Elon Musk versus Mark Zuckerberg, das Cage-Match des Jahrhunderts – ganz ehrlich, wer hat sich allen humanistischen Überzeugungen zum Trotz nicht darauf gefreut? Zu schade, dass Elons Mutter das Match abgesagt hat, doch das hat auch sein Gutes. So lenkt der Faustkampf, den die Welt sich wünscht, wenigstens nicht von dem ab, den sie braucht und bekommt: Die Federal Trade Commission gegen den Plattformkapitalismus.
Darf ich vorstellen, Lina Khan. Geboren 1989 in London als Kind britischer Eltern mit pakistanischen Wurzeln veröffentlichte sie 2017 an der Universität Yale ein Papier zur Frage, wie sich Monopolisierung im Plattformkapitalismus gestaltet. Die Arbeit, die Amazon als Fallstudie herausgreift, sollte einschlagen wie ein Torpedo: Vier Jahre später wurde sie von Präsident Biden zur Chefin der obersten Marktaufsichtsbehörde der Vereinigten Staaten (Federal Trade Commission, FTC) berufen. Nun liegen mit FTC vs. Google und FTC vs. Amazon die größten wettbewerbsrechtlichen Fälle seit FTC vs. Microsoft anno 1998 vor den Gerichten.
Federal Trade Commission, public domain
Doch eins nach dem anderen – was hat der Neoliberalismus damit zu tun? Ist das nicht nur ein Kampfbegriff der radikalen Linken, schnöde Agitation ohne Substanz? Keinesfalls. Der Ökonom Joseph Stieglitz, seines Zeichens Träger des Alfred-Nobel-Gedächtnispreises für Wirtschaftswissenschaften, hält ihn gar für eine Gefahr für die Demokratie. Um diese Warnung in den richtigen Kontext zu setzen, müssen wir das Wort erst einmal definieren.
Freiheit zum Monopol
"Die Anstalt" beschrieb den Neoliberalismus vor einigen Jahren mit diesem Mantra: Privatisierung, Steuersenkung, Sozialstaatsabbau. Für eine Satire trifft das die Sache schon ziemlich gut. Kernidee ist, dass der Staat so wenig soziale, administrative und infrastrukturelle Aufgaben übernehmen sollte wie irgend möglich. Weil der Staat nämlich nicht sein eigenes, sondern fremder Leute Geld ausgibt, hat er keine Anreize, die vorhandenen Ressourcen so effizient wie möglich einzusetzen. Der Staat sollte diese Bereiche vielmehr dem Markt überlassen und sich darauf beschränken, das Funktionieren desselbigen zu gewährleisten – Privatisierung und Sozialstaatsabbau. Für den Ökonomen Milton Friedman bedeutete das primär, Eintrittshindernisse in den Markt ("barriers to entry") abzubauen, damit existierende Unternehmen keine politischen Privilegien genießen – Deregulierung und Steuersenkung.
Es gibt einen weiteren Aspekt, der den Neoliberalismus definiert und ihn erst zu einer eigenständigen ökonomischen Doktrin macht: die Akzeptanz privater Monopole. Diese wurden klassischerweise als marktschädigend betrachtet, weil ein einmal etabliertes Monopol die Preise ohne jedes Risiko ad infinitum nach oben schrauben kann – wo sollte auch sonst eingekauft werden?
Friedman allerdings argumentierte, dass es zwei Arten von Monopol gebe. Künstliche Monopole sind, was man sich für gewöhnlich unter einem Monpol vorstellt: Firmen, die durch Kartellbildung, staatliche Subventionen und womöglich das ein oder andere Bestechungsgeld zum alleinigen Herrscher über ein Marktsegment avancieren. Technische Monopole wiederum lägen dort vor, wo das Monopol die effektivste Methode der Ressourcenallokation darstellt.
