Diskussion über das Kim-Regime in Den Haag

Nordkorea vor dem Internationalen Strafgerichtshof?

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Anlässlich der 15. Versammlung der Mitgliedsstaaten des Internationalen Strafgerichtshofes (ICC) fand in Den Haag am vergangenen Montag eine gut besuchte Diskussionsveranstaltung statt, die sich mit der Frage beschäftigte, ob es sinnvoll und möglich ist, eine Anklage gegen die nordkoreanische Führungselite vor dem Strafgerichtshof einzuleiten. Veranstalter des sogenannten "Side Events" der ICC-Versammlung waren die International Coalition to Stop Crimes against Humanity in North Korea (ICNK, Südkorea), die Geoffrey Nice Foundation on Law, History, Politics and Society (Niederlande) und die Giordano-Bruno-Stiftung (Deutschland).

Noch immer steht die internationale Gemeinschaft der Menschenrechtslage in Nordkorea ratlos gegenüber. Seit eine UN-Untersuchungskommission im Februar 2014 ihren Bericht zu dem Themenkomplex veröffentlichte (hier die deutsche Übersetzung des UN-Dokuments), besteht zwar international kein Zweifel mehr am verheerenden Ausmaß der Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Lager für politische Gefangene, öffentliche Exekutionen von Regimekritikern, Sippenhaft über drei Generationen, Zwangsarbeit etc.), allerdings liegt bisher keine Strategie vor, dem effektiv entgegenzuwirken.

Immerhin: Auf die Veröffentlichung des UN-Untersuchungsberichts reagierten die Vertreter Nordkoreas zutiefst verunsichert. Stritt man zuvor alle Vorwürfe als unzutreffend ab, führte dieser Bericht zu widersprüchlichen Reaktionen des Regimes: Zunächst wurden einige Verbrechen gegen die Menschlichkeit zugegeben (z.B. das Betreiben der Lager für politische Gefangene), später jedoch wieder abgestritten. Zweifellos war man in Pjöngjang zutiefst besorgt über die UN-Veröffentlichung und auch über die damit einhergehende Möglichkeit einer Anklage vor dem Internationalen Strafgerichtshof.

Allerdings: Da Nordkorea die Rom-Statuten nicht unterzeichnet hat, hat der Internationale Strafgerichtshof die von der UN-Untersuchungskommission vorgeschlagene Einleitung einer Untersuchung vorerst abgelehnt. In der Veranstaltung zur 15. Versammlung des ICC wurde dennoch erörtert, welche Möglichkeiten es geben könnte, einen Prozess gegen das Regime einzuleiten. In seiner Eröffnungsrede betonte O-Gon Kwon, einer der drei Richter im ICC-Prozess gegen Slobodan Milosevic, wie schwer die Menschenrechtsverletzungen in und durch Nordkorea wiegen und wie wichtig es sei, dies NGOs wie Regierungen weltweit näher zu bringen, um zu einer Lösung zu gelangen.

Der zweite Sprecher der Veranstaltung, Kim Hyeongsoo, dem vor einigen Jahren die Flucht aus Nordkorea gelang, erläuterte anhand seiner eigenen Biografie, mit welchen Mitteln die Bevölkerung Nordkoreas unterdrückt wird. Er selbst war nach einer Verhaftung gefoltert worden, da er unerlaubt ausländische Radiosendungen gehört hatte. Seine Mutter wurde bei ihrem Fluchtversuch gefangen und starb kurze Zeit später in Folge der harten Folterungen im Gefängnis. Kim Hyeongsoo wies darauf hin, dass sein Schicksal keineswegs einen Einzelfall darstellt, sondern einen großen Teil der Bevölkerung betrifft, und appellierte an Juristen, Politiker und Diplomaten, diesen Verbrechen mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Er zeigte sich überzeugt, dass die Aufnahme eines Prozesses in Den Haag eine große Hoffnung für die Bevölkerung Nordkoreas darstellen würde.

Eunkyoung Kwon, Generalsekretärin der ICNK, führte ein weiteres Verbrechen gegen die Menschlichkeit aus, das in der regelmäßigen Zwangsarbeit der regulären Bevölkerung in Nordkorea besteht. Jeder Bürger könne jederzeit spontan zu unbezahlten Arbeitseinsätzen gerufen werden, was vor allem für die Landbevölkerung dramatisch sei, da sie diese Zeit nicht nutzen könne, um Lebensmittel zu beschaffen. Mangel- und Unterernährung seien ein beständiges Problem in Nordkorea. Der Alltag bestehe für viele aus einem permanenten Überlebenskampf, weshalb solche Arbeitseinsätze, die mehrere Tage dauern könnten, oft existenzgefährdend wirkten. Außerdem stellten solche erzwungenen Arbeitseinsätze eine moderne Form der Sklaverei dar, ein Aspekt, der in dem Bericht der UN-Untersuchungskommission bedauerlicherweise nicht näher ausgeführt wurde.

