Rezension

NSU-Serienmorde – Das Scheitern der Sicherheitsbehörden

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Der Journalist Tanjev Schultz geht in seinem umfangreichen Buch "NSU. Der Terror von rechts und das Versagen des Staates" dem Scheitern der Sicherheitsbehörden bei den gemeinten Morden der Neonazis nach. Es handelt sich um eine ausführliche Beschreibung, der es an einer systematischen Analyse mangelt, gleichwohl vermeidet der Autor wilde Spekulationen und Verschwörungsvorstellungen.

Bekanntlich konnte der "Nationalsozialistische Untergrund" (NSU) sieben Jahre unentdeckt Morde begehen, ohne dass die Sicherheitsbehörden den Tätern auf die Spur kamen, ja ohne überhaupt die Taten als rechtsextremistisch motiviert zu erkennen. Wie konnte dies geschehen?

Antwort auf diese Frage wollten viele parlamentarische Untersuchungsausschüsse geben. Deren Erkenntnisse bilden nicht allein, aber mit die Materialgrundlage für eine umfangreiche journalistische Darstellung zum Thema. Sie kann sich außerdem auf Aussagen und Informationen im NSU-Prozess in München stützen.

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Autor ist Tanjev Schultz, der als Professor für Journalismus an der Universität Mainz lehrt und früher als Redakteur der Süddeutschen Zeitung tätig war. In seinem Buch "NSU. Der Terror von rechts und das Versagen des Staates" rekonstruiert er die Geschichte des terroristischen Trios. Den eigentlichen Schwerpunkt bildet aber die Fahndung nach den Untergetauchten und das Scheitern der Sicherheitsbehörden, inklusive der dabei aufgekommenen Ungereimtheiten.

Deutlich zeigt sich, dass man eigentlich häufig "dicht dran" war, aber dann doch scheiterte. Gründe dafür werden nicht systematisch, sondern eher über den Text verstreut genannt. Als einen Gesichtspunkt nennt Schultz das Trennungsgebot von Polizei und Verfassungsschutz, was hier "hässliche Blüten" getrieben habe: "Im Verfassungsschutz saßen nun Beamte, die auch dann, wenn es geboten gewesen wäre, gar nicht daran dachten, mit der Polizei zusammenzuarbeiten" (S. 100).

Ausführlich wird auf die etwas schief als "Spitzel" bezeichneten V-Leute im Umfeld des untergetauchten Trios eingegangen, wobei sich der Staat auf Typen eingelassen habe, welchen niemand trauen könne. Aber auch die Ermittlungsarbeit der Polizei sei nicht vorangekommen, gab es dort doch nach dem Motto "Mein Fall, dein Fall" ein ausgeprägtes "Behörden-Wirrwarr". Nähere Aufmerksamkeit finden danach noch die Sprengstoffanschläge in Köln und Nürnberg, wobei hier in einem Fall die Polizei einer richtigen Vermutung von Verfassungsschutzseite nicht nachging.

Dem folgend geht es ausführlicher um zwei bis heute nicht geklärte Ereignisse, die Anwesenheit eines V-Mann-Führers des Landesamtes Hessen am Tatort eines Mordes in Kassel und die Hintergründe des Mordes an einer Polizistin in Heilbronn. Schultz macht in diesen wie in anderen Fällen inhaltliche Ungereimtheiten aus, vermeidet aber bloße Spekulation oder wilde Verschwörungsvorstellungen. Mit "Operation Konfetti" wird danach das Schreddern von Akten im Bundesamt für Verfassungsschutz thematisiert, wobei auch hier unklar bleibt, welche Unterlagen genau aus welchen Gründen in den Reißwolf gesteckt wurden. Und dann geht der Autor noch auf den NSU-Prozess und die Rätsel des NSU im Kontext der Rolle der Behörden ein. Dabei urteilt er differenziert bzw. zurückhaltend und vermeidet schiefe Unterstellungen. Denn "wer in seiner Kritik überzieht und suggeriert, der Staat sei ein Komplize oder gar der Drahtzieher des Terrors, untergräbt auf seine Weise die Ordnung der Freiheit" (S. 436). Damit werde auch die Rolle der Neonazis relativiert.

Man müsste dazu noch ergänzen, dass es dafür an den nötigen Belegen mangelt und hier mehr von spekulativen Konspirationsvorstellungen ausgegangen werden kann. Gleichwohl meint der Autor: "Man kann und muss die Behörden scharf kritisieren, und man kann und muss sagen, dass vieles noch immer ungeklärt ist …" (S. 436). Dies geschieht auch in dem Buch, wobei dessen Anlage mehr auf eine Beschreibung hinausläuft. Ab und an streut Schultz Kommentare ein, aber meist ohne inhaltlich zu systematisieren.

Bei den Ausführungen fehlt merkwürdigerweise ein kritischer Hinweis auf die analytische Schwäche der Sicherheitsbehörden, welche auch bei den späteren Reformüberlegungen nicht systematischer angegangen wurden. Auch hätten manche Detailaspekte wie etwa die Amtsführung von Helmut Roewer als Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes noch größere Aufmerksamkeit finden können. Man hat es mit einer interessanten Beschreibung zu tun, ihr hätte aber eine noch mehr systematische Analyse gut angestanden.

Tanjev Schultz, NSU. Der Terror von rechts und das Versagen des Staates, München 2018 (Droemer-Verlag), 555 S., ISBN: 978-3-426-27628-0, 26,99 Euro (eBook 23,99 Euro)