Dürfen Menschen leidensfähige Tiere töten, um sich von ihrem Fleisch zu ernähren, obwohl es dafür keine biologische Notwendigkeit gibt? Eine vegetarische Ethik verneint diese Frage. Wer eine "Kritik der vegetarischen Ethik" vortragen will, muss erläutern, warum er entsprechende Tiertötungen für vertretbar hält. Dies verspricht Klaus Alfs, gelernter Landwirt und diplomierter Sozialwissenschaftler, in seinem Buch mit dem genannten Titel.
Klaus Alfs beklagt in seinem Buch bereits einleitend einen angeblichen Druck auf Fleischesser aufgrund eines geänderten Meinungsklimas, welchem durch ihn eine Befürwortung der Tiernutzung entgegengestellt werden solle. Alfs will die Argumente für vegetarische Ethik mit Vernunft widerlegen, wobei er auf die hierbei vorgetragenen Aussagen systematisch eingehen möchte. Dazu gehören für ihn die Doppelmoral menschlichen Verhaltens, die Einwände gegen die Massentierhaltung oder die Kritik an der Ressourcenverschwendung. Dies alles sei nicht rational.
Diese Deutung wird auf knapp über 400 Seiten ausgebreitet. Dabei arbeitet Alfs aber mehr mit Assoziationen und weniger mit Begründungen, mehr mit Detailaspekten und weniger mit Grundsatzkritik, mehr mit Suggestion und weniger mit Vernunftgründen. Zu den berechtigten Detailaspekten gehören folgende Inhalte: Die tierethischen Ansätze arbeiten nicht selten mit normativen Setzungen, die keineswegs die gebotene Überzeugungskraft aufweisen. Es gibt in der veganen Bewegung durchaus Menschen, die mit Dramatisierungen und Übertreibungen arbeiten. Außerdem fehlen entwickelte Konzepte, wonach die Ernährungspraxis kurz- und längerfristig umgestellt werden würde. Und schließlich unterscheiden sich nach der neueren Forschung durchaus Mensch und Tier grundlegender als von vielen Veganern wahrgenommen. Gleichwohl ergibt sich aus diesen angemessenen Aussagen nicht, dass die daraus gezogenen Schlüsse überzeugend sind.
Eine ausführliche Begründung für diese Einschätzung würde den Rahmen einer Rezension sprengen. Daher seien dazu nur ein paar Beispiele genannt. Alfs bemerkt etwa, dass Katzen jährlich weltweit über vier Milliarden Vögel töten würden (vgl. S. 70). Dies mag so stimmen, nur was sagt dies aus: Dürfen Menschen dann auch weltweit vier Milliarden Schweine töten? Es handelt sich bei Katzen um reine Fleischfresser, Menschen haben andere Möglichkeiten. Derartige Assoziationen legen nahe, dass in der Natur bestimmte Tiere andere Tiere töten, was bis dahin eine zutreffende Beobachtung ist, und dass damit auch der Fleischkonsum des Menschen natürlich ist, was eben in dieser Verallgemeinerung nicht zutreffend ist. Im Gegensatz zur Katze hat der Mensch eben die Wahl. Die erwähnte Einsicht stellt für vegane Katzenliebhaber indessen ein legitimatorisches Problem dar. Doch dieses sagt nichts über die ethische Angemessenheit menschlichen Fleischkonsums aus.
Alfs arbeitet auch mit Pauschalisierungen, wobei etwa auf kritikwürdige Protagonisten des Veganismus verwiesen wird. Aus einer Aussage von Helmut F. Kaplan leitet er ab, dass die "Bestrafung" (S. 185) die Motivation vieler ethischer Vegetarier sei. Es handele sich um Apokalyptiker, welche die Apokalypse herbeiführen wollten. So einfach kann es sich ein Autor machen, nutzt er hier doch nur eine beliebte Manipulationstechnik. Er betont, dass es "klar erkennbare geistige Unterschiede zwischen Mensch und Tier" gebe, welche "auch ethische Vegetarier nicht leugnen" (S. 205) könnten. Dem ist durchaus so, doch was sagt dies aus: Ergibt sich daraus, dass leidensfähige Lebewesen ausgebeutet und getötet werden dürfen? Gegen die Einsicht der Forschung meint der Verfasser: "Tiere wissenschaftlich so zu betrachten, als ob sie Maschinen wären, wie Descartes es getan hat, ist mitnichten falsch" (S. 243). Das sehen aber auch fleischessende Hundebesitzer anders.