Das Konzept der Konsumwohlfahrt
Während der Staat künstliche Monopole zerschlagen sollte, sollte er die technischen Monopole in Frieden lassen, war Friedmans Meinung: "Wenn sich ein Monopol aufgrund technischer Gegebenheiten und auf natürliche Weise aus dem Wettstreit konkurrierender Kräfte auf dem Markt entwickelt, gibt es drei Möglichkeiten: Privatmonopol, Staatsmonopol oder die Form einer öffentlichen Kontrolle. Alle drei Lösungen sind schlecht, und wir müssen das geringste Übel wählen. (…) Ich komme wider Willen zu dem Schluss, dass ein maßvolles Privatmonopol wohl das kleinste Übel ist."1
Friedman zog diesen Schluss, weil er, basierend auf der Arbeit von Walter Eucken in Deutschland und Henry Simmons in den Vereinigten Staaten, die Konzepte Staatsmonopol und öffentliche Kontrolle von Monopolen als gescheitert ansah. 1978 legte der Jurist Robert Bork schließlich das wegweisende Buch "The Antitrust Paradox" vor, das die Idee der "Consumer Welfare", der "Konsumwohlfahrt", aus der Taufe hob. Wenn das Monopol die effektivste Allokationsmethode ist, sind letztendlich auch die Preise für Endverbraucher*innen am niedrigsten, so die Räson.
An dieser Stelle ist es nützlich, sich einige Bespiele für technische Monopole zu vergegenwärtigen. Bahnschienen sind ein solches. Es ist überaus ineffizient, würden verschiedene Unternehmen auf den Hauptverkehrsrouten oder in Städten nebeneinander Schienen bauen, damit ihre Züge miteinander konkurrieren können. Abwasserkanäle sind ein anderes. Es gibt keinerlei Sinn, jedes Mal sämtliche Straßen aufzureißen, wenn eine neue Firma ins Abwassergeschäft einsteigt.
Wir reden also hauptsächlich von Infrastruktur. Nun haben wir allerdings ein Problem, und dieses Problem heißt "mikroelektronische Revolution". Sie lesen diesen Text entweder über einen Computer, ein Tablet oder ein Smartphone, da bin ich mir sicher. Und das bedeutet, dass Sie mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 95 Prozent eines der folgenden Betriebssysteme haben: Windows, macOS, Android oder iOS (Gruß an die drei Homies auf Linux distro!). Doch warum ist das so?
Die Infrastruktur des 21. Jahrhunderts
Stellen Sie sich vor, Sie entwickeln Apps oder Datenbanken. Da die Architektur jedes Betriebssystems und die Architektur der verbauten Hardware je nach Hersteller unterschiedlich sind, müssen Sie für Kompatibilität sorgen. Um möglichst viele Verkäufe zu generieren, muss Ihr digitales Produkt auf möglichst vielen Kombinationen von Hersteller und Betriebssystem funktionieren. Und nun stellen sie sich vor, es gäbe nicht drei Unternehmen, die diesen Markt dominieren – Google, Apple, Microsoft – sondern dreißig. Oder dreihundert. Um diesen Arbeitsaufwand finanziell zu rechtfertigen, müssten Sie Mondpreise verlangen!
Zwei Betriebssysteme dominieren jeweils den stationären (Windows und macOS) und den mobilen (Android und iOS) Markt. Das mobile Betriebssystem der Firma Microsoft kam zu spät, war zu schlecht und ist gefloppt, nicht einmal ein dritter Akteur konnte sich etablieren. Im Bereich der Browser sieht die Marktlage nicht anders aus, es gibt noch genau zwei relevante Browserarchitekturen: Mozillas Firefox und Googles Chromium-Projekt.
Wir haben es hier also mit einem technischen Duopol zu tun. Betriebssysteme, Browser und Plattformen sind die Infrastruktur der Informations- und Aufmerksamkeitsökonomie. Die Situation erinnert an die US-amerikanischen 1930er, die der Anwalt Adolf Berle und der Ökonom Gardiner Means folgendermaßen charakterisieren: "Die Grundsätze des Duopols sind wichtiger geworden als die des freien Wettbewerbs."2
Innerhalb neoliberaler Doktrin stellt das kein Problem dar. So werden die vorhandenen Ressourcen, sprich Arbeitszeit, seltene Erden und Ähnliches, schließlich am effektivsten allokatiert, der Preis für eine Software oder ein Smartphone fällt. Die Menge an Rechenleistung und Speicherplatz, die Sie heutzutage für magere 200 Euro bekommen, hätte vor 30 Jahren ganze Volkswirtschaften in den Ruin getrieben.
