Geheimsache NSU

(hpd) Die Autoren des von dem Journalisten Andreas Förster herausgegebenen Sammelbandes “Geheimsache NSU. Zehn Morde, von Aufklärung keine Spur” wollen offene Fragen bei der Aufklärung der Neonazi-Verbrechen thematisieren. Dabei können sie eine Fülle von Ungereimtheiten und Widersprüchen benennen, neigen aber allzu sehr zu Spekulationen und Verschwörungsvorstellungen.

Bereits einige Wochen nach dem 4. November 2011 waren in Grundzügen die Taten des “Nationalsozialistischen Untergrundes” (NSU) bekannt: Die rechtsterroristische Zelle hatte zehn Morde und zwei Sprengstoffanschläge begangen und war dabei jahrelang von den Sicherheitsbehörden nicht entdeckt worden. Indessen ergaben neue Detailerkenntnisse immer wieder offene Fragen, die bis heute nicht überzeugend beantwortet wurden.

So wirkt etwa die offizielle Auffassung, die NSU-Täter hätten eine Waffe in ihren Besitz bringen wollen, als Begründung für den Mord einer Polizistin wenig überzeugend. Allein dieser Fall ist Grund genug für ein intensives und kritisches Nachfragen. Als ein Buch in diesem Sinne gibt sich der von dem Journalisten Andreas Förster herausgegebene Sammelband “Geheimsache NSU. Zehn Morde, von Aufklärung keine Spur”. Dessen Autoren wollen sich gegen eine “staatsoffizielle NSU-Version” wenden, wonach die “Theorie eine abgeschotteten dreiköpfigen Terrorzelle, wovon weder Freund noch Feind wussten” (S. 11), bestehe.

Die 15 Beiträge des Bandes stammen meist von Journalisten, die einzelne Aspekte des NSU-Komplexes aufgearbeitet haben. Die ersten Aufsätze konzentrieren sich etwa auf den erwähnten Mord an der Polizistin, wobei zutreffend von eine “Geschichte mit vielen Unbekannten” und “Ungereimtheiten” (S. 18f.) gesprochen wird.

Allein die Präsenz von Polizeibeamten mit rechtsextremistischen Organisationszugehörigkeiten im Umfeld der Tat macht deren intensive Aufarbeitung mehr als nur nötig. Andre Beiträge gehen auf die bis heute ungeklärten Umstände der Anwesenheit eines Verfassungsschützers am Tatort des Mordes an Halit Yozgat 2006 in Kassel ein oder thematisieren Spuren einer Verbindung der toten NSU-Mitglieder in das Milieu von Kriminellen und Rockern hinein. Durch die meisten Texte hindurch zieht sich indessen der Vorwurf einer staatlich beabsichtigen und gelenkten Vertuschung, lauten doch Überschriften etwa “Mit der Hauptverhandlung vor dem Oberlandgericht München soll das NSU-Problem beendet werden” (S. 185).

Und genau in diesen Kontexten zeigt sich, dass es nicht wenigen Autoren des Sammelbandes leider weniger um echte Aufklärung, sondern mehr um spekulative Verschwörungsvorstellungen geht. Dafür haben die Sicherheitsbehörden indessen einige Ansätze geliefert, wozu auch das Fehlen von öffentlichen Stellungnahmen gehörte. So wird etwa im Text vom “Schreddern mit System” (S. 234) bezogen auf Aktenvernichtung geschrieben. Derartige Ausführungen ignorieren aber, dass die Vernichtung von Vorgängen in Verwaltungen zum normalen wie vorgeschriebenen Arbeitsprozess gehört. Ob die seinerzeitigen Vernichtungen von Akten im Bundesamt für Verfassungsschutz auf “Dummheit” oder “Konspiration” zurückzuführen ist, kann angesichts der mangelnden Kenntnis um die genauen Hintergründe bis heute nicht gesagt werden. Dann sollten aber auch einschlägige Verschwörungsvorstellungen unterbleiben, welche ohne Belege diffuse Behauptungen streuen und eine “Gegen-Geschichte” nicht belegen können.

Genau letzteres ist das Problem der meisten Beiträge des Bandes: Wenn es eine angebliche Schönschreibung oder Vertuschung des Staates gegeben hat, dann müsste diese doch aus bestimmten Motiven heraus erfolgt sein. Soll nun unterstellt werden, dass die NSU-Mörder selbst vom Staat gedeckt wurden oder gar in dessen Auftrag handelten? Kurz nach dem Bekanntwerden der Taten deutete so etwas gar die Qualitätspresse (etwa “Die Zeit”) an, aber auch hier ohne Belege für die Aussagen zu bringen.

An Fußnoten mit Hinweisen auf die Informationsbasis für die jeweiligen Behauptungen mangelt es indessen auch im Sammelband “Geheimsache NSU”. Die darin enthaltenen Spekulationen und Verschwörungsvorstellungen tragen indessen gerade nicht zu eine nötigen Aufklärung von bestimmten Detailaspekten bei. Einige Abhandlungen weisen durchaus nachvollziehbar und zutreffend auf Erkenntnislücken und Widersprüche hin. Die differenzierte Auseinandersetzung damit hätte mehr gelohnt als die ständige Präsentation eines “Entlarvungs-Pathos” ohne klare Belege.

 


Andreas Förster (Hrsg.), Geheimsache NSU. Zehn Morde, von Aufklärung keine Spur, Tübingen 2014 (Klöpfer & Meyer-Verlag), 315 S.