Der Journalist Thomas Wagner will in seinem Buch "Die Angstmacher. 1968 und die Neuen Rechten" das widersprüchliche Verhältnis der im Untertitel genannten Akteure erörtern. Der Autor bleibt dabei aber meist einer beschreibenden Darstellung verhaftet, wobei er in seiner kenntnisreichen Monographie gelegentlich auch den Schwerpunkt aus dem Auge verliert.
Die Neue Rechte hat eine ambivalente Einstellung zu den Achtundsechzigern: Einerseits beschwört man eine "Kriegserklärung" gegen sie, andererseits übernimmt man ihre Handlungsweisen für die eigene Strategie. Dies ist Grund genug, das Verhältnis einer kritischen Betrachtung zu unterziehen. Eine solche verspricht der promovierte Soziologe Thomas Wagner, der als freier Autor für verschiedene Zeitungen von der "Süddeutschen" bis zur "Jungen Welt" schreibt, in seinem Buch "Die Angstmacher. 1968 und die Neuen Rechten". Als Einstieg berichtet er von einer Kundgebung und kommentiert sie mit folgenden Worten: "Die politische Rechte greift auf Sprüche und Aktionsformen zurück, die man seit den Tagen der Achtundsechziger-Studentenrevolte vor allem mit der Linken in Verbindung bringt. Besonders beliebt sind gezielte Provokationen" (S. 11). Wie kam es zu dieser Entwicklung, und wie kann man das widersprüchliche Verhältnis deuten? Diese Fragen will Wagner mit dem historischen Rückblick auf die Neue Rechte seit 1968 beantworten.
Zunächst erinnert er aber an den konservativen Soziologen Arnold Gehlen, der mit seiner Kritik der "Hypermoral" auch heute noch von den Neuen Rechen geschätzt wird. Danach geht der Autor auf die Entwicklung der Nationalrevolutionäre in den 1970er Jahren ein und berichtet von Gesprächen mit deren wichtigstem Vordenker Henning Eichberg. Auch die französische Neue Rechte um Alain de Benoist und Dominique Venner findet größere Aufmerksamkeit. Dabei darf der Hinweis auf deren "Kulturrevolution"-Konzept, das in Anlehnung an den italienischen Marxisten Antonio Gramsci entstand, nicht fehlen. Auch ein früher "Antiimperialismus" und "Befreiungsnationalismus" werden in diesem Zusammenhang erörtert. Beim Bericht über "Ethnopluralismus" finden sich Auszüge aus Interviews mit Ellen Kositza und Götz Kubitschek. Beide gelten als wichtige Repräsentanten der gegenwärtigen Neuen Rechten und kommen später bei der Dokumentation eines Gesprächs zum Gewaltverständnis noch einmal gesondert zu Wort.
Auch die Entwicklung der Wochenzeitung "Junge Freiheit" und deren Bruch mit dem "Institut für Staatspolitik" werden nachgezeichnet. Dann geht es dem Autor um die Bedeutung von Thilo Sarrazin und Peter Sloterdijk als "Türöffner" für eine "Rechtsentwicklung" im intellektuellen und öffentlichen Diskurs. Als eine nicht direkte, aber indirekte Folge davon gelten die Mobilisierungserfolge von Pegida und die Wahlerfolge der AfD. Gleiches kann man über die "Identitäre Bewegung" sagen, die dann Aufmerksamkeit findet. Der Autor dokumentiert hier Interviewaussagen mit Martin Sellner, dem bedeutendsten Sprecher dieser Szene im deutschsprachigen Raum. Und danach kommt er wieder auf das "Institut für Staatspolitik" und sein publizistisches Umfeld zurück. Betont wird die dort kursierende Faszination für den Eurofaschismus, aber auch die Kenntnis von als typisch links geltender Debatten und Positionen. Beides sieht er in Benedikt Kaiser, der in der Zeitschrift "Sezession" schreibt und für den "Verlag Antaios" arbeitet, vereint.
Wagner hat ein journalistisches Buch vorgelegt, das von einer lockeren Schreibe geprägt ist. Die Interviews mit vielen Protagonisten der Szene geben ihm eine besondere Note. Und dann kann man die Fachkenntnis des Autors und den Informationsgehalt des Werkes auch nicht abstreiten. Gleichwohl sind auch kritische Anmerkungen nötig: Was der Autor genau unter "Neue Rechte" versteht, bleibt unklar. Eigentlich meint man damit eine Intellektuellen-Gruppe, die sich auf die Gedankenwelt der Konservativen Revolution beruft. Wagner nennt aber viele Akteure und Phänomene ohne derartige Bezüge. Er dokumentiert und referiert auch Aussagen der gemeinten Neuen Rechten und fordert gegen Ende eine inhaltliche Auseinandersetzung mit diesen. In seinem Buch bleibt er aber selbst einer Beschreibung ohne genauere Kritik verhaftet. Beim Interview mit Kubitschek zum Gewaltverständnis hätte man schon kritischer nachfragen können. Und schließlich: Im Verlauf des Buches geht das eigentliche Thema – die Neue Reche und die Achtundsechziger – immer wieder verloren.
Thomas Wagner, Die Angstmacher. 1968 und die Neuen Rechten, Berlin 2017 (Aufbau-Verlag), 351 S., ISBN 978-3-351-03686-7, 18,95 Euro