Der jährliche World Hijab Day am heutigen 1. Februar soll laut seiner Initiatiorin der Solidarität mit Musliminnen dienen. Anlässlich des 2013 von Nazma Khan in den USA ins Leben gerufenen World Hijab Days organisierten der Zentralrat der Ex-Muslime Deutschland, die Migrantinnen für Säkularität und Selbstbestimmung und Frauen für Freiheit die Fachveranstaltung "FrauenStimmen gegen Gewalt sagen Nein zum World Hijab Day" zum Thema Kopftuch.
Das Jugendformat Funk verbreitete bei YouTube den Spot "Mein Kopftuch, meine Wahl", in dem der Hijab als freiwillig getragenes Bekenntnis oder Kleidungsstück dargestellt wurde. Die Professorin für Ethnologie an der Goethe-Universität Frankfurt Susanne Schröter stellt fest, dass Freiwilligkeit nur unter bestimmten Rahmenbedingungen gegeben ist. Erstens müssten die Gesetze Freiwilligkeit garantieren. Länder wie der Iran hingegen schreiben Verschleierung für Frauen gesetzlich vor. Zweitens müsse auch die Umgebung der Mädchen und Frauen frei von sozialem Druck beziehungsweise frei von restriktiven Normen sein. Trifft beides nicht zu, ist die Entscheidung für oder gegen ein Kopftuch nicht vollkommen freiwillig. Bestimmte Akteure nutzen sogar die gesetzlich garantierte Freiheit, um über sozialen Druck in ihren Communities eine Genderordnung durchzusetzen, die den Frauen jede Selbstbestimmung nimmt.
Diesem Problem begegnet Naïla Chikhi an Schulen. Mädchen geben an, sich zu verschleiern, um sexueller Belästigung zu entgehen. Einige Mädchen verinnerlichten die durch die Umgebung induzierte Herabsetzung zu einem sexualisierten Objekt so sehr, dass sie sich selbst als beschmutzt beschreiben, wenn sie "ausgezogen" seien. Doch das Kopftuch stehe nicht für Musliminnen, nicht einmal für den Islam, wie Naïla Chikhi (Referentin für Integration und Frauenrechte, Initiative Migrantinnen für Säkularität und Selbstbestimmung) betont. Tatsächlich trügen in Deutschland über 70 Prozent der muslimischen Frauen kein Kopftuch. Die permanente mediale Darstellung von Musliminnen als Kopftuch tragende Frauen sei diskriminierend, denn so würden Musliminnen uniform dargestellt statt in ihrer gelebten Vielfalt.
Daran anknüpfend bemerkt Dr. Lale Akgün (Psychotherapeutin und Autorin): "Das Kopftuch hat in der Mehrheitsgesellschaft in Deutschland ein Bedeutungsrefraiming bekommen und ist zum Zeichen der Vielfalt geworden. Stoffgewordene Diversity sozusagen." Damit erfahre das Kopftuch aus psychologischer Sicht eine Umdeutung, die verschleierte Muslimin werde zur unantastbaren Heiligen. "Damit ist die Verschleierung in erster Linie kein Herrschaftsinstrument der Männer oder kein religiöses Symbol mehr, sondern ein Zeichen der Vielfalt und des intersektionalen Feminismus. Ja mehr noch: die Verschleierung bereichert nicht nur die Trägerin, sondern die gesamte Gesellschaft. Oder wenigstens die, die daran glauben wollen." Denn damit werde die Realität derjenigen Frauen, die nicht nur in mehrheitlich islamischen Ländern zum Tragen des Kopftuches gezwungen werden, vollständig ausgeblendet.
Diese Realität wiederum hat die Vorsitzende des Zentralrats der Ex-Muslime und Menschenrechtsaktivistin Mina Ahadi am eigenen Leib erlebt. Sie wurde zunächst als Kind durch ihre Familie gezwungen, den Tschador zu tragen. Als junge Frau musste sie dann die Machtergreifung der Islamisten im Iran erleben, die als erste Maßnahme eine Verschleierungspflicht für Frauen einführten, die bei Nichtbeachtung sogar mit Steinigung geahndet wurde. "Ich dachte, wenn der Westen erfährt, dass Frauen gesteinigt werden, wenn sie sich weigern, das Kopftuch anzuziehen, bleibt die Welt stehen." Doch bis heute werde das Gewaltpotential des Kopftuchs, das eben nicht einfach "ein Stück Stoff" sei, ignoriert.
Entgegen der vorgeblichen Intention des World Hijab Days wird Rassismus gegenüber Mädchen und Frauen durch das gesellschaftliche Reframing des Kopftuchs verstärkt. Wer das Kopftuch als Zeichen von Vielfalt promotet, verharmlost Menschenrechtsverletzungen an Mädchen und Frauen und diskriminiert Musliminnen.
Die Moderatorin Rebecca Schönenbach (Vorsitzende von Frauen für Freiheit) schließt aus den Ausführungen der Fachreferentinnen, dass als Gradmesser für Freiwilligkeit, für "meine Wahl" nicht die Möglichkeit des Anlegens des Kopftuches in Europa dienen sollte, sondern die Möglichkeit, das Kopftuch gefahrlos abzulegen.
Auch in Deutschland bezahlen Frauen wie Hatun Sürücü, deren Todestag sich kurz nach dem 1. Februar jährt, die Weigerung, sich den Normen des Kopftuchs zu beugen, mit dem Leben. Solange Frauen wie Hatun Sürücü weiter in Lebensgefahr sind, signalisiert das Zelebrieren des World Hijab Days durch Politikerinnen und andere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens den betroffenen Mädchen und Frauen, dass ihre Rechte in Deutschland nicht gelten. Diese Form des Rassismus und der Frauenfeindlichkeit gegenüber Musliminnen muss aufhören.
Die Veranstaltung kann hier abgerufen werden.