Dazu meint Stieglitz: "Hayek und Friedman argumentierten, dass ihre Interpretation des Kapitalismus der freien und ungehemmten Märkte das effizienteste System sei, und dass wir ohne freie Märkte und freie Unternehmungen keine persönliche Freiheit haben können und werden. Sie glaubten, dass Märkte von sich aus kompetitiv bleiben würden. Was sie bezeichnenderweise bereits vergessen – oder ignoriert – haben, sind die Erfahrungen im Bereich der Monopolisierung und der Konzentration ökonomischer Macht, die zum Sherman Antitrust Act (1890) und dem Clayton Antitrust Act (1914) führten."
Lina Khan versus The World
Womit wir wieder bei Lina Khan wären, und bei der Frage, ob Google und Amazon wettbewerbsschädigende monopolistische Praktiken vorgeworfen werden können. Werfen wir einen kurzen Blick auf die beiden Fälle.
In FTC vs. Google geht es um Suchmaschinen. Genauer gesagt geht es darum, dass Google sich auf Android-Telefonen grundsätzlich als Standard-Suchmaschine einstellt und so unrechtmäßig große Marktanteile abgreift. Diese Praktik bewerteten die Jurist*innen der FTC bereits 2013 als illegale Monopolisierung, die Behörde allerdings blieb untätig. Ich möchte an dieser Stelle ein Zitat aus der Zeugenaussage von Satya Nadella, CEO von Microsoft, herausgreifen, das die unüberschätzbare Bedeutung der Defaults in digitalen Ökosystemen auf den Punkt bringt: "Es gibt Standardeinstellungen – das ist die einzige Methode, um das Suchverhalten zu ändern."
FTC vs. Amazon dreht sich um eine breitere Palette von Anschuldigungen, im Kern allerdings geht es um zwei Vorwürfe, die intrinsisch zusammenhängen: unzulässig aggressive Preisgestaltung ("predatory pricing") und Missbrauch der eigenen Plattform, um die Konkurrenz zu untergraben.
Da Khan in diesem Bereich weitaus kompetenter ist als ich es bin, erlaube ich mir, großzügig aus ihrem 2017 veröffentlichten Papier zu zitieren, das als Grundstein des aktuellen Gerichtsverfahrens gegen Amazon betrachtet werden kann:
"Die aktuelle Doktrin unterschätzt das Risiko aggressiver Preisgestaltung sowie die Tatsache, dass unternehmerische Integration über distinkte Geschäftsfelder hinweg wettbewerbsfeindlich wirken kann. Diese Bedenken kommen im Kontext von Online-Plattformen aus zwei Gründen ganz besonders zum Tragen. Erstens entsteht durch die Ökonomie von plattformbasierten Märkten ein Anreiz dazu, Wachstum realen Profiten vorzuziehen – eine Strategie, die von Investierenden belohnt wurde. Unter diesen Vorzeichen wird aggressive Preisgestaltung eine hochgradig rationale Herangehensweise – obwohl die existierende Doktrin dieses Verhalten als irrational und daher unwahrscheinlich einstuft. Zweitens sind Online-Plattformen essentielle Intermediäre, die ihre Plattformen über Geschäftsfelder hinweg verankern, um die kritische Infrastruktur zu kontrollieren, auf die ihre Wettbewerber angewiesen sind. Diese Doppelrolle ermöglicht es Plattformen, die Informationen auszubeuten, die andere Unternehmen bei der Nutzung ihrer Dienstleistungen hinterlassen, und diese so als Wettbewerber auszustechen."
Natürlich gibt es keine Garantie dafür, dass die FTC vor Gericht siegen wird. Das ist auch nicht der springende Punkt. Der fundamentale Paradigmenwechsel ist bereits vollzogen, die Klagen gegen Google und Amazon werden nicht nur ernst genommen, ihnen werden Chancen ausgerechnet. Die quintessentielle Problematik des Plattformkapitalismus und der Konsumwohlfahrt dringt langsam aber sicher ins Bewusstsein der Entscheidungsträger*innen vor. Auch der Sherman und der Clayton Antitrust Act waren kein Produkt politischer Weitsicht und Antizipation, sondern die Reaktion auf ein halbes Jahrhundert technologischer Innovationen, die die bisherige Gesetzeslage schlicht und ergreifend überrundet hatten. Wie es scheint, ist es wieder soweit: Der Markt ist kaputt, wir brauchen einen Neuen!
Die Teile 2 und 3 der Serie lesen Sie hier: