Humanmediziner interessieren sich angesichts der Frage, wie man Organe für Transplantationen länger lebensfähig hält, für ihre Arbeiten. Sogar Weltraumforscher schauen genau hin, was bei der Torpor-Forschung herauskommt. Die vergleichende Tierphysiologin Lisa Warnecke untersucht den Winterschlaf, besser: die Winterstarre und die Hitzestarre. Das führte sie über vier Kontinente, erzählt sie in ihrem Buch "Das Geheimnis der Winterschläfer".
Lisa Warnecke erforscht Lebewesen, dort, wo sie niemand vermuten würde, wie den Igel in der Großstadt Hamburg, und solche, die kaum jemand kennt, wie den Schnabeligel in Australien. Im Sparmodus dieser Starre überleben in der Regel recht urtümliche Tiere nicht nur Kälte sondern auch Hitze: frühe Primaten auf Madagaskar machen es genauso wie Fledermäuse in Kanada. Die Erkundung dieses seltsamen, Energieumsatz sparenden Starrezustands, der kein Schlaf ist, bei Tierpopulationen, die oft fast unbemerkt den Lebensraum mit uns teilen, vermag auch etwas über die Bedürfnisse dieser Tiere ans Tageslicht zu bringen. Was brauchen Igel zum Leben, zum Überleben etwa des Klimawandels, der ihre uralten Lebensrhythmen irritiert. Die Flucht vor der Industrialisierung der Agrarräume in die Städte scheinen sie jedenfalls eher schlecht als recht zu überstehen.
Mit kleinem Sender, der den Stacheltieren verpasst wird, selbst gebastelten Empfangsstationen mit Antenne und Batterie geht die junge Forscherin – heute Mutter zweier Kinder – dem nach. Mit dem Fahrrad klappert sie die verborgenen Winternester der Igel ab, in Parks, ja sogar entlang der viel befahrenen Hamburger Elbchaussee.
Mit ihrem australischen Mann erforscht sie den Winterschlaf der Fledermäuse bei mehr als -30 Grad Außentemperatur in den Erdhöhlen in Kanada. Alles begann mit einer Promotion über das Torpor-Verhalten der bloß optisch spitzmausähnlichen Beutelbilche auf dem fünften Kontinent, wo die meisten Tiere allerdings lediglich tageweise auf diesen physiologischen Sparmodus herunterfahren und so etwa Dürren und Verwüstungen durch Brände im Erdreich geborgen überdauern können. Schon Darwin vermutete einen Winterschlaf in den Tropen. Heute wissen wir mehr.
Nur Säugetiere und einige Vögel können in den Torpor-Zustand mit nahezu der Umwelt angeglichenen Körpertemperatur fallen. Evoziert wird er vom Gehirn. Anders als bei den wechselwarmen Tieren. Die Tiere lösen die Starre selbst aus und bestimmen sein Ende. Er hilft den Tieren Energie zu sparen, wenn es kalt ist, und dann, wenn zu wenig Nahrung da ist. Am längsten dauert er unter den Vögeln bei den Nachtschwalmen, unseren Nachtschwalben verwandt. Auch Kolibris im Norden Amerikas verstehen sich für bis zu zehn Stunden auf diese Überlebensstrategie. Der urtümliche madagassische Igel-Terek fährt seine körperliche Heizung überhaupt nur während der Zeit der Fortpflanzung an. So fing wohl alles an.
Die Igel und die Bilche bei uns – Haselmaus und Siebenschläfer –, auch die Eier legenden Schnabeligel Australiens und die nahezu überall auf der Welt vorkommenden Fledermäuse sind alle klein, eher unauffällig. Auch die Fettschschwanz-Makis mit den großen Eulenaugen auf Madagaskar – sie sind die einzigen Primaten, die in den Winterschlafmodus fallen – sind wenig spektakuläre Zeitgenossen. Ihre Gestalt haben sie, seit die Säugetiere sich gerade erst in den unterschiedlichsten Formen, vor allem aber als Insektenesser, ihre Umwelt zu erobern begannen und es die imposanten Elefanten, Giraffen, Gorillas oder Eisbären noch nicht gab. Ihr Überlebensprinzip lautet überdauern. Dass es sie schon so lange gibt, spricht dafür, dass sie sogar unsere umwälzenden Interventionen in die Umwelt überleben werden. Lisa Warnecke: "So könnte es sein, dass sie die Hürden der Zukunft gerade dadurch nehmen, dass sie abschalten und nichts tun. Jedenfalls fast nichts." Igel & Co sind offenbar die Taoisten unter den Tieren. Winterschläfer sind vielleicht nicht zufällig außerordentlich langlebig.
Lisa Warnecke; "Das Geheimnis der Winterschläfer. Reisen in eine verborgene Welt", C. H. Beck München 2017, 205 S., 19,95 Euro