunkt (vgl. Studie der Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit von Informationstechnik). Viele Erwachsene sind nicht in der Lage, selbst einfache Texte zu lesen oder zu schreiben, was berücksichtigt werden muss. Die Möglichkeit des Deutschlernens für Migranten sollte durch Gendermaßnahmen nicht erschwert werden.

Es ist also keineswegs einfach, eine für alle Personen zumutbare Lösung zu finden. Der Rat für deutsche Rechtschreibung wäre als zwischenstaatliches Gremium, das damit betraut ist, die Einheitlichkeit der Rechtschreibung im deutschsprachigen Raum zu bewahren, die geeignetste Einrichtung, sich mit all diesen Fragen intensiv zu beschäftigen und den Regierungen Vorschläge zu unterbreiten. Nur spricht sich der Rat explizit gegen die Verwendung von Kurzformen zur Kennzeichnung mehrgeschlechtlicher Bezeichnungen aus: "Ihre Nutzung innerhalb von Wörtern beeinträchtigt daher die Verständlichkeit, Vorlesbarkeit und automatische Übersetzbarkeit sowie vielfach auch die Eindeutigkeit und Rechtssicherheit von Begriffen und Texten. Deshalb können diese Zeichen zum jetzigen Zeitpunkt nicht in das Amtliche Regelwerk aufgenommen werden."

Apropos Lesbarkeit und Verständlichkeit: Im österreichischen "Rechtsinformationssystem des Bundes (RIS)" werden alte, aber immer noch gültige Gesetze in der Schreibweise der österreichischen Monarchie wiedergegeben. Sonderliche Bedenken ob der Unverständlichkeit antiquierter Schreibweisen hat Österreich diesbezüglich nicht.

Der Rat für deutsche Rechtschreibung ist also keine Hilfe, aber vielleicht zeigt das RIS auf, wie es mit dem Gendern in Rechtstexten weitergehen könnte. Das RIS ist für Österreicher*innen faktisch die wichtigste Quelle für Normen und Judikate. Aber die neue deutsche Schreibweise, zum Beispiel in der Darstellung des ehrwürdigen ABGB (Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch) aus dem Jahr 1812, wird konsequent von den RIS-Betreibern ignoriert. Seit vielen Jahrzehnten decken sich gesprochenes und geschriebenes Wort nicht mehr. Es ist also nicht gänzlich abwegig, daran zu denken, in der Zukunft generell zwischen Umgangssprache und Normtext zu unterscheiden. Die Menschen könnten weiterhin reden, wie sie es gewohnt sind, aber in amtlichen Werken wird beispielsweise der Gender-Stern verwendet. Daran könnten sich die Menschen im deutschsprachigen Raum gewöhnen. Ob sie schon dazu bereit sind, ist eine andere Frage.

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