David Hawk, der in der Vergangenheit für Amnesty International Menschenrechtsverbrechen in Kambodscha untersucht hat, stellte in seinem Vortrag das Lagersystem Nordkoreas und die darin begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit detailliert dar (siehe hierzu auch sein Buch "The Hidden Gulag"). Zudem ging er darauf ein, dass Vetos von China und Russland im Weltsicherheitsrat ein absehbares Hindernis für das Einleiten eines Verfahrens gegen Nordkorea beim ICC sein könnten. Gerade deshalb aber müsse man für die brisante Situation in Nordkorea international ein größeres Bewusstsein schaffen. Denn sowohl für die Volksrepublik China wie auch für Russland sei es keine Lappalie, einer international geschlossenen Forderung durch ein Veto im Sicherheitsrat zu widersprechen.

Nicolai Sprekels, der als Repräsentant der Giordano-Bruno-Stiftung sowie von Saram e.V. in Den Haag referierte, ging in seinem Vortrag darauf ein, dass die Europäer bislang noch viel zu wenig unternehmen, um Menschenrechtsverbrechen in Nordkorea entgegenzuwirken – und zwar selbst dann, wenn derartige Verbrechen auf europäischem Boden begangen werden. So sei vor wenigen Monaten aufgedeckt worden, in welchem Umfang nordkoreanische Zwangsarbeiter illegal in Unternehmen in Polen und Malta eingesetzt wurden (siehe hierzu die VICE-Dokumentation "Cash for Kim"). Die Zwangsarbeiter wurden, so Sprekels, vollkommen von der Bevölkerung isoliert und von nordkoreanischem "Sicherheitspersonal“ rund um die Uhr überwacht. Ihre Gehälter gingen fast vollständig an das Regime, das Devisen dringend benötigt. Dabei wurden für die Einsätze ausschließlich Männer ausgewählt, die Frauen und Kinder in Nordkorea haben, um bei ihnen jeden Flucht-Gedanken bereits im Ansatz zu unterbinden.

Trotz derartiger Enthüllungen sei das Interesse, die Missstände zu beheben, in Europa nur gering ausgeprägt, meinte Sprekels. Die polnische Regierung habe zwar neue Gesetze erlassen, doch sei es völlig unklar, ob die Nordkoreaner nicht einfach an anderen Orten unter denselben Bedingungen eingesetzt würden. Gäbe es ein größeres Bewusstsein um die Beschaffenheit des nordkoreanischen Regimes, wäre solchen Zuständen leichter beizukommen. Sprekels bedauerte in diesem Zusammenhang, dass sich nur sehr wenige NGOs dem "Problem Nordkorea“ widmen. Hinzu komme, dass manche Interventionen sowohl auf diplomatischer, politischer Ebene als auch im Bereich der NGOs zwar mit besten Vorsätzen geschehen, allerdings ungewollt zur Stabilisierung des Regimes beitragen. So glaubten noch immer viele, mit ihrem Engagement der einfachen Bevölkerung Nordkoreas zu helfen, obwohl ein Großteil der Hilfen einzig und allein bei der "Elite“ des Landes ankomme. Hier müsse dringend ein effektiveres Monitoring stattfinden. Als positives Beispiel nannte Sprekels in diesem Kontext die NGO "Ärzte ohne Grenzen“, die bereits vor Jahren jedes Engagement in Nordkorea einstellte, nachdem man erkannt hatte, dass jede Form der humanitären Unterstützung letztlich nur dazu beiträgt, die Herrschaftselite des Kim-Regimes zu stärken.

Sir Geoffrey Nice, der einstige Chefankläger von Slobodan Milosevic vor dem ICC, betonte, wie dringlich es sei, die Führungskaste Nordkoreas vor Gericht zu stellen, einerseits um den Verantwortlichen zu zeigen, dass die internationale Gemeinschaft solche Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht hinnehmen wird, andererseits um anderen Regimen, die ihre eigene Bevölkerung ebenfalls unterdrücken, ein deutliches Warnsignal zu senden. Hier waren sich die Referenten in Den Haag dann auch einig: So unwahrscheinlich es momentan angesichts der aktuellen chinesischen und russischen Politik auch erscheinen mag, dass der Internationale Strafgerichtshof Anklage gegen die Führung Nordkoreas erheben wird, so sollte man doch alles unternehmen, um die Chancen für einen solchen Prozess zu erhöhen. Unabdingbare Voraussetzung dafür ist, dass dem Unrechtsregime in Nordkorea international sehr viel größere Aufmerksamkeit zuteil wird. In dieser Hinsicht war die Veranstaltung am vergangenen Montag in Den Haag zweifellos ein wichtiger, erster Schritt.