Der Ökonomienobelpreisträger Joseph Stieglitz legt mit "Der Preis des Profits. Wir müssen den Kapitalismus vor sich selbst retten!" sein neues Buch vor, worin er sowohl die "Angebotspolitik" beziehungsweise den "Neoliberalismus" in der Wirtschaftspolitik kritisiert sowie auch Wege zu einer Veränderung der damit einhergehenden Folgen aufzeigt.
Das als "Manifest für einen progressiven Kapitalismus im 21. Jahrhundert" angekündigte Buch zeigt fachlich überaus kompetent und gut verständlich geschrieben Probleme einer marktfixierten Wirtschaftsweise auf, wogegen reflexionswürdige Reformvorschläge gesetzt werden.
"Die beiden Trends wachsender Ungleichheit und abnehmender Mobilität stellen gemeinsam eine grundlegende Bedrohung für den amerikanischen Traum, für unsere Lebensweise und für das dar, wofür wir weltweit stehen." Diese Einschätzung setzte US-Präsident Barack Obama fort mit den Worten: "Und ich erhebe hier nicht einfach nur eine moralische Forderung. Wachsende Ungleichheit und verringerte Mobilität haben auch praktische Konsequenzen." Eine ausführlichere Begründung für diese knappe Einschätzung legte der weltweit bekannte Ökonom Joseph Stiglitz vor. Er war Professor für Volkswirtschaft an den renommiertesten Universitäten der Welt, zeitweise Chefvolkswirt der Volksbank und erhielt 2001 den Nobelpreis für Wirtschaft. Sein neues Buch trägt den Titel "Der Preis des Profits. Wir müssen den Kapitalismus vor sich selbst retten!", während die Originalausgabe mit "Power, People and Profits" überschrieben ist. Was man sich in Deutschland bei dem hiesigen Titel gedacht hat, kann wohl nur der Verlag selbst sagen. Aber gleich auch weiter zum Inhalt:
Das Buch, das Erkenntnisse früherer Publikationen von Stiglitz zusammenfasst und somit als eine Art "Best of" gelesen werden kann, ist in zwei Teile gegliedert. Zunächst geht es um eine Bestandsaufnahme, welche die gesellschaftliche und ökonomische Entwicklung der USA kritisch kommentiert. Dabei betont der Autor, dass der Konsens in Richtung eines Wachstums für alle Bürger schon längst erodiert wäre. Die Entwicklung sei auf ein Mehr an sozialer Ungleichheit hinausgelaufen, welche wiederum die Spaltung der Gesellschaft und die Entstehung einer Marktmacht begünstigt habe. Gerade die damit verbundene Konzentration in der Ökonomie hätte hier zu überaus negativen Folgen geführt. Der Autor führt die gemeinte Entwicklung auf die "Angebotsorientierung", mitunter auch "Neoliberalismus" genannt, zurück. Dass man etwa mit Steuererleichterungen den Unternehmern entgegen kam, habe nicht einer Wirtschaftsdynamik auch zugunsten der anderen Teile der Gesellschaft geführt. Der Staat habe darüber hinaus seine wichtige steuernde Rolle verloren.
Dann geht Stiglitz zum zweiten Teil über, worin es ihm um die Frage geht, wie Politik und Wirtschaft erneuert werden könnten. Damit beschäftigt sich der Autor auch erstmals dezidierter mit den politischen Konsequenzen seiner ökonomischen Theorien. Er plädiert zunächst für eine Wiederherstellung der Demokratie, seien doch wichtige Elemente von ihr durch die Veränderungen der letzten Jahre erodiert. Statt einer Ausrichtung an Gewinnen für Wenige bedürfe es eines menschenwürdigen Lebens für alle. Dahingehend sei auch ein neuer Gesellschaftsvertrag nötig, wobei hier von einem "progressiven Kapitalismus" die Rede ist. Dem Staat komme dabei größere Relevanz zu, seien doch die Krisen häufig genug auf nicht regulierte Märkte zurückzuführen. Für derartige Änderungen wird eine Reihe von hier noch allgemein gehaltenen Vorschlägen formuliert. Stiglitz geht aber realistisch davon aus, dass ein solcher Wandel an politische Voraussetzungen gebunden sei. Es bedürfe einer starken Demokratie, welche die Macht der Vermögenskonzentration ausgleiche.
Der Autor schrieb das Buch eigentlich für amerikanische Leser. Das ist seinem deutschen Verlag durchaus bewusst, insofern hat man Stiglitz wohl auch um ein Vorwort für die deutsche Ausgabe gebeten. Die damit beabsichtigte "inhaltliche Kurve" ist nicht ganz gelungen, gleichwohl besteht in Deutschland begründet hohes Interesse an der US-Gesellschaft und -Wirtschaft. Der Autor spricht auch immer wieder allgemein bedeutsame Fragen an, etwa wenn darauf hingewiesen wird, dass ein hohes Ausmaß an sozialer Ungleichheit die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eher schwäche und nicht stärke. Gerade die ideologiekritischen Aussagen – denn auch ein "Marktkult" steht für Ideologie – sind in dem Buch von großem Interesse. Hier schreibt kein linker Theoretiker von seinem Schreibtisch aus. Stiglitz ist ein exzellenter Kenner der Weltwirtschaft. Sein Buch ist gut verständlich geschrieben und stützt sich auf viele Daten und Fakten. Warum er einem Green New Deal noch nicht einmal ein Unterkapitel widmet, ist indessen unverständlich.