Durch das ganze Buch hindurch fragt man sich, welche eigentliche Motivation ihm zugrunde liegt. Es geht Alfs um eine anthropozentrische Grundposition. Er sieht den "Menschen als Maß aller Dinge" (S. 363). Begründungsdefizite an einer "anthropozentrischen Ethik" (S. 372) könnten ethische Vegetarier nicht vorbringen. Der Autor ignoriert hierbei aber, dass gerade eine anthropozentrische Ethik einen Vegetarismus begründen kann. Denn die damit einhergehende Auffassung, wonach der Mensch dem Tier überlegen sei, ergibt sich auch aus dem diesbezüglichen Tötungsverzicht. Die indirekt postulierte Aussage, wonach Menschen Schweine töten können, weil Katzen Vögel töten, stellt ja nun gerade den Menschen solchen Tieren gleich. Gerade die individuelle Entscheidung für den Fleischverzicht steht für die ethische Überlegenheit. Alfs verstolpert sich in seiner Argumentation somit am Ende auch mit seiner Grundposition und verkennt den eigenen Widerspruch.
6 Kommentare
Kommentare
Markus Schiele am Permanenter Link
Sehr schöne Rezension! Besonders der Abschnitt am Ende zur Begründung des Fleischverzichts aus einer anthropozentrischen Ethik heraus beleuchtet einen Aspekt, über den ich mich schon seit vielen Jahren wundere:
Da erhebt man sich über andere Lebewesen, um zu rechtfertigen, sie so behandeln zu dürfen, wie diese einander behandeln (oder eigentlich noch viel schlimmer).
Dieselben Personen, die einem naturalistischen Fehlschluss unterliegen und meinen in der Natur ginge es ja auch mit Hauen und Stechen zu, das sei ja "normal" und deshalb "dürfe" der Mensch das eben auch (oder "könne" gar nicht anders), glauben andererseits oft, der Mensch sei etwas "Besonderes" und dürfe aus diesem Grund die "minderwertigeren" Tiere nutzen. Ich habe das immer als Widerspruch empfunden.
Meines Erachtens ist Erkenntnis die Voraussetzung für verantwortliches Handeln. Statt dessen bekommt man Ausreden aufgetischt (pun intended).
Dorothea Wilkesmann am Permanenter Link
@Markus Schiele
struppi am Permanenter Link
Welche Gründe gibt es denn dafür keine Tiere zu Essen?
Dabei ist es aber nicht so, das der Mensch etwas besonderes ist. Er ist einfach ein Teil dieser Welt. Dazu gehört fressen und gefressen werden. Beide Teile haben in unserer Zivilisation perfektioniert, so das wir in Fabriken tolle vegane Superkost herstellen können und selten von anderen Mitbewohnern verspeist werden. Insofern wird zumindest in den Teilen der Welt, die solche Nahrung herstellen können, sicher früher oder später keine Notwendigkeit mehr für die Fleischzucht geben.
Wobei es da aber auch die Variante des Fleisch aus der Petrischale gibt. Wobei die "Ethik" da sicher auch noch ein Grund findet, warum dieses Lebewesen schützenswerter ist, als das Lebewesen Pflanze. Werden wir aber nicht mehr erleben.
Thomas R. am Permanenter Link
"Dazu gehören für ihn die Doppelmoral menschlichen Verhaltens,"
-
Es gibt keine "Doppelmoral", denn Verhalten IST moralisch, oder eben nicht.
-
-
Was soll das heißen? Jeder, der seine Ernährungs-(und allgemeine Konsum-)Praxis umstellt, entwickelt dafür sein eigenes "Konzept".
-
"Und schließlich unterscheiden sich nach der neueren Forschung durchaus Mensch und Tier grundlegender als von vielen Veganern wahrgenommen."
-
Dafür unterscheiden sich "Nutztiere" von menschlichen Säuglingen und Kleinkindern weitaus weniger, als Karnisten wahrhaben wollen (schon gar nicht "grundlegend").
-
"Alfs bemerkt etwa, dass Katzen jährlich weltweit über vier Milliarden Vögel töten würden (vgl. S. 70)."
-
Herr A. kennt also nicht einmal den Unterschied zwischen ethischen SUBjekten und OBjekten...
-
"Er betont, dass es "klar erkennbare geistige Unterschiede zwischen Mensch und Tier" gebe, welche "auch ethische Vegetarier nicht leugnen" (S. 205) könnten."
-
Na und? Die gibt es auch zwischen Menschen in verschiedenen Zuständen.
-
"Durch das ganze Buch hindurch fragt man sich, welche eigentliche Motivation ihm zugrunde liegt."
-
Es handelt sich wohl um den verzweifelten Selbstrechtfertigungsversuch eines Hardcore-Karnisten, der unter gar, gar, gar keinen Umständen auf den Konsum tierlicher Produkte verzichten will, aber trotzdem als ethisch respektable Person gelten möchte. Sein Pech: das funktioniert nicht.
-
"Begründungsdefizite an einer "anthropozentrischen Ethik" (S. 372) könnten ethische Vegetarier nicht vorbringen."
-
Es gibt keine "anthropozentrische Ethik", sondern nur anthropozentrische/spezistische/faschistische Normativität. Herr A. ist also auch nicht fähig, Ethik von Faschismus zu unterscheiden - das ist nicht nur intellektuell armselig, es disqualifiziert ihn auch als "Sozialwissenschaftler".
-
"Der Autor ignoriert hierbei aber, dass gerade eine anthropozentrische Ethik einen Vegetarismus begründen kann."
-
Anthropozentrismus kann JEDEN BELIEBIGEN Umgang des Menschen mit nichtmenschlichen Tieren "begründen", aber Beliebigkeit ist niemals moralisch. Und wer ethische Objekthaftigkeit schon so willkürlich bestimmt, wie Anthropozentriker das tun, findet auch "Gründe", bestimmten (Arten von) Menschen die Berücksichtigung ihrer Interessen nach dem Gleichheitsgrundsatz zu verweigern. So ist all das vermeidbare menschliche Leid auf der Erde weder Zufall, noch Versehen.
Emil am Permanenter Link
Er versucht ja garnicht die im Artikel anfangs genannten Positionen der pro-vegetarischen Argumentation im Kern zu wiederlegen. Er würde es mit seinem Standing auch nicht schaffen.
Neben der Ethik kommt hinzu, dass viele Konsumenten schlicht kein hormonversetztes, antibiotikaversetztes Produkt konsumieren wollen, von den Gammelskandalen ganz zu schweigen!
Ulrich Dittmann am Permanenter Link
Fleisch essen, ist so überflüssig wie ein Kropf.
Nur Beutegreifern, Tieren im Stande der Unschuld, steht Fleisch fressen zu! Denn einem Tiger kann man schwer zumuten seine Ernährung umzustellen und Gras, Salat oder vegetarische Alternativen zu fressen.
Der Mensch als Dornen-Krone der Schöpfung hat aber seinen Kopf nicht nur auf den Schultern, damit es ihm nicht in den Hals regnet – sondern auch um seinen (hoffentlich vorhandenen!) Verstand anzuwenden. Um infolge dann gut/böse, richtig/falsch, ethisch oder unethisch zu handeln.
Peinlich, mit welch leidenschaftlicher Hingabe anthropozentrisch die Wertigkeit und Einzigartigkeit des Menschseins beständig beschworen wird. Es ist ein Armutszeugnis menschlichen Denkens, heute noch Kadaverteile zu essen.
Man muss hierbei nicht einmal Bosheit, oder Dummheit unterstellen - wo sich auch blanke, armselige, unbeherrschte Fleischesgier als traurige Erklärung anbietet.-
Für Qualzufügung und Töten darf es keine Toleranz geben. “Wesentlich ist nicht die Zahl der Beine, die Behaarung, oder Farbe der Haut (…) Ein erwachsenes Pferd, ein Rind, oder ein erwachsener Hund sind weitaus verständiger als ein Kind, das eine Tag eine Woche, oder sogar einen Monat alt ist. Doch selbst wenn das nicht so wäre, was würde das ändern? Die Frage ist nicht, können sie denken oder sprechen, sondern - können sie leiden?" (Jeremy Bentham (1748-1832)