Etwa ein halbes Jahr ist vergangen, seit das Oberste Gericht des indischen Bundesstaates Karnataka eine Entscheidung der örtlichen Regierung stützte, die das Tragen religiöser Applikationen zur Schuluniform in Bildungseinrichtungen verboten hatte. In Protesten gegen das Urteil hatten muslimische Mädchen und junge Frauen angekündigt, Schulen und Universitäten zu verlassen, sollte das Trageverbot für Hijab und Co. durchgesetzt werden. Etwa 16 Prozent von ihnen haben ihre Ankündigung wahr gemacht.
Am 5. Februar hatte die Regierung Karnatakas verkündet, dass religiöse Zusätze zur Schuluniform, wie zum Beispiel Schals in der Farbe Safran oder auch Hijabs, in Bildungseinrichtungen nicht mehr getragen werden dürften. Bisher waren Hijabs erlaubt, wenn sie farblich zur Schuluniformen passten. Das Verbot sollte nach Angaben der hindu-nationalistischen Bharatiya Janata-Partei, welche Karnataka regiert, Gleichheit und Integrität wahren sowie Störungen der öffentlichen Ordnung verhindern. Nach Protesten muslimischer Frauen, die ihre mittels indischer Verfassung gegebenen Rechte auf freie Religionsausübung als Minderheit gefährdet sahen, überlegte die Regierung, das Verbot zu modifizieren, wartete aber noch die Entscheidung des Obersten Gerichts in Karnataka ab. Das Gericht stützte die Entscheidung der Regierung mit seinem Urteil vom 15. März.
Während zahlreiche Petitionen die nächste Instanz, das Oberste Gericht in Delhi, erreichten, welches eine Anhörung für den 5. September festgelegt hatte, machten Mädchen und Frauen in Karnataka ernst: 16 Prozent der Musliminnen, welche zur Mangalore-Universität gehörende Bildungseinrichtungen besuchten, holten ihre Dokumente ab und verließen Schulen und Universität. Ähnliche Zahlen gibt es auch für andere Schulen, Universitäten und weitere betroffene Bildungseinrichtungen. Während einige Mädchen und Frauen zu privaten Instituten wechselten, bleibt unklar, ob der Rest von ihnen aktuell auf Bildung und Ausbildung verzichtet oder eine andere Form des Unterrichts, zum Beispiel Homeschooling, erhält.
Generell ist der Schulabbruch in Indien ein Problem. Die fünfte nationale Familien-Gesundheitserhebung ("The National Family Health Survey-5"), die die Jahre 2019 bis 2021 auswertete, hat erschreckende Zahlen veröffentlicht: 21.851 Mädchen und 20.084 Jungen haben die Schule vor Ende des Schuljahres 2019/2020 abgebrochen. Dabei zeigen sich unterschiedliche Gründe nach Geschlecht und Herkunft der Kinder und Jugendlichen: Vor allem Schüler*innen aus ländlichen Gegenden verließen die Schulen verfrüht. So kamen 17.786 Schulabbrecherinnen aus ländlichen Gebieten, während nur 4.065 aus städtischem Umfeld stammen. 14.933 Schulabbrecher entstammten dem ruralen Bereich. Ihnen gegenüber standen 5.152 Schulabbrecher aus urbanen Regionen. Bei 13 Prozent der Mädchen wurde zum Schulabbruch angegeben, dass sie bei der Hausarbeit benötigt würden. Das galt nur für zehn Prozent der Jungen. Bei ihnen fiel der Schulabbruch aufgrund des Drucks, Geld außerhalb des Haushalts verdienen oder auf der Farm mithelfen zu müssen, häufiger ins Gewicht als bei Mädchen. Weil diese trotz eines Verbotes minderjährig verheiratet wurden, mussten sieben Prozent der Mädchen die Schule verlassen. Dieses Schicksal betraf mit 0,3 Prozent weniger Jungen als Mädchen. Bei Mädchen spielten auch Sicherheitsbedenken oder der Mangel an Schulen eine Rolle.
Ob die Zahl der Schulabbrecher*innen für das Jahr 2022 insgesamt wesentlich höher sein wird und das Verbot religiöser Applikationen seinen Teil dazu beigetragen hat, werden zukünftige Auswertungen zeigen müssen. Besonders, da einige Schülerinnen und Studentinnen womöglich noch die Entscheidung des Obersten Gerichts in Delhi abwarten, um einen Verbleib an Schule oder Universität abzuwägen.