Joseph Stiglitz, Der Preis des Profits. Wir müssen den Kapitalismus vor sich selbst retten!, München 2020 (Siedler-Verlag), 368 S., 25,00 Euro
10 Kommentare
Kommentare
A.S. am Permanenter Link
Alle Güter und Dienstleistungen müssen von Menschen erbracht werden. Arbeitsabläufe lassen sich optimieren, technische Hilfsmittel einsetzen.
Jeder Schrei der Bürger in ihrer Rolle als Konsument nach "mehr" macht den selben Bügern in ihrer Rolle als Arbeitnehmer mehr Streß. Obendrein leidet die Umwelt.
Ist doch gar nicht so schwer zu kapieren, oder?
JM am Permanenter Link
Fest steht, dass wir arme leidende Zeitgenossen immer länger und gesünder leben.
Aufklärung und Bewusstmachung ist das Gebot der Stunde.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Der letzte Satz ist für mich eine klares Nichtlese-Indiz.
Hans Trutnau am Permanenter Link
für mich ein klares, bitte; nicht eine.
Adam Sedgwick am Permanenter Link
Eigenartig, die Entwicklung des Kapitalismus, hin zum Monopol und der extremen Anhäufung von Kapital in ganz wenigen Händen, ist schon seit über 150 Jahren wissenschaftlich untersucht worden!
Die Auswirkungen des vergeblichen Gegensteuerns gegen diese Tendenz sehen wir nun beklagenswert deutlich.
Marx und Engels haben auch erkannt, dass sich der Profit nur durch die Verringerung des Anteils an menschlicher Arbeitskraft erhöhen lässt. Daher der Kampf der Unternehmer gegen den Mindestlohn, Beschäftigung der Menschen unter elendigsten Bedingungen wie z.B. in Bangladesch und anderen Niedrigstlohn-Ländern. Die Unternehmer gehorchen objektiven wissenschaftlichen Erkenntnissen und müssen sich so verhalten wie sie sich eben verhalten! Bisher ist es noch keinem geglückt die Wissenschaftstheorien der beiden Herren zu widerlegen, denn wenn das gelungen wäre, würde keiner mehr über sie sprechen sie wären längst dem Vergessen anheimgefallen.
Das bedeutet aber nicht, dass sich die Menschheit nicht neue Gedanken machen muss, wie sie sich selbst und den Verfall unseres Globus aufhält, die einzigen die das dramatisch erkannt haben, sind die Kids von „Fridays for Future“.
Ich denke, wenn man scharf auf einen Nobelpreis in Ökonomie ist, braucht man nur die Ideen der beiden Herren aus dem 19. Jhr. abzukupfern. Bisher habe ich von den Wirtschaftlern noch nichts substanziell Neues gehört, was über diese Erkenntnisse des 19.Jhr. hinausginge. Die bürgerliche Wirtschaftswissenschaft ist meines Erachtens keine seriöse Wissenschaft, sonst würden zum Beispiel die jährlichen Vorhersagen der Wirtschaftsweisen nicht immer so daneben liegen, was bereits schon der verstorbene Kapitalismusfreund Guido Westerwelle beklagte.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Oh danke, Adam, da habe ich nicht viel hinzuzufügen außer 2 Lese-Empfehlungen:
2. H.J. Schellnhubers "Selbstverbrennung" für den wissenschaftlichen Hintergrund; des Autors 'opus magnum' mit ca. 800 Seiten ist (auch) eine Leseherausforderung.
Wem Letzteres zu lang ist, empfehle ich meine i.Vgl. doch kurze und prägnante Darstellung (aber inkl. des religiösen Urgrunds!) der Misere hier: https://hpd.de/artikel/homo-oeconomicus-vs-oekonologische-revolution-17590?nopaging=1
Ich bin übrigens bei Facebook unter meinem Klarnamen erreichbar.
Bernd Neves am Permanenter Link
"Statt einer Ausrichtung an Gewinnen für Wenige bedürfe es eines menschenwürdigen Lebens für alle."
Das wäre dann allerdings kein Kapitalismus mehr, denn genau das ist Kapitalismus: Ausrichtung an Gewinnen für Wenige.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Diesem und dem nächsten Kommentar gibt es eigentlich nichts hinzuzufügen.
Die Frage bleibt, wie wir aus der Misere herauskommen könnten...
Bernd Neves am Permanenter Link
Das greift zu kurz. Die Angebotsorientierung ist zwar eine tragende Säule des Neoliberalismus, aber das gab es in der Form des Say'schen Theorems auch schon im Wirtschaftsliberalismus des 19. Jahrhunderts.
Die Frage ist letztendlich, ob der Kapitalismus überhaupt zähmbar ist. Ist er nicht, weil ökonomische (Über-)Macht immer in politische, mediale und gesellschaftliche (Über-)Macht umgesetzt werden kann.
Bernd Neves am Permanenter Link
Da ist im Beitrag leider das einleitende Zitat
"[...] 'Angebotsorientierung', mitunter auch 'Neoliberalismus' genannt"
verloren gegangen, auf das sich der Betrag bezieht.