Das im vergangenen Jahr vom Deutschen Bundestag beschlossene "Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung" (§ 217 StGB) ist "weder geeignet, noch erforderlich noch verhältnismäßig, um die Interessen der Bürgerinnen und Bürger zu schützen", heißt es in einer Stellungnahme, die die Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) vergangene Woche beim Bundesverfassungsgericht eingereicht und am heutigen Dienstag auf ihrer Website veröffentlicht hat. Deshalb seien die "massiven Eingriffe in die Grundrechte, die mit der neuen Strafnorm einhergehen, in keiner Weise zu rechtfertigen".
Ergänzend zur Argumentation der bislang in Karlsruhe eingereichten Verfassungsbeschwerden arbeitet die Stiftung in ihrer Stellungnahme heraus, dass das "Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung" gegen das "Neutralitätsgebot der Verfassung" (Art. 4 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 3 u. Art. 140 GG) verstößt. Denn es sei offenkundig, dass § 217 StGB "die Sittlichkeitsvorstellungen einer weltanschaulichen Minderheit privilegiert und die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger, die diese Vorstellungen nicht teilen, diskriminiert". Damit missachte das Gesetz "das fundamentale Rechtsprinzip der weltanschaulichen Neutralität des Staates", welches die notwendige Voraussetzung dafür sei, dass der Staat eine "Heimstatt aller Staatsbürger" sein kann, wie es das Bundesverfassungsgericht selbst einmal formuliert hat (BVerfGE 19, 206).
Neben den verfassungsrechtlichen Aspekten geht das gbs-Gutachten ausführlich auch auf die "dramatischen Folgen" ein, die § 217 StGB in der medizinischen Praxis hat. Das Fazit der mit zahlreichen Quellenbelegen untermauerten Stellungnahme ist an Deutlichkeit kaum zu überbieten: "Ein Gesetz, das fundamentale Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger zugunsten eines staatlichen Paternalismus aushebelt, das schwerstkranken Menschen ihre Würde raubt, sie katastrophalen Risiken ausliefert und ihnen die letzte Chance auf Selbstbestimmung nimmt, das den Erfordernissen einer rationalen Rechtsbegründung zuwiderläuft und in drastischer Weise gegen das Prinzip der weltanschaulichen Neutralität des Staates verstößt, das Ärzten mit empfindlichen Strafen droht, wenn sie ihren Patienten in deren schwersten Stunden zur Seite stehen, das nicht zuletzt auch gegen das klare Votum einer überwältigenden Bevölkerungsmehrheit gerichtet ist und stattdessen den Partikularinteressen einer kleinen, jedoch einflussreichen Lobbygruppe (Kirchenfunktionäre, Pharmahersteller, Klinikbetreiber, Pflegedienste) folgt, kann und darf in einem modernen, liberalen Rechtsstaat keinen Bestand haben!"
Pressemitteilung der GBS
6 Kommentare
Kommentare
David am Permanenter Link
schwer zu sagen ob sich etwas ändert, wenn es kaum jemand interessiert obwohl es jeden etwas angeht.
Eberhard Kox am Permanenter Link
Die Stellungnahme der gbs entspricht voll meiner Einstellung!
malte am Permanenter Link
"...das nicht zuletzt auch gegen das klare Votum einer überwältigenden Bevölkerungsmehrheit gerichtet ist und stattdessen den Partikularinteressen einer kleinen, jedoch einflussreichen Lobbygruppe (Kirchenfunktio
Sorry, aber das ist Populismus. Angesichts solcher Aussagen darf sich die gbs nicht wundern, wenn sie immer wieder auch Wutbürger und Aluhüte anzieht.
Michael Schmidt... am Permanenter Link
@ malte: Dies ist das Fazit einer sehr ausführlichen, umfassend begründeten Stellungnahme. Wer den Text gelesen hat (und nicht völlig scheuklappenblind ist), kann m.E. kaum zu einer anderen Einschätzung kommen.
malte am Permanenter Link
Das ist Spekulation. Kein Mensch kann wissen, wie die Abstimmung ohne Einfluss von Lobbygruppen ausgefallen wäre. Und dass die Mehrheitsmeinung kein Argument ist, schreibst du an anderer Stelle sogar selbst.
Beifall von der "falschen Seite" lässt sich nie vollkommen vermeiden. Angst davor darf auch nicht dazu führen - in dem Punkt sind wir uns einig - bestimmte Themen zu meiden. Aber man sollte sich schon überlegen, WIE man diese Themen anspricht. Es wäre kein Problem, sich ohne jeden Populismus gegen das Gesetz zu engagieren. Das wäre aber wohl nicht reißerisch genug, und so opfert man die vernünftige Kritik dem billigen Effekt. Ich würde gar nicht so darauf herumreiten, aber es ist eben nicht das erste Mal, dass mir das negativ auffällt. Dieses Auftreten der Stiftung war einer der Gründe, wieso ich meine Fördermitgliedschaft beendet habe.
Markus Schiele am Permanenter Link
Worauf es wirklich ankommt ist nicht, ob es als populistisch wahrgenommen werden könnte, sondern ob es den Tatsachen entspricht.